Türkei: Es droht mehr Ungemach für die EU aus dem Südosten
bearbeitet von Ikonoklast, Samstag, 13.11.2021, 14:54
Hallo Forum,
wie in einem anderen Beitrag schon kurz angeschnitten, hält der Ministerpräsident und oberste Zentralbänker der Türkei die Zinsen in einem höchst inflationärem Umfeld künstiglich niedrig. Mit der Konsequenz, dass man für einen Dollar das erste Mal über 10 Lira hinlegen musste. Auch für einen Euro bekommt man fast 11,5 Lira.
Zusammenfassung der explosiven Situation
Warum sollte die Europäer ein Wertverfall der Türkisschen Lira nun beunruhigen. Wie an anderer Stelle schon geschrieben, sind viele türkische Unternehmen, Privatpersonen und auch der Staat im Ausland verschuldet. Allen voran bei europäischen Bankhäusern. In Artikeln in der Welt und den Deutsche-Wirtschaftsnachrichten aus 2018 bzw. 2020 werden die Probleme für die europ. Geldhäuser noch einmal ausführlich (Kapitalflucht, Auslandsverschuldung, Zinsfalle, Währungsverfall, schrumpfende Wirtschaft) beleuchet.
Geopolitik
Neben der Spekulation von mir, Europa zu schaden, könnte das geopolitische Gewicht der Türkei mit ein Grund für Erdogas taktieren sein. Die Türkei ist in das Machtvakuum, welches die USA nach Abzug aus Afghanistan und dem defacto Rückzug aus Syrien und dem Irak zurückgelassen haben vorgestoßen. Erdogan hat versucht auf der einen Seite, dieses so gut es eben geht mit militärischer Präsenz und Engagement und und auf der anderen Seite mit dem spielen der Islamischen Karte auszufüllen. Dies ist ihm auch teilweise gelungen, sodass er seine Ambitionen auf Libyen ausgeweitet hat.
Aber all das fällt nicht vom Himmel, sondern es muss Präsenz und Engagement gezeigt werden. Präsenz und Engagement kosten - wie uns die USA gezeigt haben - erhebliche monetäre Mittel. Welche die Türkei eigentlich nicht hat. Und nun, wie am Anfang dieses Abschnitts erwähnt, wieder zurück zur einmaligen geopolitischen Lage der Türkei.
Wie eigentlich jeder aus dem Erdkundeunterricht in der Schule weiß, liegen der Bosporus und die Dardanellen auf dem Staatsgebiet der Türkei. Diese natürlichen Engstellen sind die Transitrute für (Kriegs-) Schiffe, wenn sie vom Mittelmeer ins Schwarzemeer oder andersherum wollen. Russland hat mit dem Anschluss der Krim, den Flottenstützpunkt Sewastopol dauerhaft in sein Staatsgebiet eingliedern können. Die Krim mit diesem militärisch genutzen Hafen ist wohl der einzige eisfreie Hafen der russischen Seestreitkräfte. Deswegen bemüht sich Russland um gute Beziehungen zur Türkei, um freie Fahrt durch den Bosporus und die Dardanellen zu haben. Im Gegenzug tun die USA und die EU alles dafür, dass die Schwarzmeerflotte der Russen eben dort verbleibt.
Zu Russland und Türkei gibt es geopolitsch für Europa aber noch etwas anderes interessantes zu berichten: Die Gaspipelines Turkis-Stream und TANAP.
Eben diese Pipelines sind jetzt für Europa wichtiger denn je. Die Ukraine und Russland streiten seit einiger Zeit ums Gas. Hier ist es durchaus möglich, dass der Gasfluss ausbleibt. Ebenso hat Lukaschenko gedroht, bei weiteren Sanktionen die Northern-Lights und Yamal-Pipeline zuzudrehen. Eine stabile Versorgung wäre dann noch über Nordstream 1+2 und die südlichen Pipelines über die Türkei möglich. (Nicht vergessen, Kohlenwasserstoff soll offiziell gewollt in Europa nicht günstig sein...)
Einzig und allein die Flüchtlingskarte lässt sich von Erdogan nicht mehr richtig ausspielen, da die europäischen Staaten ihm diesen Zahn durch den Bau von Grenzzäunen weitestgehend gezogen haben. Zudem dreht die Stimmung in der europäischen Bevölkerung aufgrund steigender Preise (Inflation) und Mangel zusehens.
Nächste Theorie
Meine nächste Theorie wäre, dass Erdogan seine geopolitsiche Lage ausnutzen muss, damit er nicht sein Gesicht und das Bild des Starken Mannes vom Bospurus in der türkischen und islamischen Öffentlichkeit verliert. Die Türkei ist pleite, für eine (wirtschaftliche) Kursänderung viel zuspät. Nun sitzt Erdogan beim geopolitischen Poker mit runtergelassenen Hosen da. Um vielleicht doch noch ein paar Punkte einfahren zu können (= sein Spiel noch in die Verlängerung retten zu können) geht er 'all in' mit dem Versuch nicht zu zwinkern (ohne Hose ). Soll heißen, wenn die europäischen Banken fallen, die Türkei weiter in Richtung pleite geht, hofft bzw. versucht er, wie oben dargelegt eine Rettung aus Europa und den USA zu erzwingen. Sein Netz und doppelter Boden ist Russland bzw. China (China hat noch einige Dollars, die unters Volk müssen), denn seine Hoffnungen auf Rettung aus Nordosteuropa bzw. dem Fernen Osten fußen, so denke ich, auf der gestrategisch wichtigen Lage der Türkei. Wenn die USA und Europa nicht helfen, geht die gepolitische Macht an Russland/China. Dadruch hätten dies beiden Mächte den Zugang vom/zum Schwarzen Meer unter Kontrolle, sowie die Südversorgung der EU mit Erdgas.
P. S. Auch Auslandstürken könnte Ungemach in Form einer Privatinsolvenz ins Haus stehen. Erdogan rief seine im Ausland lebenden Landsleute auf, deren Divisen in Lira zu tauschen um den Kurs der Lira zu stützen. Den Infos meines Infotürken nach, kamen wohl sehr viele dieser Aufforderung mit einem Großteil ihrer Ersparnisse nach...
edit: Link zur Aussage Lukaschenkos ergänzt.
edit2: zweite Karte mit Grenzzäunen eingefügt.
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Grüße
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Ich bin und zugleich nicht.