Sicherheiten, Bewertungen, Schuldendruck, Vermögenskonzentration, Massennachfrage : die Matrix hat viele Facetten

Miesepeter, Mittwoch, 10.06.2020, 17:15 (vor 1417 Tagen) @ Ashitaka1717 Views
bearbeitet von Miesepeter, Mittwoch, 10.06.2020, 17:55

Die deflationären Tendenzen wirken unverändert. Nur weil aus Staatsanleihen durch Aktivtausch beim Kreditinstitut ZBG wird, >wird ja den Kreditinstituten nicht ungehindert der Zugang bis vor den Tresen der ZB gewährt.

Aus Lang mach kurz, bedeutet eben nicht automatisch, dass damit inflationäre Impulse einhergehen müssen. Die ZB kann kaufen was sie will, erst wenn die durch die Kreditinstitute zu besorgenden Geldeinheiten ohne ausreichende / vorhandene Sicherheiten sowie positiver Kapitaldienstfähigkeiten buchbar bzw. beurkundbar werden, d.h. das Wertbegründende des Kreditwesens (Vertrauen = Verpflichtung) schwindet, öffnen sich die Schleusen.

Siehste doch genauso, oder?

Hi Ashitaka,

Grundsätzlich schon, es ist immer wieder verblüffend für mich, wie oft die einfache Gleichung: mehr ZBG = mehr Inflation wiederholt wird, obwohl es als Arbeitshypothese doch nicht der ersten Überprüfung standhält....

Wobei ich neben Sicherheiten & Kapitaldienstfähigkeit & Vertrauen (welche ja in ihrer Dynamik durch die ZB auch gesteuert werden können) noch ein paar andere Aspekte sehe, welche in die Betrachtung miteinfliessen sollten. Der Sinn der ganzen Veranstaltung ist doch die Erzwingung von Leistung durch Vorfinanzierung, Schuld & Sanktion. Die ZB muss dabei die Bedienbarkeit der Schulden in einer Volkswirtschaft insgesamt so steuern, dass sie einerseits nicht so erdrückend werden, dass die Schuldner unter ihrer Last zusammenbrechen (und dann nicht mehr leisten, = Deflation), und andererseits nicht so leicht bedienbar werden, dass "Leistung sich nicht mehr lohnt" (Inflation). Über die Geldpolitik einerseits und die Steuerpolitik andererseits wird so die Geschwindigkeit des Hamsterrads für die "Unterhunde" reguliert.

Solange der Staat sich dabei verschuldet, um zu "investieren", also um das Hamsterrad instandzuhalten oder gar zu beschleunigen, und somit die Grundlage für zukünftige Steuereinahmen und Schulden zu legen; und dies bevorzugt dann macht, wenn er in keine Konkurrenz zur Wirtschaft um freie Resourcen treten muss (zb in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit), sehe ich überhaupt kein Problem, selbst wenn er sich hierzu bei der Notenbank (re-)finanziert.

Wie an der aufgehenden Schere der Einkommens- und Vermögensverteilung erkennbar ist, konzentrieren sich die aus den Schulden resultierenden Guthaben zusehends in den Händen einer immer kleineren Gruppe, während die grosse Masse einen immer kleineren Anteil an Einkommen und Vermögen hält. Entsprechend gibt es für den Massenbedarf wenig steigende monetäre Nachfrage, und somit auch wenig Spielraum für Preissteigerungen.

Anders ist es dort, wo Güter für Vermögende angeboten werden (von Anlagegütern bis zum Chateau Mouton 2003), dort gibt es seit langem eine deutliche Inflation. Es beeinträchtigt aber das Wirtschaftssystem nicht, dass ein guter Wein für viele Leute nicht mehr bezahlbar ist. Trotzdem wird der Markt für diese Produkte geräumt, und die Käufer fühlen sich womöglich noch besser, weil sie nun eine Flasche Wein in Besitz haben, die nicht mehr nur 100 DM, sondern sogar € 1000 "wert" ist.

Die den steigenden Schulden entgegenstehenden Guthaben und Vermögensanlagen haben einen ähnlichen Effekt: Die Preisinflation dieser Güter wird von den Besitzern als positiv empfunden. In der Realwirtschaft kommen diese Guthaben längst nicht mehr an, niemand kauft mehr bei Aldi ein, weil der Wert seines Portfolios im letzten Jahr um 1 Mio € angewachsen ist. Auch auf die Nachfrage nach Produkten von Peugeot, Samsung, Coca-Cola, Gillette, Barilla oder dem Kartoffelbauern vom Nachbardorf wird das keinen Einfluss haben.

Kurz gesagt: Das System funktioniert reibungslos, solange die Massenproduktion durch ausreichende Nachfrage einerseits und ausreichenden Schuldendruck andererseits aufrechterhalten werden kann und nicht in einem deflationären Nachfragerückgang zusammenbricht; aber gleichzeitig auch verhindert werden kann, dass Neuschulden über den Umweg von steigenden Löhnen oder Sozialbezügen zu über den aktivierbaren Produktionskapazitäten liegenden Nachfragesteigerungen in den Massenmärkten führen.

Deflation in der Realwirtschaft ist für das System sicherlich ein kritischeres Problem als Inflation in der Finanzwirtschaft der oberen 1%.

All diese Faktoren auszutarrieren, ist Aufgabe der Geld- und Wirtschaftspolitik. Dazu gehört auch, entsprechend gegenzusteuern, wenn die Parameter einmal in einer Richtung durchbrochen werden. Wie immer im Leben geht das meistens gut, bis zu dem einen Tag, an dem es schiefgeht. An welchem Tag und zu welcher Stunde dies passiert, ist nicht vorherzusagen. Sicher ist nur, wenn man bei jeder Krise den Systemzusammenbruch annimmt, wird man am Ende einmal richtig gelegen haben, auch wenn man es selber vielleicht nicht mehr erlebt.

Gruss,
mp


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