Todd schliesst sein Buch so (deepl):
"Die kurzlebigen militärischen Erfolge des ukrainischen Nationalismus haben die USA in eine Eskalation gestürzt, aus der sie nicht mehr herauskommen können, weil sie sonst eine Niederlage erleiden würden, die nicht mehr nur lokal, sondern global ist: militärisch, wirtschaftlich und ideologisch. Die Niederlage wäre jetzt: deutsch-russische Annäherung, Entdollarisierung der Welt, Ende der Importe, die durch die "interne kollektive Notenpresse" bezahlt werden, große Armut.
Aber ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob die Leute in Washington sich dessen bewusst sind. Beten wir sogar dafür, dass sie es nicht sind und sich als fähig erweisen, einen Frieden zu schließen, von dem sie glauben würden, dass er für sie und Kiew nur ein anderes Saigon, ein anderes Bagdad oder ein anderes Kabul ankündigt.
Der soziologische Nullzustand Amerikas macht es uns jedoch unmöglich, vernünftige Vorhersagen über die endgültigen Entscheidungen seiner Führer zu treffen. Wir sollten uns vor Augen halten, dass der Nihilismus alles, absolut alles, möglich macht.
Wenn wir Amerikas strategische Entscheidungen antizipieren wollen, müssen wir daher dringend das Axiom der Rationalität aufgeben. Die USA sind nicht auf der Suche nach Gewinnen, indem sie Kosten abwägen. Im Dorf Washington, im Land der Massenerschießungen, in der Zeit der Nullreligion, ist der Urtrieb ein Bedürfnis nach Gewalt."
Der Versuch einer Lösung multipler kulminierender Krisen mittels Kultivierung von Gewaltexzessen, in geschichtlichen Phasen, die sich zyklisch als Kondratieff-Winter oder 4th turning abzeichnen und mit innerer Sklerose und äusserem Machtverlust einhergehen, ist ein immer wiederkehrendes Motiv der Geschichte, einfach gesagt, wenn die bestehenden Institutionen und das Geldsystem die gesellschaftlichen Verhältnisse und Prozesse nicht mehr aufrechterhalten können, wird auf Gewalt rekurriert. Nichts Neues für dieses Forum.
Allerdings ist dies kein Automatismus, wie zuletzt die Sowjetunion gezeigt hat, als die dortigen Eliten ermattet die Hände (scheinbar?) vom Steuer nahmen und die Dinge (für die Nation) ihren Gang in den Orkus laufen liessen. Die Frage ist immer also auch, ob sich eher ein Churchill findet, oder ein Gorbatchov, um den Status Quo zu beenden.
Auffallend unterscheidet Todd nicht oder wenig zwischen den Interessen der Nation (Amerika) und jenen der richtungsbestimmenden Eliten (damit meine ich nicht die öffentlich agierenden Regierungssprecher oder Parlamentarier). Diese Interessen können mehr oder weniger divergieren, im Augenblick sind im Westen wohl überhaupt nur noch wenige Übereinstimmungen erkennbar.
Was aus Sicht der Nation bzw. ihrer Bürger wie Irrationalität erscheint, kann aus anderer Perspektive - der Eigentümer, der Machtinhaber - langfristig gedacht durchaus rational sein. Wenn Todd die USA als ein angeschossenes Wild im Todeskampf beschreibt, fern jeder Ratio, dann fehlt mir doch die Beleuchtung der Eigeninteressen dieser Entscheidungsträger und ihrer Strategien. Ohne eine solche Untersuchung bleibt das Werk mehr eine unterhaltsame Chronik und Phenomenologie des Niedergangs des US-geführten Westens, eine um viele Fakten, Anekdoten und Details erweiterte und aktualisierte Version des Interviews mit der Weltwoche.
Handlungsvorschläge kann ich keine erkennen. Den Wichtigsten liefert aber Weiner.
Gruss,
mp