Nicht beantwortete Interviewfragen
Hallo zusammen,
hatte den beiden Autoren im Zuge ihres letzten Buches "Kapitalfehler" einen Fragenkatalog zu einem zugesicherten Interview zukommen lassen, der leider nie - trotz mehrmaligen Nachhakens - beantwortet wurde.
Ich bin bei den beiden Herren inzwischen skeptisch(er) geworden, was ihren Antrieb anbelangt.
Anscheinend waren die Fragen, die ich gestellt hatte, doch zu spezifisch oder nicht mainstreamkonform genug?
Für diejenigen, die es interessiert, die damaligen Fragen:
Sie haben mit dem neuen Buch Kapitalfehler - Wie unser Wohlstand
vernichtet wird und warum wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen
nach zwei bemerkenswert erfolgreichen Sachbüchern ihr drittes Werk
über das Finanzsystem veröffentlicht. Wie reagieren Sie auf Kritiker,
die einen - wie immer auch gearteten - Crash ins Reich der Fabeln
verweisen? Schließlich ist trotz der hundertfachen Unkenrufen bislang
kein Zusammenbruch erfolgt. Oder anders forumliert: Wäre der Crash
nicht längst eingetreten, wenn es nicht ständig zu
Gesetzesübertretungen, Gesetzesbrüchen und bislang Unvorstellbarem wie
Negativzinsen gekommen wäre?
Unsere Wirtschaftswissenschaft beruht im Grunde genommen nur auf
Axiome (wie Angebot und Nachfrage), die im Grunde reine
Gedankengebäude darstellen. Warum kann und wird Ihrer Meinung nach an
diesen Axiomen starr festgehalten?
Deutschland als Exportnation hat einen jährlichen Handelsüberschuss,
der sich in den letzten 25 Jahren auf rund 2.500 Milliarden summiert.
Diese Summe ist weder bei Ihnen noch bei mir im Geldbeutel angekommen.
Wo aber ist dieses Geld hin? Selbst die Bundesbank gibt darauf keine
Antwort - weist aber darauf hin, dass ein Defizit durchaus "an uns"
hängenbleiben würde. Können Sie mir sagen, wer diese Milliarden heute
sein Eigen nennt?
Sie erwähnen am Anfang Ihres Buches den Aufruf der linksradikalen CUP
zu "zivilen Ungehorsam" in Spanien. Ist es angesichts von Bestrebungen
wie Bargeldverbot o.ä. nicht auch Zeit, dass sich in Deutschland
Widerstand regt?
Gerade weil die Bürger immer mehr zu reinen "Befehlsempfängern und
Rückversicherern" degradiert werden, und im eigentlichen Sinne
Notebanken und hier insbesondere IWF und BIZ zu den eigentlichen
"Herrschern" werden?
Der Schweizer Journalist und Verleger Christoph Pfluger spricht in
seinem Buch Das nächste Geld, dass etwa 30% Zins in jedem Produkt, in
jeder Dienstleistung eingepreist sind. Wie schaffen es Politik und
Finanzsystem diese Umverteilung zu verheimlichen?
Sie vergleichen in einem Kapitel das Vorgehen in der Finanzkrise 2008
der Länder Griechenland und Island miteinander. Während Island Ihrer
Ansicht nach vieles richtig machte, ertrinkt Athen immer mehr im
"finanziellen Schuldenchaos". Doch durfte Ihrer Meinung nach
Griechenland als NATO-Mitgliedsland, als Goldman Sachs-Klient
überhaupt anders handeln? Gab und gibt es nicht ein großes Interesse
seitens des IWFs (und anderer), dass genau das eintritt, was wir heute
dort erleben?
Ein Schuldenerlass Griechenlands wird von Ihnen befürwortet. Damit
liegen Sie auf Linie mit dem IWF, der ebenfalls einen Schuldenschnitt
für Athen einfordert. Warum glauben Sie will der IWF diesen Schnitt,
obwohl er doch mitverantwortlich für die Lage in Griechenland ist?
Das Mantra des Wachstums wird auch in Ihren neuen Buch unter anderem
im Kapitel der Kondratjew-Zyklen erwähnt. Doch warum genau brauchen
wir dieses andauernde Wachstum? Wohlwissend, dass das bestehende
Wachstum die "Exponentialfunktion des Schuldenmachens" nie ausgleichen
kann.
Ich darf einen kurzen Absatz aus Ihrem Buch zitieren: "Eine
bestürzende Erkenntnis: Kaum war der Kapitalismus so richtig ins
Laufen gekommen, zeigte sich, dass wirtschaftlicher Fortschritt ohne
periodische Abstürze offenbar nicht zu haben war." Sind Krisen, wie
die seit 2008 herrschende, daher nicht gewollte "Vorgänge" als Teil
des Systems und daher gewünscht zur Bereicherung und Umverteilung
(Stichwort: Fleissig zu Reich) Weniger?
Unser herrschendes System ist ein angelsächsisch geprägtes System, das
nur noch wenige (wenn überhaupt) Anleihen an Rüstow, Röpke oder
Müller-Armack in sich trägt. Wäre es nicht Zeit für einen neuen Rüstow
oder Müller-Armack, eine neue soziale Martkwirtschaft? Oder ist das
nur eine träumerische Vorstellung in einem globalen, vernetzten System?
Sie widmen einen großen Abschnitt in Ihrem Buch den bereits kurz
erwähnten Kondratjew-Zyklen. Ich würde Ihrem fünften Zyklus des
digitalen Kondratjews gerne noch eine weitere Komponente hinzufügen:
Information. Heute prasseln auf einen Menschen soviele Informationen
an einem Tag ein, wie ein Mensch im Mittelalter in seinem ganzen Leben
verarbeiten musste. Ist nicht gerade die in der
Wirtschaftswissenschaft grundlegende Prämisse der vollständigen
Information aller Marktteilnehmer "unstemmbar" geworden und zeigt es
zudem nicht, dass die Axiome an sich zu hinterfragen, gar überholt
sind? Auch weil unsere "gelebten Wirtschaftstheorien" einerseits
besagen, dass Planwirtschaft nie funktionieren kann, da ein Planer nie
alle Informationen auf Makro- und Mikroeben besitzen kann, dies aber
für ihr Erklärmodell voraussetzen. Beißt sich hier die sprichwörtliche
Katze nicht in den eigenen Schwanz?
Unser Schuldgeldsystem strebt nach einer weiter zunehmenden
Zentralisierung. Kann ein Erfolgsfaktor aus der Krise die
Dezentralisierung - wie sie am Beispiel der Photovoltaik in Ihrem Buch
kurz ausgeführt wird - insbesondere der Energie- und Wasserversorgung
sein?
Gerade weil Sie das Thema Wasser bzw. dessen Versorgung als zukünftige
"Basistechnologie" beschreiben? Und Beispiele wie Paris oder Berlin
zeigen, dass eine zentrale, privatisierte Wasserversorgung der falsche
Weg ist.
Mit den Theorien bzw. Ausarbeitungen von Schulmeister und Minsky
widmen Sie sich - ich beschreibe sie mal als - unerwünschten
Schlußfolgerungen innerhalb der Wirtschaftswissenschaften. Warum
glauben Sie, werden diese beiden Meinungen unterdrückt und finden
keinen Widerhall in den Lehrbüchern der VWL wie ich sie kenne? Weil
nur das gelehrt werden darf, was genehm ist?
Auch in großen Konzernen findet Ihrer Meinung nach so etwas wie
Planwirtschaft statt, die ebenfalls in Ihren Augen nie funktioniert
hat und nie funktioneren kann. Ist es daher nicht besser auf kleine,
mittlere Unternehmen zu bauen, die den "Krankheiten der
Planwirtschaft" (falsche Allokation, Bedarfsberchnung usw.) nicht
anheim fallen?
Auch weil diese kleineren Einheiten den Postkolonialismus der
Großkonzerne so nicht betreiben könnten, den Sie ausgiebig
thematisieren, aber der den meisten Lesern so nicht bewusst sein dürfte?
Großkonzerne werden auch die Profiteure eines Abkommens (ich spreche
bewusst nicht von frei und Handel) wie TTIP oder TiSA und CETA sein.
Im Abschnitt Was können Märkte nicht regeln - womit sollte nicht frei
gehandelt werden gehen Sie auf fünf Bereiche ein (Infrastruktur,
Gesundheitswesen, Schul- und Universitätswesen, Kontrolle über
Monopole/Kartelle/Banken/Börsen, Schutz und Verteilung öffentlicher
Güter), die vom Staat verwaltet werden müssen und nicht in private
Hand gelangen sollten. Ist aber TTIP nicht das genaue Gegenteil
dessen, was Sie richtigerweise einfordern? Auch weil der weitaus
schlimmere, große Bruder von TTIP namens TiSA mit der Rachetklausel
quasi eine Privatisierung dieser Bereiche auf Jahrzehnte (wenn nicht
gar immer) festzementieren würde?
Sie räumen im letzten Drittel Ihres Buches mit vielen "Geld-Mythen"
(Entstehung des Geldes, Tauschhandel usw.) auf. Befürchten Sie nicht
dadurch in eine bestimmte Ecke gestellt zu werden, da die Lehrmeinung
ja eine gegenteilige ist?
Auch werden diese Kritiker eine Antwort auf die Frage Warum machen
Staaten Schulden nicht gerne so detailliert beantwortet sehen. Aber
hätte die Frage nicht eigentlich lauten müssen: Warum schöpfen Staaten
nicht ihr Geld selbst?
Die Panama Papers kamen für Ihr Buch leider zu spät - auch wenn Sie
mit der Schweiz das Thema Steueroasen beleuchten. Leider gehen Sie nur
kurz auf die USA als Steueroase ein, obwohl gerade die Bundesstaaten
Delaware oder Nevada die neuen Oasen und die USA nicht Teil des von
ihnen selbst initiierten und überall eingeforderten
"Steuerdatenaustauschprogramms" sind. Wie bewerten Sie solche
"Enthüllungen", die den Anschein haben lanciert zu sein?
Am Ende Ihres Buches stellen Sie verschiedene Forderungen auf, die man
auch unter dem Stichwort "Fehler im System" subsummieren könnte. Sind
diese Fehler in Ihren Augen ein stückweit nicht gewollt? Schließlich
hat schon Finanzminister Schäuble 2011 in einem Interview mit der New
York Times davon gesprochen, dass man eine "politische Union nur
erreichen kann, wenn wir eine Krise haben".
Nicht nur in Ihrem neuen Buch erklären Sie das bestehende System als
gescheitert. Ist es daher nicht Zeit sich auch Gedanken über ein neues
Geld-Finanz-Gesellschafts-System zu machen? Und wenn ja, wie könnte
ein solches aussehen? Oder müssen wir dazu auf den vierten Teil Ihrer
Buchreihe warten?
Und zuletzt sei mir noch die wohl fast obligatorische Frage gestattet:
Wie lange geben Sie diesem System noch bis es zum großen Knall kommt?
VG, Konjunktion
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Als Konjunktion wird in der Logik eine bestimmte Verknüpfung zweier Aussagen oder Aussagefunktionen bezeichnet.