Sonntäglicher Müßiggang: Der Zins

tar ⌂ @, Gehinnom, Sonntag, 24.04.2022, 13:12 vor 1056 Tagen 3212 Views

Vorab zur Reinigung des aktuellen Geisteszustandes:
https://www.youtube.com/watch?v=MdTdWkATDNo

Nun zur Erinnerung die unterschiedlichen Zinsarten:

1. Urzins: ergibt sich aus der sogenannten »Urschuld«

Wer urschuldig ist (= lebt, also alle Lebewesen), muss zinsen.

»Denn das menschliche Daseyn, weit entfernt den Charakter eines Geschenks zu tragen, hat ganz und gar den einer kontrahirten Schuld. Die Einforderung derselben erscheint in Gestalt der, durch jenes Daseyn gesetzten, dringenden Bedürfnisse, quälenden Wünsche und endlosen Noth. Auf Abzahlung dieser Schuld wird, in der Regel, die ganze Lebenszeit verwendet: doch sind damit erst die Zinsen getilgt. Die Kapitalabzahlung geschieht durch den Tod. – Und wann wurde diese Schuld kontrahirt? – Bei der Zeugung. –«
(Quelle: Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Zweiter Band, Kapitel 46: Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens, Grisebach, Leipzig, Reclam jun., 1892)

Stelle ich keinen Nachschuldner (Pflanzen, Tiere, andere Menschen), der für meinen Urzins aufkommt (= Stillen meines Hungers mit Kohlenhydraten, Fett, Eiweißen, usw.), wird meine Urschuld ausgebucht und ich sterbe.

2. Census: die Abgabe (»Zinnß«, Abgabezins)

Unterworfene haben zum festgelegten Termin eine Abgabe in festgelegter Höhe ohne Gegenleistung zu leisten (intern: Steuern, extern: Tribut), um der angedrohten Sanktion zum Termin zu entgehen.

»Where's the beaf? I show you the beaf: You live in a nice town in the middle of Germany. I take my Kalaschnikoff and enter your building. I browse through your famous library and then I tell you: ›Next week, I'll be back. Precisely same time, same library. Then you will give me ten pounds of fiorentina beef. If I don't get it then - I'll shoot you and I mean it and that has nothing to do with my deeply felt sympathy for you.‹ Next week you will deliver the beef! For sure! There's the beef!«
(Quelle: Paul C. Martin, 24.04.2003)

»Der Unterschied zwischen dem mesopotamischen und dem heutigen Abgabensystem besteht im Wesentlichen darin, dass die Altvorderen bereits das zu erbringende SOLL als Schuld verbucht haben, während wir heute das sich ergebende IST halt so nehmen, wie es kommt, und die Differenz als ›Staatsschuld‹ deklarieren, wobei wir übersehen, dass diese selbstverständlich eine Schuld ist, die auf die gesamte Bevölkerung (wie auch immer dann dort verteilt und wann auch immer fällig) zukommt. Man müsste also nicht sagen: ›Schulden sind die Steuern von Morgen‹, sondern ›Schulden sind die (heute noch nicht verbuchten) Schulden von Morgen‹.«
(Quelle: Paul C. Martin, 16.08.2004)

3. Usura: Abgabenbeschaffungs-Zins

Wird bezahlt, um die Sanktion unter 2. zu vermeiden.

Wer das Gesollte hat, obwohl es bei ihm gerade nicht gesollt ist, kann es gegen Usura bis kurz vor seinem eigenen Termin verleihen. Da im Stamm nicht gezinst wird, erfolgt dies an einen Fremden, der das Gesollte zu seinem jetzt drohenden Termin nicht haben wird und deshalb von der Sanktion bedroht ist.

Das Procedere läuft üblicherweise per Beurkundung des Kreditvorganges, z.B. auf Tontäfelchen, wenn der Habenichts eine Sicherheit hinterlegen kann oder ein Dritter für ihn bürgt. Beim ersten und ältesten Usura, den wir kennen: 33,3 % für Naturalabgaben-Leihe. 20 % für Silberleihe (nach Standardisierung der Abgabe, siehe Codex Hammurapi).

4. Diskont: Usura-Teilungs-Zins, Zinsabschlag

Eine gängige und altbekannte Praxis: der Vorgang aus 3. wurde beurkundet. Will der Verleiher (warum auch immer) eher an das Gesollte, bietet er die Urkunde über das Schuldverhältnis einem Dritten an, der es nur gegen Einstreichen von Vorfälligkeitszinsen (umgekehrter Zinsabschlag) akzeptiert, da dieser bis zum Fälligkeitstermin warten muss.

- Abzinsung (Diskontierung): Wert einer zukünftigen Zahlung zum früheren (jeweils aktuellem) Zeitpunkt
- Aufzinsung (Askontierung): Wert einer Zahlung zu einem späteren (fälligen) Zeitpunkt
=> Der Aufzinsungsfaktor ist der Kehrwert des Abzinsungsfaktors für den gleichen Zeitraum

5. Foenus: der »moderne« Zins (z.B. für Investitionskredite), Kapital-Zins, Darlehens-Zins (engl. »interest«)

Wird gewöhnlich auf einen Zeitraum (z.B. Jahr) angegeben und in einem Prozentsatz des Kapitals ausgedrückt (Zinsfuß), dessen Höhe sich nach Angebot und Nachfrage, Sicherheit der Person oder des Pfandes, Dauer, etc. richtet.

Dieser kann nicht bei 33,3 % (Silberleihe = 20 %) gelegen haben, da diese Margen nicht zu verdienen sind, siehe Usura. Bspw. legte Kaiser Justinian 12 % als Zinsmaximum bzgl. des »foenus nauticum« fest (Quelle).

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Gruß!™

Time is the school in which we learn,
Time is the fire in which we burn.


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Das Tabu - alle kennen es, alle wissen um es, aber keiner spricht es an: Eben weil es Tabu ist

Mephistopheles, Sonntag, 24.04.2022, 17:05 vor 1056 Tagen @ tar 2150 Views

bearbeitet von Mephistopheles, Sonntag, 24.04.2022, 17:33

Vorab zur Reinigung des aktuellen Geisteszustandes:
https://www.youtube.com/watch?v=MdTdWkATDNo

Nun zur Erinnerung die unterschiedlichen Zinsarten:

1. Urzins: ergibt sich aus der sogenannten »Urschuld«

2. Census: die Abgabe (»Zinnß«, Abgabezins)

3. Usura: Abgabenbeschaffungs-Zins

4. Diskont: Usura-Teilungs-Zins, Zinsabschlag

5. Foenus: der »moderne« Zins (z.B. für Investitionskredite), Kapital-Zins, Darlehens-Zins (engl. »interest«)

Wir Alle stammen ab von Jägern und Sammlern, die weder säten noch ernteten noch sich kleideten und keinen Herrn über sich und keinen Diener unter sich hatten. Wir haben sogar in den letzten Jahrhunderten während des Entdeckungszeitalters Jäger- und Sammlervölker kennengelernt, die sich nicht kleideten, keine Herren kannten und keine Diener und keine Institutionen, und trotzdem hat, bei aller Kritik an den bestehenden zivilisatorischen Verhältnissen, niemand den ernsthaften Versuch unternommen, wieder zum Jäger- und Sammlerdasein ohne Arbeit und ohne Rechte und ohne Pflichten zurückzukehren - außer einigen verschrobenen Einzelgängern (Auch das wissen wir: 1. es ist möglich und 2. aber nicht alleine).

Es ist so, dass, kaum haben wir die Kultur (im klassischen Wortsinn von colere = hegen, plegen, anbauen) entdeckt, als wären wir auf einer Einbahnstraße gelandet, wo man nicht wenden kann.

Außer uns teilt dieses Schicksal noch unser ältestes Haustier, die Hunde. Hunde waren bereits Haustiere, also domestiziert, bevor Häuser erfunden wurden und gehören nach der klqassischen Artdefinition zu den Wölfen, da sich sich mit jedem Wolf paaren und fortpflanzungsfähige Nachkommen bekommen können. Sie sind somit Wölfe, genau so wie Menschen Neandertaler sind (und keine andere Menschenart), da wir Vorfahren unter den Neandertalern haben, die sich fortpflanzen konnten.

Trotzdem ist es den Wölfen, die wir als Hunde kennen, kaum wurden sie domestiziert, unmöglich, in freier Wildbahn als Jäger zu überleben. Wie wir auch. Jahrmillionen haben unsere vorfahren als Jäger und Sammler überlebt; wir könnten es nicht mehr. Das bedeutet eigentlich, dass, wenn einmal die Zivilisation verschwinden sollte, die Art der Menschen zum Aussterben verurteilt ist. Eben, weil sie (mit der Zivilisation) eine evolutionäre Sackgasse eingeschlagen hat.

Das unterscheidet uns und die Wölfe, von den Schweinen, die als Razorback keinerlei Probleme haben, zu überleben.

Somit sind alle Diskussionen um Zinss, Census, Usura, Diskont und Foenus obsolet.

Gruß Mephistopheles

@tar: Übrigens vielen Dank, das du @dottore wieder ausgegraben hast. Wenn auch der Leib sterblich ist, so ist doch der Geist unsterblich. Meph

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