Etwas tiefer eingestiegen

Taurec ⌂, München, Freitag, 28.02.2020, 20:46 (vor 1527 Tagen) @ Vanitas921 Views
bearbeitet von Taurec, Freitag, 28.02.2020, 21:19

Hallo!

Nostradamus hatte z.B. in seiner Zeit kein passendes Wort für Wirtschaft bzw. Ökonomie zur Hand, höchstens für Handel, aber die heutige Wirtschaft ist ja wesentlich breiter aufgestellt mit Rohstoffexploration, Förderung, Verarbeitung, arbeitsteiliger Produktion von Sachgütern, finanzieller Fundierung und schließlich und endlich Lagerung, Handel und Vertrieb.

Du schreibst richtig, dass lat. parcus = sparsam bzw. geizig bedeutet, aber das ist imho stellvertretend für die heutige Wirtschaftsweise, nämlich mit möglichst sparsamen Mitteln den maximalen Mehrwert zu erzeugen, also eine allegorische Annäherung von Nostradamus an das heutige globale Wirtschaftsprinzip.

In diesem Sinne kann man in der Regel "Merkur" und seine symbolische Bedeutung als Gott der Händler (und Diebe) ansehen.
Das Wort "économie" gab es zu Nostradamus Zeit bereits, allerdings (wie das deutsche Gegenstück "Wirtschaft") damals mehr mit der Bedeutung "Haushaltung". Die heutige dem lokalen Leben entfremdete, globalisierte Wirtschaftsweise gab es damals noch nicht und stellt eine neue Qualität dar, die durch das damals durchaus existierende Wort für Wirtschaft noch nicht gedeckt war. Daß Nostradamus dies überhaupt erfaßt und symbolisch verschleiert ausgedrückt hat, grenzt an ein Wunder (wenn wir hier nicht vorschnell unsere eigene Sicht hineininterpretieren).

Unterstellt man dies als gegeben, würde selbst die vordergründig auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Wirtschaftsweise der modernen Welt Nostradamus alles andere als sparsam erscheinen, nachdem die damalige Kultur grundsätzlich nur von dem Leben konnte, was an der Erdoberfläche wuchs, und nur im Rahmen dessen Regenerationsfähigkeit. Die heutige Ressourcen vernutzende Wirtschaftsweise kann einem damaligen Menschen mitnichten als sparsam erscheinen. "Le parc" als sparsam anzusehen erscheint mir daher falsch, wenn ich Nostradamus Sicht zugrundelege.
Davon abgesehen kommt "parc" noch an anderer Stelle (X/83) vor, wo "sparsam" ebenfalls nichts paßt, wohingegen in den Vierzeilern I/59 tatsächlich "parques" vorkommt, das sich auf lat. "parcus" bezieht (desgleichen womöglich in I/70).

Ich sehe eigentlich keinen Grund, von der etymologisch richtigen (und auch der damaligen Orthographie bereits entsprechenden) Übersetzung als "Gehege" abzusehen, wenn es keinen aus dem Text hervorgehenden Grund dafür gibt (im Gegensatz zu einer beim Interpreten liegenden Idee, die er gerne darin sähe).
Mir anderen Worten: Es ist im Zusammenhang des Gesamtwerks schlüssiger und es bleiben meines Erachtens keine ungeklärten Fragen oder Widersprüche, die eine Übersetzung als "sparsam" notwendig machen würden.

Insbesondere bei Nostradamus sollte man nach dem Sparsamkeitsprinzip vorgehen, um die Gefahr zu minimieren, ihn auf die eigenen Ideen hinzubiegen, statt andersherum die eigenen Ideen werkgetreu an ihm zu entwickeln (was mir und BB sicher auch nicht immer gelingt).

Ebenso kann 'peste' als Abkürzung von 'pestilence' (sh. Presage 60, April oder Presage 125, Juli) imho nicht nur für Unheil, Verderben, sondern dem Wortsinn exakt für Seuche, wie die Pest eben, stehen. Übrigens verwendet de Fontbrune im Vers II, 65 die Bedeutung 'Unheil' für 'peste', wie Du ja insinuierst. Ich sehe halt noch die weitere Facette dahinter ...

"Pestilence" kommt übrigens auch in den Centurien vor, und zwar in den Prosavorreden und in den Vierzeilern (dort sechs mal), während "pest"/"peste" rund 24 mal vorkommt. Dieser inflationäre Gebrauch deutet mir darauf hin, daß sich mit "Pest" die allgemeine Bedeutung "Unheil" häufiger verbindet, die auf alles erdenklich angewandt werden kann, wohingegen Nostradamus dann "pestilence" schrieb, wenn er ausdrücklich eine Seuche meinte.
Es gibt aber auch Fälle (z. B. II/53 zur Pest in London 1665), wo "peste" tatsächlich "Pest" meint. Aber nicht jede "peste" in den Centurien ist eine reale Seuche. In II/65 fehlt schlicht eine Angabe, die es ermöglicht, die Sache auf einen konkreten Krankheitsausbruch zu beziehen. In II/53 ist mit "Meeresstadt" eine Ortsangabe gemacht, die in Verbindung mit dem kurz zuvor stehenden II/51 zum Brand von London 1666 einen Bezug zu dem realen Seuchenausbruch ermöglicht. Ein solcher Bezuzg, der die Sache relativ sicher erscheinen läßt, fehlt bei II/65.

Die letzte Zeile übersetzt Du als:

Der Handel (Merkur = gr. Gott des Handels) wird ruiniert werden ( lat feneror = ruinieren) wenn Saturn im Zeichen des Schützen (Sagittarius SGR → arcus = Bogen) steht

Genaugenommen ist das eigentlich sprachlich falsch. Weil Du von der passivischen lateinischen Form "feneror" ausgehst, kommst Du wohl zu der Übersetzung "ruiniert werden". "Fenera" ist allerdings das typische französische Futur simple und kann eigentlich nur übersetzt werden mit: "Er wird mähen".
"Der Handel wird ruiniert werden", ist also schon sprachlich gar nicht möglich. Ein Bezug auf "feneror" ist eigentlich ausgeschlossen. Man müßte Nostradamus schon unterstellen, daß er hinter gültigem französischen Vokabular und dessen korrekter Konjugation eine nicht erkennbare, ganz andere Subbedeutung verbärge, welche die eigentliche wäre, wohingegen das eigentlich dort stehende Wort gar nicht gemeint sei. Das liegt meines Erachtens bereits im Bereiche des unzulässigen Verbiegens, bei dem man eigene Ideen hineinliest, die im Text gar nicht stehen (was womöglich eine Folge mangelnder Sprachkenntnis ist).

Auch die Verbindung von Saturn über dessen Zeichen der Sichel zur Bedeutung von "faner"/"fener" als "mähen" (heute ausgestorben, aber im Mittelfranzösischen noch belegt) spricht für meine Übersetzung/Interpretation.
(Exkurs: Der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden, daß es auch das mittelfranzösische Verb "fener" gab, das so viel wie "bezaubern" bedeutete. Das führt in diesem Zusammenhang aber zu keiner brauchbaren Übersetzung, während die von Nostradamus verwendete Schreibweise "fenera" statt "fanera" für "faner" auch belegt ist.)
Dies spricht auch dafür, "fenera" auf den Saturn zu beziehen, statt auf Merkur. Das näher am Verb stehende Wort hat hier den Vorrang als Subjekt, statt eine absurd anmutende Satzstellung zu konstruieren, bei der das Subjekt am Anfang, das Verb am Ende steht und ein Nebensatz zwischen die Satzglieder eingeschoben ist. Das wirkt abwegig.
Entsprechend ist "Mercure en l’Arc" eine Ellipse, bei der man sich "steht" als überflüssig und daher weglaßbar denken muß.

Übrigens ist der Saturn als "langsamer" Planet nicht allzu häufig im Sternzeichen Schütze, meines Wissens war das 86/87 das letzte Mal der Fall, wo es ja auch schon gewaltig im Finanzgebälk geknarzt hat.

Spielt keine Rolle, weil das da nicht steht. Merkur steht (laut korrekter Übersetzung) im Schützen. Das tut er astronomisch aber alle 80 Tage oder etwa viermal im Jahr. So enge Zeitabschnitte gereichen kaum zu einer sinnvollen Datierung bei einem darüber hinaus konkreter Angaben ermangelnden Verse. Die Deutung mit Bezug auf die mythologisch-astrologische Bedeutung der Figuren Merkur und Schütze ist daher wegen größerer Ergiebigkeit vorzuziehen.

Also, ein bisschen mehr als grob zurechtgebogene Wunschinterpretation halte ich mir doch zugute, wobei das damit inkludierte Unheil natürlich nicht mein Wunsch sein kann. Aber was die Unausweichlichkeit des Letzteren angeht, da liegen wir ja ziemlich nah beeinander.

Die Epoche scheint bei Dir wie bei mir zu stimmen (Irrtum natürlich nie ausgeschlossen). Einschränkung ist lediglich neben Schwächen in der Übersetzung, daß einem der Bezug von "peste" auf eine reale Krankheit nicht aus dem Text als einigermaßen selbstevident gleichsam entgegenspringt. Es fehlt im Text eine Angabe, die "Covid-19" als viel wahrscheinlicher über alle anderen in Frage kommenden Deutungen erheben würde und den Leser sagen ließe: "Da hat einer den Nagel auf den Kopf getroffen." Solche Momente sind bei Nostradamus allerdings selten, weil viele Verse schlicht zu diffus sind.

Gruß
Taurec

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