Ist das schon Kommunismus?
Nein; Kriegswirtschaft (wenn auch - vorläufig - ohne Krieg). Wobei man allerdings wissen muss, dass Lenin seinen Kommunismus nach dem Vorbild der Kriegswirtschaft des deutschen Reiches aufbauen wollte.
Zitat aus Karl Kraus, "Die letzten Tage der Menschheit". So sieht sie aus, die Kriegswirtschaft:
Der Gegner heißt jetzt whlweise der Klimawandel oder Putin.
Aber immerhin bewahrte die Protagonistin das positive Denken.
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Ich habe nur zwei Kinder, die leider noch nicht militärtauglich sind, umsoweniger als das eine zu unserem Leidwesen ein Mädchen ist. So muß ich mir mit 'nem Ersatz behelfen, indem ich mich der Vorstellung hingebe, daß mein Junge schon an der Front war, aber selbstverständlich bereits den Heldentod gefunden hat, ich müßte mich ja in Grund und Boden schämen, wenn's anders der Fall, wenn er mir etwa unverwundet heimgekehrt wäre. Keinesfalls dürfte er mir in der Etappe sein, wiewohl sich ja auch dorthin eine Kugel leicht verirrt. Diese Vorstellung, die mit der beste Trost ist, den ich habe, und die ich gegen jeden Zweifel behaupte, indem ich den Zweifel mühelos abweise, diese Vorstellung befestige ich in der Zeit, die Ottomarchen zu schaffen hat. Ich bin also eigentlich immer beschäftigt, bis auf die halbe Stunde, die sich Männe, der soeben schaffen gegangen ist, zum Essen Zeit nimmt.
Was nun dieses Essen anlangt, so behelfe ich mir als tüchtige Hausfrau auch hier mit Vorstellungen. Heut waren wir in diesem Punkte gut versorgt. Es gab allerlei. Wir hatten da eine bekömmliche Brühe aus Hindenburg-Kakao-Sahne-Suppenwürfel »Exzelsior«, einen schmackhaften Falschen Hasen-Ersatz mit Wrucken-Ersatz, Kartoffelpuffer aus Paraffin und 'nen Musbrei nach Hausmannsart, versteht sich alles auf der Bratpfanne »Obu« bereitet, und zum Schlusse Schillerlockenersatz, der uns trefflich gemundet hat. Eine deutsche Hausfrau weiß, was sie ihrem Gatten in dieser ernsten, aber großen Zeit schuldig ist. Zwar Männe machte Männchen, weil er seine leckern Hausmacher-Eiernudeln nicht bekam. Is nich; so mußte er sich dreinfinden. Was uns anfangs sehr abging, war Margarineersatz, aber da wir Obu haben, so fehlt es uns jetzt an nichts mehr. In der Hausfrauenvereinigung haben wir neulich einstimmig beschlossen, daß die Mineral-nährhefe, deren Eiweißgehalt vorzugsweise durch die Verwendung von Harnstoff gewonnen wird, in Bezug auf Nährwert der Brauereihefe gleichkommt und darum nicht mehr ausschließlich an die Volksküchen verteilt werden dürfe. Es ist heute Mode, den breiten Schichten der Bevölkerung entgegenzukommen. Diese einseitige Bevorzugung muß ein Ende haben. Die bürgerlichen Kreise wollen auch leben. Die Miesmacher, die selbst hier was dawider haben, wenden ein, daß das Ding einen Heringsgeruch und einen Petroleum-geschmack habe und dadurch imstande sei, Ekel zu erregen. Wir deutschen Hausfrauen wissen aber Bescheid und wir hoffen, daß sich diese Eigentümlichkeiten beim Kochen vollständig verlieren werden, ja wir sind überzeugt, daß die Mineralnährhefe den Speisen einen feinen Wohlgeschmack verleiht.
Ist das Mittachbrot vorbei, so kommt wieder die Sorge um's Amdbrot. Zum Amdbrot gibts heut wie immer Eintopfgericht, zur Abwechslung aber Leberwurst aus Stärkekleister und rotgefärbtem Gemüse und als Käseersatz Berliner Quark mit Paprikaersatz, auch erproben wir heute das vielgerühmte Alldarin mit Eiersatz Dottofix aus Schlemmkreide mit Backpulver und etwas Salatfix, ein köstlicher Zusatz, den ich dem Salatin wie dem Salatol beiweitem vorziehe. Denn für den deutschen Familientisch ist das Beste gerade gut genug und es ist alles da, nich so wie bei arme Leute. Zur Vesper versuchten wir gestern Deutschers Teefix mit Rumaroma und waren recht angenehm überrascht. Zwar die Kinderchen machten Radau, weil sie ihre Rumgranaten Marke »Unsern Kriegern stets das Beste« nicht hatten. Männe bekam sein Eichelwasser, das beinahe so schmackhaft ist wie Tutti-Gusti-Kaffe Marke Schützengraben, der ja nun alle ist. Leider aber mußten wir uns ohne Süßstoffwasserersatz behelfen, so daß die Spritze leer neben jestanden hat. Ich wollte, einer raschen Eingebung folgend, sie mit Wasserstoffersatz füllen, um Männe die Vorstellung zu erhalten; es hieße aber den Gatten betrügen und wenn mal ein Schritt vom Wege getan ist, so folgt bald der zweite nach. So tat ich's denn nicht. Die schönen Zeiten sind nu mal vorbei, wo man's noch bequem hatte und einfach zu spritzen brauchte, um den Kriegs-Kaffee-Ersatz zu versüßen. Da man aber sonst überhaupt nicht wüßte, daß es jetzt durchzuhalten gilt, so nehmen wir solch kleine Entbehrungen gern in Kauf. Umso lieber, als man ja anderes jetzt gar nicht in Kauf nehmen kann, so daß wir das viele Geld, das Männe verdient, glatt zurücklegen können. Der faule Friede kommt früh genug, wo man's wieder für Tand ausgibt. Hoffentlich aber wird der Krieg noch lange genug dauern, daß auch darin ein Wandel zum Bessern eintritt. In der letzten Tagung der Vaterlandspartei hat Männe beantracht, daß der Krieg, den britischer Neid, französischer Revangschedurst und russische Raubgier uns aufjezwungen haben, auch nach Friedensschluß fortgesetzt werden soll, und mit diesem Antrach 'ne erdrückende Mehrheit erzielt. Nun heißt es durchhalten und je länger je lieber. Wir schaffen es. Kein Tag, der nicht 'ne Nachricht brächte, die das Herz lauter schlagen ließe. Wie sagt doch Emmi Lewald? »Dreitausend tote Engländer vor der Front! Keine Symphonie klänge mir jetzt schöner! Wie das angenehm durch die Nerven rinnt, fröhlich, hoffnungerweckend. Dreitausend tote Engländer vor der Front! – bis in die Träume klingt es nach und surrt wie eine schmeichelnde Melodie ums Haupt.« Bei Velhagen & Klasing ruft sie es aus. Ich fühle auch so. Und wie liebe ich die wundervolle Anny Wothe, die ihre prächtige Soldatenfrau dem Manne die Geburt eines gesunden Jungen mitteilen läßt: »Jott sei Dank wieder een Soldat! Der Junge soll Willem heißen, er soll einmal so fest werden wie unser Kaiser und druffschlagen, dat de Stücken man so fliegen. Die andern Jungen aber, sie beten alle Dage, du solltest recht ville Franzosen dotschlagen. lk bete ooch, aber nicht um dein Leben. Der steht bei Gott. Ik beet, det du ordentlich deine Pflicht tust, det du nicht zuckst, wenn die Kugel kommt, un der du ruhig stirbst, wenn et sein muß, vor unser Vaterland, un unsern Kaiser, un nich an uns denkst. Und wenn du vor deinen Hauptmann sterben kannst, so denke ooch nicht an uns. Die fünfe grüßen dir mit mir. Bei der Taufe von Willem wollen sie Heil dir im Siegerkranz singen, womit ik verbleibe deine treue Jattin!« – Ach weiß Jott, der einzige Grund, warum ich meinem Jatten nicht auch so schreiben kann, ist, daß er leider nicht im Felde ist, weil er zum Glück unabkömmlich ist, und ferner, daß ich nur einen Sohn habe, denn das jüngste ist wie gesagt leider 'n Mädchen. Für das Opfer, fürs Vaterland kein Opfer bringen zu können, müssen einen die geschäftlichen Erfolge entschädigen. Wahnschaffe hat soeben eine wirklich interessante Kriegsneuheit geschaffen, die schon in Deutschland und in dem mit uns Schulter an Schulter kämpfenden Östreich-Ungarn patentamtlich geschützt ist und deren Vertrieb an tüchtige Herren gegen hohe Provision vergeben wird. Es ist »Heldengrab im Hause«, zugleich Reliquienkästchen und Photographieständer und bietet somit nicht nur'n artiges Schmückedeinheim, sondern auch religiöse Erhebung. Es berührt mich wehmütig, daß wir selbst leider für so zeitgemäßen Totenkult im Zimmer keine Verwendung haben. Meine Kinder, nicht alt genug, um schon für den Kaiser sterben oder sich sonst für das Vaterland opfern zu können, haben aber leider auch den Nachteil, daß sie nicht erst nach Kriegsausbruch zur Welt gekommen sind. Sonst sollte mir der Junge Warschau heißen und das Mädchen Wilna oder er Hindenburg und sie Zeppeline! Denn daß der Junge Willem heißt, hat sich auch vor dem Krieg von selbst verstanden, ich sehe darin keine besondere patriotische Huldigung.
http://www.dieletztentagedermenschheit.at/stueck/sites/3-40-Villa-Wahnschaffe.htm
Gruß Mephistopheles