das geht sogar noch besser

Diogenes Lampe, Donnerstag, 14.05.2020, 20:36 (vor 1655 Tagen) @ Oblomow8714 Views

Also @Meph scheint mir nicht einer zu sein, der nachplappert oder einer zu sein, der sich mit
fremden Feder schmückt, ohne wirklich selbst Geist zu haben. Kann mich ooch irren.

Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Ich bezog meine Aussage und Frage denn auch nicht, wie unschwer zu erkennen ist, als Unterstellung auf Mephistopheles, sondern fragte ihn, ob es sich auch bei ihm so verhält. Die Antwort steht noch aus, also will ich darüber nicht spekulieren.

Mir ging es da um etwas anderes: D.h., er reagierte auf meinen Kommentar zu aprilzi mit dem mir einfach so hingeworfenen Zitat wie ein typischer Scholastiker. Diese oder jene Autorität hat dieses oder jenes dazu gesagt. Basta! "Rom hat gesprochen! Der Fall ist erledigt. Ich habe recht!" Und da reizte es mich natürlich, die "Autorität" Spengler der Autorität Mephistopheles auseinanderzunehmen. Diese geistige Auseinandersetzung hätte ich wohl kaum unternommen, wenn ich davon ausgegangen wäre, dass ausgerechnet Mephistopheles keinen Geist hat.

Könnte man die Sätze nicht um das "seelisch zu verderben" kreisen lassen? In einem Krieg verderben fast alle Seelen, während in einem langen Frieden alle Seelen sukzessive verderben. insofern müsste wir den Satz selbst komplettierten: Einen langen Frieden erträgt niemand, ohne seelisch zu verderben.

Was ist daran komplettieren? Sie tauschen zwischen den beiden Teilen des Satzes dann ja nur die Wort aus. Sie legen "Frieden" und "niemand" in den ersten Teil. Zusammen mit dem Individuellen, während das Absolute in den zweiten Teil verschoben wird. "Einen langen Krieg ertragen wenige" müsste man dann eigentlich komplettieren. Genau das habe ich ja auf den Punkt gebracht, als ich Spenglers Zitat auf den Zynismus zurückführte: "Der Frieden verdirbt sie Seele". Wenn es der lange tut, kann es auch der kurze, denn lang oder kurz sind relative Eigenschaften.

Prüfe ich den Umkehrschluss auf Ihren Vorschlag, kommt sowas heraus wie: "Der Krieg ist das beste Mittel, seelisch nicht zu verderben". Also Raub und Mord, Zerstörung und Vergewaltigung und all die schönen Dinge, die den Krieg ausmachen, sind gut für unsere seelische Gesundheit, unser seelisches Gleichgewicht. Denn dem verleihen sie Mut und Tapferkeit, Durchhaltewillen und noch so manche Ritterlichkeiten. Dann sind die "wenigen" aus dem ersten Teil des Satzes aber bloß noch unerfrischte, ja kranke Jammerlappenseelen. Schließe ich: "Der Krieg macht die Seele stark", dann sind die, welche ihre Seele durch den Frieden stärken wollen, verweichlicht und dekadent. Genau den Einwand erhebt unser Taurec.

Krieg ist Stärke. Frieden ist Schwäche. Krieg ist Frieden. Frieden ist Krieg. Willkommen in der Welt von Orwell!

Das ist aber eine aphoristisch zugespitze Überlegung, die mehr in die Psychologie reicht als in Überlegungen von Recht und Staat.

Ganz genau! So sehe ich das auch. Wenn wir beide das jetzt auf die Spitze treiben würden, könnten wir Spenglers ganze Kulturmorphologie imgrunde in den Bereich der Psychologie verweisen.

"Alles in der Welt läßt sich ertragen, Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen." muss ich jetzt mal Goethe nachplappern, ohne wirklich selbst Geist aufgewendet zu haben.

Hier muss ich widersprechen: Sie haben da sicher nicht viel von Ihrem Geist aufwenden müssen, aber wenigstens etwas, denn bei Ihrem Zitat haben Sie nicht bloß nachgeplappert, sondern es klar in einen Zusammenhang mit Ihren Gedankengängen gestellt, und somit Geist aufgewendet. Und da Sie ein geistvoller Mensch sind, taten sie dies mit Ihrer typischen Leichtigkeit und Treffsicherheit. Und so kann ich dann auch mit Ihnen disputieren und muss es nicht mit einem toten Spengler bzw. unsterblichen Goethe tun.

Ich vermute sogar, dass sich Spengler dort "bedient" hat, ohne wirklich selbst Geist aufgewendet zu haben.

Wenn Ihre Vermutung zutrifft, dann allerdings. Bei Goethe ergibt sich nämlich ein völlig anderer Sinn, der auf den wirklichen Kern der Sache geht, und das aus zweierlei Aussagen: 1. Die Menschen sind nie zufrieden mit dem, was sie genießen können. 2. Wenn sie aber nicht zu genießen verstehen, sondern sich auf viel essen, trinken und Müßiggang beschränken, dann ist die Folge, Übersättigung, Trägheit, schlechte Laune und Übermut, Aggression usw.. - bis hin zum Krieg. Das ist nicht nur eine empirische Wahrheit, sondern - da haben Sie völlig recht - eine psychologische und somit eine das Individuum angehende. Und in Bezug auf unseren Mephistopheles eine entlarvende, denn sie führt zum größten Problem der meisten Menschen, dass sie sich nur selten eingestehen; -den unerträglichsten Schmerz: Die Langeweile.

Dazu noch ein Schuss Nietzsche (Peng!) und Degeneration und fettisch ist die Laube.

Prima! Das wäre dann nur noch menschlich-allzumenschlich, wenn ich daraufhin postuliere: Der Frieden führt beim Menschen zur Langeweile und die Langeweile, die er nicht ertragen kann, weil er sich selbst nicht erträgt, zum Krieg. Der Krieg wäre also ein Produkt der Langeweile des Menschen. Oder Caesar parodierend: "Willst du den Frieden, bereite dich auf die Langeweile vor! Dann ist dir der nächste Krieg sicher." Da ist viel Wahres dran! Vor allem ist es ehrlicher, denn es zeigt, dass es gar nicht darum geht, abstrakt den Frieden zu ertragen, sondern konkret die Langeweile. Dass nicht der Frieden uns dekadent macht, sondern sie. Hier kommen wir jetzt zum Kern der Sache! Vor allem aber kommen wir wieder aus den Wolken und auf uns selbst zurück.

Es sind die Gelangweilten, die den Krieg wollen. Denn Langeweile ist der schlimmste psychische Schmerz. Er wirft das Individuum ganz auf sich selbst zurück. Wenn das nun aber an sich selbst nichts hat und deshalb nach Macht, Besitz, Ruhm und Ehre und die Abhängigkeit davon streben muss, dann können nur diese ihm die Langeweile vertreiben und ihn von diesem Schmerz erlösen. Aber auch nur vorübergehend, da jeder erfüllte Wunsch ja bekanntlich den nächsten gebiert. Und so komme ich zu dem Schluss: Wer den Frieden will, muss die Langeweile besiegen. Denn sie allein ist der Quell alles Unnötigen und Überflüssigen und damit jeder Dekadenz. Der muss erkennen, dass am meisten zu seinem Glück beiträgt, was er für sich selbst sein kann und an sich selbst hat; nicht aber, was er darüber hinaus an äußerem Besitz sein eigen nennt oder gar die Vorstellung, die andere von ihm haben.

Ich lese Spengler auch eher unwillig, denn ein paar Gedanken auf Hunderte von Seiten aufzupumpen, ist einfach unanständig und als jemand, der Schopi schätzt, lehne ich Geschichtsmodelle ab. Für Geschichtsfreunde: Egon Friedell z.B. kann man jeden Abschnitt lesen, ohne gleich immer belehrt zu werden und der Mann hat Humor. Da lese ich gerne 1000 Seiten.

Dieses "Unanständige", mit dem Spengler seine Gedanken aufpumpt, ist aber wenigstens für mich nie wirklich langweilig. Esprit hat er auf alle Fälle. Man darf sich davon nur nicht so beeindrucken lassen, dass man die Fährte verliert. Ich kenne kaum eine Pedanterie, die mit soviel Originalität vorgetragen wurde. Ich lese das Meiste von ihm durchaus mit Vergnügen. Denn er regt als spitzer Beobachter seiner Zeit meine Gedanken durchaus mehr an als uff. Schon wegen der Parallelen zur Gegenwart.

Philosophisch und damit staatstheoretisch müsste man in diesem Zusammenhang natürlich auf Heraklit zu sprechen kommen, was ich aber lasse, denn mit fremden Federn geistreich zu wirken, ohne wirklich selbst Geist aufgewendet zu haben ... usw.etc.pp

Und ich stelle mir jetzt auf gar keinen Fall einen Blauen Elefanten im Raum vor.

Also gut: Verkürzt sagt Heraklit: Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Überliefert ist der Spruch etwas ausführlicher: „Krieg ist Vater von allen, König von allen. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“

Nimmt man diese Aussage aus dem ideengeschichtlichen Zusammenhang, weil man nicht mehr Geist daran verschwenden will, dann scheint er Spengler zu bestätigen. Dabei bestätigt er viel mehr die psychologische Sicht von Oblomow. Aber eigentlich handelt es sich um die kosmologische Analogie der Gegensätze und ihrer Dynamik. Bei Heraklit, dem großen Philosophen der Gegensätze, der uns ja leider nur in Bruchstücken überliefert ist, müsste man eigentlich immer nach dem Gegenpol fragen, so wie er das tut: "Götter-Menschen", "Sklaven-Freie" usw.. Wenn der Krieg also Vater von allen ist, wer ist dann die Mutter von allen? Wenn er der König ist, wer ist dann die Königin?

Heraklit denkt immer in Polaritäten, wobei der eine Pol nicht ohne den anderen denkbar ist. So gehen sie ineinander über, heben sich dabei auf und bleiben dennoch zugleich bestehen; wie Zeit und Raum, Substanz und Form, Tod und Leben, Krankheit und Gesundheit, Götter und Menschen, Mutter und Vater, Krieg und Frieden usw.. Das eine schlägt in das andere um und das andere wieder in das eine. Der Gegensatz ist also nur Ausdruck der dynamischen Einheit des Zusammengehörigen im Spannungsfeld des Verschiedenen. Das Auseinanderstrebende erzeugt die Spannungskräfte in der Einheit allen Seins. Die Götter sind hier nur Aggregatzustände.

Heraklits Zeitgenosse Empedokles bezog dann diese Gegensatzdynamik auf die gesamte Schöpfung, die für ihn und seine Anhänger - z.B. Epikur und Lukrez - aus dem Gegensatzpaar Liebe und Streit hervorging. Wobei die Liebe das Primäre ist und der Streit das Sekundäre. Denn die Liebe ist der Weltwille und somit offenbart er sich in der Anziehungskraft, dem dynamischen Ursprung aller Materie, d.i. aller Erscheinung. Will sagen: Durch die Liebe tritt der Weltwille in die Erscheinung.

Deshalb symbolisiert Aphrodite/Venus die Schöpfungskraft und ist somit die höchste Göttin in der griechisch römischen Kosmologie. Sie ist die Tochter von Uranus und Gaia, also vom durch die Zeit (Kronos) kastrierten Himmel (Raum, Uranos) und der diese Kastration anstiftende Erde (Gaia). Somit steht sie als schöpferische Urgöttin, als "Schaumgeborene" durch ihre Wirkungskraft in allen Erscheinungen vor Zeus/Hera. Sie ist auch nicht mit deren Lieblingssohn als ihrem Gegensatz, also der Abstoßungskraft Ares/Mars, verheiratet, sondern mit dessem Bruder, dem missgebildeten Feuergott Hephaistos/Vulkan und bildet mit ihm das Gegensatzpaar Wasser und Feuer. Diese mythologischen Erzählungen der alten Griechen und Römer gehen als Metaphern womöglich auf die Schmiedekunst im Nachklang der Eisenzeit zurück.

Zwar zieht Venus den Kriegsgott Mars an, der in ihren Armen ruhen muss und so zeugt er mit ihr dann Harmonia/Concordia. Doch die Ehe mit Hephaistos/Vulkan, dem Waffenschmied, ist die zwischen Wasser und Feuer und wird dann auch von Zeus geschieden, da Wasser (Venus) dem Feuer (Vulkan) beim Schmieden des glühenden Eisens (Mars) nicht treu bleiben kann. Das von Vulkan zum Glühen gebrachte Eisen wird nämlich flüssig. Mars und Venus, Eisen und Wasser, befinden sich somit im selben Aggregatzustand. Der eifersüchtige Vulkan (die Eruption) vereint beide Flüssigkeiten jedoch, wobei die kalte (das Wasser) in der Hitze explosionsartig verzischt und verdampft, die heiße (das verflüssigte Eisen) dagegen hart wird. Venus und Mars sind daraufhin wieder in die unterschiedlichen Aggregatzustände - gasförmig und fest - geschieden. Die kalte Venus opfert sich also dem glühenden Mars. Es erfolgt die Eruption. Er wird kalt und sie heiß. Fazit danach: Frauen und Männer passsen mal wieder nicht zusammen. Doch aus dem Unförmigen (z.B. das Eisenerz) wurde die Form (Waffe, Pflug oder im menschlichen Liebesakt das Kind.).

Insofern ist der Krieg also auch für die Griechen und Römer zwar Vater aller Dinge; doch der Frieden, die Liebe, die Mutter ist die primäre Kraft, welche alle Materie durch ihre Anziehung formt. Venus ist die mächtigste Göttin Roms, nicht Jupiter; weshalb das Herrschergeschlecht der Julier seine Genialogie auch auf sie zurückführt; ebenso der römische Staatsmythos: Die Aeneis.


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