Selten, dass ich mit offenem Mund vor dem TV-Kasten stehe (Thema Musik)

helmut-1 @, Siebenbürgen, Freitag, 31.05.2019, 20:30 vor 1793 Tagen 5025 Views

Meine Frau sieht sich gerne am Freitag abend den rumänischen Talentwettbewerb an. Klar ist das was ganz anderes, vom Niveau her, nicht der billige Abklatsch von Bohlen & Co.

Aber dass ein Zigeunermädchen, das gerade die letzte Schulklasse vorm Abi beendet hat, ohne jegliche Gesangsausbildung professioneller Art, z.B. Musikhochschule oder Konservatorium, solche Darbietungen bringt, - also, da war ich platt.

Jeder weitere Kommentar ist hier überflüssig. Ich will höchstens noch rauskriegen, welcher "Sorte" von Zigeunern sie angehört, da gibts ja große Unterschiede.

https://www.youtube.com/watch?v=JIQkbC5X1qo

Ist mal was Erbauliches, so für den Abend, nach all dem Mist, den wir täglich vorgesetzt bekommen.

Ist natürlich schon ein Unterschied

helmut-1 @, Siebenbürgen, Samstag, 01.06.2019, 12:54 vor 1793 Tagen @ helmut-1 2074 Views

Ich will höchstens noch

rauskriegen, welcher "Sorte" von Zigeunern sie angehört, da gibts ja
große Unterschiede.

Ich habs rausgekriegt. Da ich davon ausgehe, hier im Forum wissen das sicher die Wenigsten, ein paar Worte dazu:

In Rumänien gibts verschiedene "ethnische Richtungen" von Zigeunern. Diese Untergruppen bleiben in der Regel unter sich, verheiraten sich auch fast ausschließlich untereinander und sind auch sonst eine geschlossene Gruppe mit eigenen Regeln und Traditionen.

Eine davon sind die Cortorar, auch "căldărar" in der alten Bezeichnung genannt. Das sind Zigeuner, die früher in Zelten gelebt haben, heute haben sie alle Häuser. Aber sie haben ihre eigenen Traditionen, und gerade sie haben diese am meisten bewahrt. Sie halten auch wesentlich mehr an den Traditionen als andere Zigeunergruppen.

Die Frauen zeichnen sich äußerlich durch ihre rotbunten Röcke aus, die Männer durch ihre breitkrempigen Hüte, mit runder Kappe über der Krempe. Viele haben auch Vollbart. Sie sind traditionell gute Blechhandwerker. Kupferschmiede, Gold- und Silberschmiede, auch Dachrinnen aus Blech fertigen manche an. Dass sie auch Musiker unter sich haben, resp. Leute mit Talent dazu wie die Sängerin, das ist mir neu.

Sie haben ihren eigenen Ehrenkodex, - sie klauen nicht, handeln gerne, waren traditionell die Pferdehändler. Seit das zurückgegangen und die Maschinisierung in der Landwirtschaft fortgeschritten ist, haben sie sich auf den Autohandel verlegt, - z.B. am Automarkt in Frankfurt sieht man genug von ihnen. Ein anderes Gebiet sind alte Möbel, die sie den Eigentümern auf den Dörfern abschwatzen und danach teuer nach Deutschland verkaufen. Trotzdem haben sie, sofern sie Bedarf haben, immer noch die schönsten und kräftigsten Pferde.

Vom Aussehen her kann man insbesondere die Frauen kaum von den rumänischen Frauen unterscheiden. Manche sind natürlich auch schwarzhaarig und mit dunklem Teint, aber viele sind mit hellem Teint, haben auch nicht das traditionelle Rote in den Augen wie die Zigeuner und die dunkle, heisere Stimme, sondern sind brünett, manche sogar blond. Wenn manche einen etwas gebräunten Teint haben, dann kommt das oft von der Sonne und der Feldarbeit.

Ein paar Fotos zur Erläuterung:

https://ibb.co/c2xK6kC

https://ibb.co/GdFmFVP

https://ibb.co/KsScTgC

Deshalb sieht man dieser Sängerin auch ihre Herkunft nicht an, im Gegensatz zu den üblichen Roma.

Das eine ist Mystik, das andere aussterbende Realität

helmut-1 @, Siebenbürgen, Samstag, 01.06.2019, 16:33 vor 1792 Tagen @ stokk 1277 Views

https://www.amazon.de/Die-Ursitory-Zigeunerroman-Mat%C3%A9o-Maximoff/dp/3717512722/ref=...

Daran kann man glauben, oder auch nicht. Der Rumäne ist, zum überwiegenden Teil - sehr kenntnislos, was natürliche Zusammenhänge um ihn herum betrifft. Naturwissenschaftliche Dinge, die Kombination aus Physik, Chemie und Biologie, das ist ihm nicht geläufig. Der Zigeuner aber toppt das alles noch um ein Vielfaches. Ich hab ja erst das Beispiel mit der Blindschleiche gebracht, die meine Zigeuner als Klapperschlange identifiziert haben, und dabei den Begriff Ringelnatter verwendeten.

Also, diese Unterschiede kenne sogar ich als Stadtkind, - der eigentlich naturverbundene Zigeuner hat da nichts in petto. Insofern ist es erklärbar, dass z.B. ein Mitschüler, der das wusste, einem Zigeunerjungen eine Blindschleiche auf die Schulter warf. Der Zigeunerjunge blieb sein Leben lang schreckhaft, er hat als Erwachsener bei mir gearbeitet, deshalb weiß ich das.

Zwei Beispiele:
Wir arbeiteten an einem UNESCO-Objekt, Generalrenovierung, etc. Um die Wehrkirche herum befanden sich verschiedene kleinere Bauwerke, unter anderem eine Gruft mit den Grabmalen von Bischöfen. Ich wollte denjenigen, die besagten Mitarbeiter oftmals wg. seiner Schreckhaftigkeit hänselten, eine Lektion erteilen. In einem unbedachten Moment (wir arbeiteten dort bis in die Dunkelheit, wg. der vielen Touristen) verschwand ich unbemerkt in dieser Gruft.

Dann begann ich mit tiefer hohler Stimme leise zu brummen, das ich zunehmend verstärkte. Hörte sich natürlich in dem steinernen Gebäude seltsam an. Alle haben daraufhin die Flucht ergriffen. Keiner stellte die Verbindung mit der Tatsache her, dass der Chef, der vorhin noch da war, fehlt. Und dass Tote nicht brummen können.

Das andere:
Ich arbeitete mit einem Siebenbürger, der genauso den Schalk im Nacken hatte wie ich, mit einem Zigeuner auf einem Friedhof. Das war die Zeit kurz nach 1989, als es den Asylantenschub aus Rumänien in Deutschland gab. Ich hatte damals auch einige davon beschäftigt, in der Firma in Deutschland. Das Doppelgrab gehörte einem Kunden, und wir sollten das neu gestalten. Alles Pflanzliche herausgenommen und die ganze Fläche erstmal umgegraben.

Ich gab dem Siebenbürger versteckt ein Zeichen. Dann begann ich plötzlich mit dem Spaten flach auf den Boden zu schlagen und Schimpfwörter zu rufen, dann rief ich "gehst Du wieder runter, ...". Der Zigeuner, der ohnehin nur schlecht deutsch konnte, wusste nicht, was geschah. Der Siebenbürger übersetzte ihm, was ich dann sagte: So ein Kerl, - da streckt der doch die Hand aus der Erde heraus und zeigt mir den Stinkefinger. Darum habe ich da draufgeschlagen und dem gesagt, dass er wieder nach unten abhauen soll.

Ich denke, ich muss nicht erwähnen, dass ich den Zigeuner an diesem Tag nicht mehr gesehen habe.[[rofl]]

Das alles erklärt, warum gerade bei diesem Volk die Mystik und der Aberglaube weit verbreitet ist. Das ist der Nährboden für den Stoff, aus dem die Träume sind. Und daraus kann man dann auch ein Buch machen.


Fanfare Ciocarlia kennst Du?
Feinste Musik:
https://www.amazon.de/Baro-Biao-Fanfare-Ciocarlia/dp/B007TULF44/ref=sr_1_3?__mk_de_DE=%...

Es ist eine ganz bestimmte Stilrichtung. Aber sie ist in dieser Qualität im Aussterben begriffen. Früher gab es aus der Gruppe der Roma hervorragende Musikanten, auf vielen Instrumenten. Sie spielten sogar die deutsche Blasmusik der Siebenbürger oftmals besser, als die Siebenbürger selbst, was diese auch neidlos eingestanden. Das Abdriften der Kultur brachte mit sich, dass das abflachte und man die letzten aus dieser Generation schon fast zur Gänze beerdigt hat.

Eigentlich schade, denn das war schon was Besonderes. Ich habe (damals noch im tiefen Kommunismus) diese Romagruppen auf dem internationalen Festival in Straßnitz (Mähren) selbst gesehen und gehört. Die ganze Nacht wurde dort im Schlosspark musiziert. Hab denen Wein spendiert und dann haben sie bei mir am Tisch weiter gemacht.

Alles vorbei. Anstatt die Kinder an die Musikinstrumente zu bringen, erziehen sie die Kids zu Smombies. Als ich noch in Deutschland war, da kannte ich gute Musikanten aus der Gruppe der Sintis (gibts fast nicht in RO). Die hatten da noch mehr "Vorrat" an Talenten. Wie es bei denen heute ist, weiß ich nicht.

Gruß zurück!

Da muss man dazu aber auch die Eigenheiten dieses Volkes kennen

helmut-1 @, Siebenbürgen, Samstag, 01.06.2019, 17:11 vor 1792 Tagen @ Reffke 1283 Views

Hallo, Reffke,

ist ja schon beeindruckend, der Film, der von Selbstmitleid strotzt. Um das zu beurteilen, muss man mit und zwischen diesen Leuten leben. Dann kann man den Vergleich zu unsereinen ziehen.

Was meine ich damit:
Der Cortorar ist zwar um einige Stufen höher anzusiedeln als der "gemeine Roma", trotzdem aber hat auch er die typischen Merkmale dieser Ethnie.

Wodurch unterscheiden sie sich grundsätzlich von anderen:

Der Deutsche: lebt, um zu arbeiten
Der Rumäne: arbeitet, um überleben zu können
Der Zigeuner: versucht, in seiner Philosophie das Wort Arbeit, so weit es nur geht, auszuklammern

Um bei letzterem zu bleiben:
Er kann nicht planen, - sich ein Ziel setzen und das Ganze Stein auf Stein wie ein Haus aufzubauen. Das, was ihm nicht quasi über Nacht gelingt, das ist nichts für ihn. Deshalb gehen auch die meisten Förderprogramme des Staates (handwerkliche Unterweisungen für Roma in Kursen) in die Hose.

Er ist nicht flexibel, was seine Tätigkeit betrifft, die er beherrscht. Natürlich sind die Cortorar, die sich in einem Dorf direkt neben einer Stadt aufhalten, wesentlich besser dran. Da kommen die Touristen in diese Stadt, und beim Besuch der nächsten Stadt fahren sie genau durch dieses Dorf, und aufgefädelt an der Straße, stehen 30 Stk. Cortorar (oder deren Frauen) und bieten die Souvenirs in kupfernem Kunsthandwerk an. Während die Touristen das eine oder andere bestaunen und sich dabei finanziell über den Tisch ziehen lassen, bekommt der Busfahrer, der ja extra dort stehen bleibt, in "intimem Einverständnis" von einem der Cortorar etwas zugesteckt, und dann gehts wieder weiter.

Wenn man natürlich in so einem entlegenen Dorf lebt wie in dem Film, dann gibts die Möglichkeit nicht. Der dort lebende Cortorar ist aber auch nicht in der Lage, seine Chancen in RO auszuloten und evtl. in eine andere Gegend zu ziehen. Woanders hinzugehen, kommt für ihn nicht in Frage, - dann geht er schon eher ganz aus dem Land heraus.

Die wenigen Geschäftstüchtigen unter ihnen wissen, wie man aus "wenig" "mehr" macht. Autohandel, Handel mit alten Möbeln, Pferde, etc. Entweder der junge Cortorar hat da Verbindung mit so jemanden und er wächst in die Sache hinein, kann dadurch leben und vor allem überleben, und hat die Aussicht, mal später das Ganze selbst zu übernehmen, - dann geht das. Aber ohne Connections sich selbst was aufzubauen oder eine Idee zu entwickeln, - das ist nicht.

Dazu kommen noch andere Eigenheiten, z.B. Ordnung halten, Geräte und Werkzeuge pflegen und ständig verwendbar aufzubewahren, - das geht nicht in seinen Kopf hinein. Bei mir im Betrieb sind die Regale sowie die dort herrschende Ordnung so eingerichtet, dass ich auch bei Dunkelheit und Stromausfall alles finde, was ich im Moment holen will.

Wenn einer meiner Zigeuner die Flex aus dem Regal holt, wo nur die verschiedenen Flex nebeneinander liegen, dann kann man sicher sein, dass er sie ins Regal darunter zurücklegt, wo die Bohrmaschinen nebeneinander liegen. Ich hab alles probiert, auch mit Geld, - man kriegt das bei denen nicht hinein. Insofern fehlts dann bei denen, wenn sie irgendwas reparieren wollen, weil die Hilfsmittel irgendwo draußen im Dreck herumliegen und vergammeln.

Wenns aber darum geht, die Feiertage "richtig" zu genießen, dann haut er richtig rein. Da wird sich verschuldet, und es ist dann egal, wie lange und für welche Konditionen er dann bei dem Bauern arbeiten muss, bis er seine Schulden zurückbezahlt hat. Sich nach der Decke zu strecken, - das kennt er nicht. Ganz typisch ist für den Roma, sich vor Weihnachten auf Schulden eine Musikanlage zu kaufen, damit er über die Feiertage (das geht von Weihnachten so ca. bis 7. Januar) so richtig in seinem Element ist. Danach, im Januar, da gibts weder bei den Bauern oder z.B. auf dem Bau Arbeit, da wird die Musikanlage wieder verkauft, natürlich mit Verlust, damit der Schuldbetrag nicht mehr so hoch ist.

Die örtlichen Geldverleiherfirmen profitieren davon, es werden Zinsen zwischen 60% und 100% p.a. verlangt, und das ist alles legitim. Es gibt in RO keinen Wucherparagrafen (freie Marktwirtschaft).

Man könnte noch vieles anführen, - aber ich will damit nur sagen, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Und wenn das ins Lebenskonzept eines Cortorar eben nicht so hineinpasst, dann muss er halt jammern.

Trotzdem soll man nicht übersehen, dass es einen ganz geringen Prozentsatz gibt, der was aus sich macht. Nicht nur das Mädchen mit dem Gesangstalent, das ich benannt habe, sondern auch diejenigen, die Universitätsabschlüsse erfolgreich hinlegen. Einer meiner Roma ist ein armer Hund, weil er zwar arbeitet wie ein Blöder, aber seine Familie hilft da kaum mit, die profitieren nur von ihm. Sein Junge aber ist der beste in der Volksschulklasse, was den Notendurchschnitt betrifft.

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