Machttheorie der Wirtschaft? (Frage an @dottore aus EWF 2002)
bearbeitet von Silke, Samstag, 16.06.2018, 04:37
Liebe gelbe Runde,
Weiß jemand, was aus diesem genialen Gedanken geworden ist und wie wir dieses Projekt heute noch umsetzen könnten?
(Dieses Buch fehlt noch in meiner Sammlung. )
@ dottore: Machttheorie der Wirtschaft?
verfasst von netrader, 29.07.2002, 20:37
Verehrter dottore,
falls, wie neulich anklang, ein Buch mit diesem Titel ansteht, sei folgende Anmerkung erlaubt:
1. Macht
Den Begriff Macht kann man vermutlich populärwisenschaftlich verwenden, insbesondere zur Förderung eines reißerischen Titels und der Auflage. Ob man der Sache damit akademisch einen Gefallen tut, ist m.E. aber eine andere und negativ zu beantwortende Frage.
Dazu ist der Begriff Macht IMHO viel zu vielschichtig und unglücklich beladen und sollte daher konkretisiert werden. Macht hat bekanntlich auch der Seeräuberkapitän, der Warlord in Afrika, der Charismatiker wie Charles Manson und was weiß ich noch für Leute, deren Macht im Lichte volkswirtschaftlicher Erkenntnisse nichts bringt.
Geld und Kredit fußen m.E. immer auf einer rechtlich verfestigten Macht, ob diese als Staatsgewalt legal und legitim ("Demokratie"), scheinlegal aber illegitim ("Hitlerfaschismus") oder illegal aber effektiv (Militärdiktatur) ist.
Diese rechtlich effektiv verfestigte Macht nennt man m.E Herrschaft. Nun ist der Begriff Herrschaft im vorliegenden Zusammenhang auch nicht "schön". Von daher würde ich, wenn mich ein Doktorand danach fragen würde, zur Förderung der akademischen Akzeptanz der neuen Theorie den Herrschaftsbegriff weiter konkretisieren und - nur als Gedankenspiel - ausgehend vom Finanzherrschaftsbegriff von einer Fiskaltheorie der Wirtschaft sprechen.
2. Wirtschaft
Man kann wohl mit guten Gründen eine Macht- oder Fiskaltheorie des Geldes und des Zinses entwickeln, bewegt sich damit jedoch primär im Rahmen der Geld- und Kreditwirtschaft.
Allgemein von "Wirtschaft" zu sprechen, erscheint mir zwar vertretbar, lockt jedoch eine Vielfalt von Fragestellungen auf den Plan, die mit dem eigentlichen Thema nicht viel zu tun haben. Eventuell macht man sich das Leben mit einem solchen Titel nur schwerer als nötig.
PS: Nur eine kleine Anregung von jemandem, der einige Zeit mit der Betreuung von Dissertationen zu tun hatte und sich wünscht, dass im hier initiierten Sinne auch noch eine Nacharbeit an den Unis stattfinden kann. Das Thema sollte nicht aufgrund niedrig angesetzter Begrifflichkeiten als verpönt ignoriert werden können.
Gruesse netrader
Die Antwort klang je sehr vielversprechend:
Es wird wohl darauf hinauslaufen
Zunächst, lieber netrader,
meinen allerherzlichsten Dank.
Des Problems bin ich mir absolut bewusst. Ich schwanke völlig hin und her und muss mir das in den nächsten Tagen (off) in Ruhe überlegen.
Ich habe (eigene und anderer Leute) Diss. geschrieben wie am Fließband. Das wäre nicht das Problem, da ich in der akademischen Aufbereitung von Stoffen (1000 Fußnoten, mind. 30 Seiten Literaturverzeichnis usw.) mich sattelfest wähne. Zumal ich laufend"wissenschaftliche" Aufsätze verzapfe, wenn auch im Duktus nicht gerade fromm.
Ich hatte diverse Male einen Mix versucht, allein"Aufwärts ohne Ende" hat ca. 800 Fußnoten, alles nach Art der Academia.
Ich weiß auch nicht, ob ich einen flapsigen Teil I schreiben soll und einen staubtrockenen (im wesentlichen dann Formelkram) Teil II.
falls, wie neulich anklang, ein Buch mit diesem Titel ansteht, sei folgende Anmerkung erlaubt:
1. Macht
Den Begriff Macht kann man vermutlich populärwisenschaftlich verwenden, >insbesondere zur Förderung eines reißerischen Titels und der Auflage.
Es geht mir weniger ums Reißen oder die Auflage, sondern um einen umfassenden Anstoß, noch mal ganz scharf nachzudenken und über die Bücher zu gehen. Die ZEIT macht als Schlagzeile"Der Weltbankrott" - das hatte ich schon vor Jahren ganz genau so geschrieben, wurde aber in ZEIT usw. verissen.
Also wie das Macht-Phänomen"seriös" besetzen? Das geht nur völlig leidenschaftslos. Ergo muss"Macht" nicht reißerisch, sondern für jeden nachvollziehbar (Publikum und academia) besetzt werden. Ich denke, ich setze da bei Max Weber an ("Herrschaft", siehe Real-Enz.).
Ob man der Sache damit akademisch einen Gefallen tut, ist m.E. aber eine andere und negativ zu beantwortende Frage.
Richtig. Der Ansatz muss absolut unaufgeregt und kalt daher kommen. Es gibt akademische Borderliner (Paul Kennedy, Yale, Niall Ferguson, Oxford), die in dieser Hinsicht Vorbild sein könnten.
Dazu ist der Begriff Macht IMHO viel zu vielschichtig und unglücklich beladen >und sollte daher konkretisiert werden.
Genau das ist das Problem. Macht muss ökonomisch untadelig definiert sein, nämlich als Ausübung von Nicht-Markt-Nachfrage, also von Zwang, der sich"rechnet".
Macht hat bekanntlich auch der Seeräuberkapitän, der Warlord in Afrika, der >Charismatiker wie Charles Manson und was weiß ich noch für Leute, deren Macht >im Lichte volkswirtschaftlicher Erkenntnisse nichts bringt.
Völlig klar.
Geld und Kredit fußen m.E. immer auf einer rechtlich verfestigten Macht, ob diese als Staatsgewalt legal und legitim ("Demokratie"), scheinlegal aber illegitim ("Hitlerfaschismus") oder illegal aber effektiv (Militärdiktatur) ist.
Das weiß ich eben nicht. Das setzt so etwas wie ein"Naturgesetz" der Macht voraus. Sozusagen, Macht muss es immer geben, sie ist sozusagen etwas, das vor jeder Kodifizierung kommt. Das durchaus"moderne" GG z.B. setzt den Staat bereits voraus und damit die Ausübung von Zwang. Das GG ist kein Gesellschaftsvertrag.
Diese rechtlich effektiv verfestigte Macht nennt man m.E Herrschaft. Nun ist >der Begriff Herrschaft im vorliegenden Zusammenhang auch nicht "schön". Von >daher würde ich, wenn mich ein Doktorand danach fragen würde, zur Förderung >der akademischen Akzeptanz der neuen Theorie den Herrschaftsbegriff weiter >konkretisieren und - nur als Gedankenspiel - ausgehend vom >Finanzherrschaftsbegriff von einer Fiskaltheorie der Wirtschaft sprechen.
Exzellent! Ich bin darauf im Zusammenhang mit den Max-Weber-Diskussionen gestoßen. Demnach haben wir zwei Staats- bzw. Machtmonopole, die letztlich"Herrschaft" definieren: Das Abgaben- und das Geldmonopol. Ich kann mir gut vorstellen, mit der"Fiskaltheorie" zu beginnen. Nur setzt der fiscus Macht voraus, ihn zu haben oder zu halten.
Wahrscheinlich ist es guter Weg, um einzusteigen: Man hätte nach hinten Luft - die Macht, und nach vorne sowieso: die Ohn-Mächtigen (jene ohne Macht).
Interessanterweise gibt es zu Macht kein Negierungswort. Es gibt also nicht"Un-Macht", sondern nur"Ohn-Macht". Macht ist etwas sui generis. Vor der Macht (konkret: Ausübung derselben) gab es nicht etwa einen"macht-losen" Zustand, sondern auf die (noch nicht erschienene Macht) nichts.
2. Wirtschaft
Man kann wohl mit guten Gründen eine Macht- oder Fiskaltheorie des Geldes und >des Zinses entwickeln, bewegt sich damit jedoch primär im Rahmen der Geld- >und Kreditwirtschaft.
Das ist richtig. Nur denke ich, eine Geldwirtschaft ohne Abgaben ist nicht vorstellbar (was sollte darin Geld sein?) und eine Kredit-, dann Zinswirtschaft erzwingt zunächst Produktion und dann"Wirtschaften". Ich halte viel von den Wörtern Zins & Geld als Synonyma für Abgaben.
Allgemein von "Wirtschaft" zu sprechen, erscheint mir zwar vertretbar, lockt jedoch eine Vielfalt von Fragestellungen auf den Plan, die mit dem eigentlichen Thema nicht viel zu tun haben. Eventuell macht man sich das Leben mit einem solchen Titel nur schwerer als nötig.
Wirtschaft verstünde ich dann als etwas, das nicht Produktion als Produktion ist, sondern"marktgerechte" Produktion, also mit den Phänomenen Preis und Markt. Just in einem solchen Prozess befinden wir uns gerade.
PS: Nur eine kleine Anregung von jemandem, der einige Zeit mit der Betreuung >von Dissertationen zu tun hatte und sich wünscht, dass im hier initiierten >Sinne auch noch eine Nacharbeit an den Unis stattfinden kann. Das Thema >sollte nicht aufgrund niedrig angesetzter Begrifflichkeiten als verpönt >ignoriert werden können.
Danke nochmals! Der Start ist in der Tat extrem schwierig, wg. Banalitätsvorwurf etc. Danach aber geht's ganz fix dahin, in der Deduktion.
Sehr herzlichen Gruß!
Wie sehr übrigens die academia zu knacken ist, darf ich anhand des Folgenden demonstrieren (falls uninteressant, bitte überlesen). Es handelt sich um Auszüge eines noch nicht publizierten Aufsatzes:
Der ubiquitäre Bonifaz
und seine aktuelle Web-Page
Nach welchem Recht wurde das Kloster Fulda beschenkt?
Paul C. Martin
Bekanntlich haben Gunnar Heinsohn und Otto Steiger in bahnbrechenden Untersuchungen das Eigentum zur Basis für Geld und Zins und damit für den Übergang vom simplen Produzieren zum eigentlichen Wirtschaften erklärt (Heinsohn/Steiger 2002/1 u. 2002/2).
Die Eigentumsfrage ist daher auch in den Mittelpunkt historischer Betrachtungen zu rücken, was Hans-Ulrich Niemitz bereits anhand des mittelalterlichen"Feudalismus" exemplarisch durchdekliniert hat (Niemitz 2001).
Das Phänomen Eigentum soll im Folgenden anhand der frühen Geschichte des Klosters Fulda untersucht werden. Im Zentrum steht dabei nicht die Untersuchung der Entstehung von Eigentum überhaupt (bis zurück in die Antike). Dieser Komplex ist einer gesonderten Untersuchung vorbehalten, an der Verf. derzeit arbeitet und die das Gewalt-, Macht- und Zwangsphänomen als eine der Entstehung von Eigentum zeitlich vorgeschaltete Erscheinung behandelt.
Schwerpunkt der folgenden Untersuchungen ist das Phänomen der Übertragung von Eigentum an das Kloster Fulda, das mit Hilfe einer Rätsel-Figur, genannt"Bonifatius" (bonum = gut, fare = tun) geschieht.
Die Übertragung von Eigentum ist eine höchst delikate Angelegenheit der gesamten Rechtsgeschichte, was sich beispielsweise noch aus dem Sachsenspiegel ergibt. Dieses"Landrecht" (Zivil- bzw. Privatrecht) ist im Codex Palatinus 167 tradiert, der als im 13. Jh. niedergeschrieben datiert wird (Sachse 1848). Darin ist eine alltägliche Eigentumsübertragung, nämlich jene in Folge eines Kaufvertrages, der auf dem Markt geschlossen wurde, nicht etwa eine dem Kauf zwanglos folgende Angelegenheit (wie wir es heute gewohnt sind). Wird die Eigentumsübertragung nämlich anschließend bestritten, müssen beide Parteien, der Verkäufer als ehemaliger Eigentümer und der Käufer als neuer Eigentümer, Zeugen aufbieten, notfalls sogar einen Eide auf einen"Heiligen" schwören, um Eigentumsnachweise als rechtsfest zu begründen und nicht etwa des Diebstahls (!) bezichtigt zu werden (II, 4 §§ 1,2, auch II, 35 § 4).
Im Römischen Recht ist die rechtsfeste Eigentumsübertragung nicht minder kompliziert geregelt. Im Standardfall des iuris civilis wird Eigentum mit Hilfe der mancipatio übertragen. Die ebenfalls möglichen privatrechtlichen Übertragungen in iure cessio gelten als selten, aus der Republik nur in zwei, nicht näher spezifizierten Fällen überliefert; jene mit Hilfe der usucapio laufen auf den ebenfalls nicht alltäglichen Fall der"Ersitzung" von Eigentum durch Gebrauch desselben hinaus (Watson 1968, 16 ff.).
Die mancipatio ist eine komplizierte Zeremonie. Es müssen laut den Institutiones des Gaius (G.I. 1, 119-22) fünf (!) Zeugen anwesend sein, ein weiterer amtiert sozusagen als Notar: Er hält eine bronzene Waage. Der das Eigentum Erwerbende nimmt mit der einen Hand die vom Eigentümer abzutretende Sache, schlägt mit einem Kupferstück gegen die Waage und spricht eine bestimmte Formel (beim Sklaven z. B.:"Hunc ego hominem ex iure quiritium esse aio isque mihi emtpus eso hoc aere aeneaque libra"). Das Kupferstück war nicht der Kaufpreis selbst, sondern nur ein Symbol desselben.
Diese Zeremonie bezog sich auch auf Grund und Boden, der ausdrücklich unter den res mancipi aufgeführt ist. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass das mit Hilfe der mancipatio übertragene Land die angegebene Größe unterschritt, musste die Differenz im doppelten Wert erstattet werden (Watson, ibid.). Diese Form der privaten Eigentumsübertragung fanden in die Kodifizierung unter Theodosius II. (426) Eingang.
Die G.I., niedergeschrieben angeblich +161, wurden 1816 in Verona in einer Abschrift entdeckt, die mit Texten des Hl. Hieronymus überschrieben waren. Dass der Text, vor allem die in allen Zivilrechten seit jeher sehr stabilen Regelungen bezüglich des Eigentums und seiner Übertragung im Reich der Merowinger unbekannt gewesen bzw."vergessen" worden wären, würde bedeuten, dass diese Herrscher ein völlig neues Privatrecht geschaffen hätten, was sich nirgends belegen lässt.
Theo Kölzer sieht eine im nördlichen und südlichen (Grenze in etwa die Loire) Merowinger-Reich mit unterschiedlichem Tempo ablaufenden Wandlung von römischen in merowingische Usancen und datiert den"Umschwung" für Nordgallien auf"kurz vor 600" (Kölzer 2001, XIV), bezieht sich jedoch eindeutig auf ein öffentliches Recht, das für die von ihm geprüften"Königsurkunden" logischerweise gegolten haben muss.
Da das Reich der Karolinger, zumal nach der Eroberung des Reichs der Langobarden eindeutig italisch-römisches"Kernland" umfasst hat bzw. mit unbedeutender Entfernung an oströmisches Territorium grenzte, kann eine vom hergebachten römischen Recht deutlich unterschiedene Kodifizierung ausgeschlossen werden, zumal diese in irgendeiner Quelle der Zeit hätte ihren Niederschlag finden müssen. Von einem Codex Caroli Magni, etwa vergleichbar mit den einschlägigen Ausbringungen anderer"großer" Herrscher (Code Napoleon) findet sich jedoch nirgends eine Spur.
Das salfränkische Recht (lex salica), das als in"dieser" Zeit verbindlich interpretiert wird und nach einer"Urfassung", formuliert von vier"auserwählten" Salfranken formuliert, sodann durch den getauften Chlodwig sowie die Könige Chlodewech, Childebert und Chlotar"lichtvoll verbessert" wurde ("lucidis emendatum" - Prolog § 3), ist durchgehend klassisches Strafrecht. Privatrechtliche Anklänge sind im Passus"Von der Sachleihe" (Art. 88) zu entdecken, diese wiederum in eine Strafvorschrift bei Nichtrückgabe trotz Terminsetzung gekleidet.
In den Bestimmungen"Von Erbgut" (Art. 93) ist zum einen ausdrücklich festgehalten, dass ausschließlich natürliche Personen erben können: entweder die Söhne, ansonsten Väter, Mütter, deren Brüder, Schwestern usw. in bekannter auf- und absteigender Folge. Sowie zum zweiten, dass"salfränkisches Land" ("terra vero Salica") immer ans"männliche Geschlecht" ("ad virili sexus") fallen müsse.
Dies ist von größtem Gewicht! Schenkungen von Land auf den Todesfall, von Vermächtnissen und dgl. zugunsten von nicht natürlichen, sondern von juristischen Personen wie es Kirchen und Klöster definitionsgemäß nun einmal sind und welche die mittelalterliche Geschichte en masse durchzieht, haben keinerlei Rechtsgrundlage, es sei denn es wird Land subsumiert, auf das die Bezeichnung"salisch" nicht zutrifft (was immer das gewesen sein mag) oder die Klöster und Kirchen werden männlichen Geschlechts ("ecclesius","monasterius").
Noch erheblich unangenehmer für das Konstrukt von"Schenkungen" an Kirchen und Klöster ist der Passus des salfränkischen, also eindeutig merowingisch-karolingischen Rechts, in dem bislang von der einschlägigen Forschung m. W. gänzlich übersehene Vorschriften sub Titel"De affatumire" (Art. 81) erscheinen, was traditionell mit"Von Ankindung" übersetzt wird. In der sog. Textklasse E der ältesten Hss. dieses Rechts erscheint als Titel von Art. 80"De affatumiae" (vgl. ausführlich Eckhardt 1953; die unterschiedliche Art.-Zählung kommt von einer Teilung der Strafbestimmungen bei Frauenraub)
Die Wörter"affatumire" und"affatumia" sind eindeutig Kunst-Latein und lassen sich auf"affari" zurückführen (= anflehen, anreden),"affatum" (= vom Schiksal verhängt),"affatim" (reichlich, z.B. affatim pecuniae). Mit der affatumia wird eine Zeremonie vorgeschrieben, die eindeutig Anklänge an die römische mancipatio aufweist: Es geht nämlich um die rechtlich einwandfreie Übertragung von Vermögen (fortuna, furtuna). Die vorgeschriebene höchst komplizierte Prozedur kennt allerdings drei (!) direkt am Übertragungsprozess Beteiligte, die wir der Einfachheit halber Schenker - Makler - und Beschenkte(r) nennen.
Sie läuft gerafft so (bei Eckhardt zum Teil missverständlich übersetzt):
Es muss Termin (erster Thing) angesagt sein. Der Richter (heute. Notar) muss mit Schild erscheinen. Drei männliche Zeugen (tres homines) müssen anwesend sein. Derjenige, der Vermögen übertragen will, muss in den Schoß eines der Anwesenden den Stab (fistucam) werfen. Dazu muss er sagen, wie viel von seinem Vermögen er überhaupt übertragen will. Dieser Anwesende ist nicht der vom Schenker Bedachte, sondern Makler.
Nach diesem Termin zieht der Makler ins Haus des Schenkers. Dort sind drei Gäste (hospites) aufzunehmen. Der Schenker muss nachweisen, dass er die Gewalt hat, über das ins Auge gefasste Vermögen auch zu verfügen (in potestate sua habere debit), wiederum vor Zeugen (cum testibus). Dann wörtlich:
"Nachher muss er (Makler!) entweder vor dem König oder im gesetzmäßigen Thing demjenigen (Beschenktem!), dem er (Schenker!) dieses Vermögen bestimmte, es übertragen. Er nehme den Stab (fistucam) in diesem Thing (und) werfe (ihn) binnen 12 Monaten denjenigen, die (dieser) als Erben (heredes) bestimmte, in ihren Schoß und (damit) weder weniger noch mehr als wie viel ihm anvertraut ist."
"Heredes" sind, nebenbei erwähnt, nicht die üblichen (blutsmäßigen)"Erben", sondern die"Nachfolger" (lat. ebenfalls heredes) im Eigentumsrecht.
Bei bestrittenen Abläufen (wurde geschenkt oder nicht, falls ja, was und wie viel, usw.?) musste insgesamt schließlich neun (!) Zeugen aufgeboten werden, um das Ganze in einem langwierigen weiteren Prozedere klären zu helfen. Dabei spielt der zu bezeugende Stab-Wurf die entscheidende Rolle (Art 81 § 2):
"...publice coram bonis hominibus fistucam in lesum ipsius iactasset, et novem testis ista omnia debent affirmare."
Dieser Stab (fistuca, festuca), welcher eine der bei der römischen"mancipatio" in die Höhe gehaltenen"libra" ähnelnde Funktion hat, ist das zentrale Phänomen der Eigentumsübertragung!
Die"libra" ist aus"liber" (frei, ungebunden, unverpfändet usw.) ebenfalls unschwer zu erklären, da die libra und derjenige, der sie hielt, die einzigen (Sache und Person) waren, die nichts mit dem Rechtsgeschäft selbst zu tun hatten bzw. aus ihm oder durch es verpflichtet waren und sei es als stumme oder sprechende Zeugen.
Die Festuca des fränkischen Rechts ist nun schon vom Wort her identisch mit der Festuca, mit deren Hilfe nach Römischem Recht die Verteilung der Beute (praeda) nach dem Recht der occupatio zu geschehen hatte. In G.I. 4, 16 lesen wir:
"(...) festuca autem utebantur quasi hastae loco, signo quodam iusti dominii, quando iusto dominio ea maxime esse credebant (...) unde in centumviralibus iudiciis hasta proponitur."
Der Stab (festuca) ersetzt also bei der rechtmäßigen (iustus) Eigentumsübertragung die Lanze (hasta), die ihrerseits wiederum vor Gericht als Beweis für die Legalität der festuca dient. Watson (66) untermauert seine Interpretation der Festuca-Stelle bei Gaius ausdrücklich mit Polybius (Historien 10, 16 und 17,1), worin dieser die Verteilung der Beute nach dem Fall von Cartagena (209) durch die Römer beschreibt. Diesen Vorgang konnte Polybius (ca. -203 bis -120) nur vom Hörensagen kennen. Die Beute wurde durch die per Eide disziplinierten Truppen eingesammelt, um das Marodieren zu verhindern, dann verkauft (!), um als Gewinn wieder unter die Soldaten verteilt zu werden.
Dass dies mehrfacher Unfug ist, liegt auf der Hand. Erstens hatte der jeweilige Soldat seinerseits das ius occupandi, das durch den Eid dem Truppenführer gegenüber hätte weggezaubert werden müssen (G.I. 2, 69; in den Institutiones Iustiniani, II, 1,17 erst erscheint ein Hauptabnehmer für die Beute:"Item ea, quae ex hostibus capimus iure gentium statim nostra fiunt"). Zweitens hätten die dem Verkauf folgende Eigentumsübertragung rechtmäßig erfolgen müssen, durch mancipatio nämlich. Drittens: An wen hätte auf oder an dem Schlachtfeld verkauft werden sollen? Die Besiegten waren nach ius occupandi ausgeplündert und dass die römischen Truppen jene Beute, die sich gerade selbst gemacht hatten erst gegen Geld (Sold) gekauft hätten, einschließlich dann massenhaft stattfindender mancipatio, um anschließend ihr Geld als in andere Form gekleidete Beute zurück zu erhalten, liefe auf ein Nullsummenspiel hinaus (Geld weg, Geld zurück), das keinerlei Sinn macht. Abgesehen davon hätte der Feldherr das Geld der Soldaten behalten können, da ihn kein Eid verpflichtete, eine in Geld verwandelte Beute an die Truppe zu verteilen.
In dieser Verwirrung nimmt es nicht Wunder, dass eine unmittelbar folgende Polybius-Stelle (10, 17, 10) selbst von Watson übersehen wurde, in der von"skaphe" und"brachy" die Rede ist (= ausgehöhlte Körper, ursprünglich Wanne, Napf, Trog, Mulde, Butte; kurz) und dies im Zusammenhang mit"nautas" und"näas" (Schiffen), der schon von Polybius konstruiert ist, weil er sich das Phänomen der"skaphä" im Nachhinein nicht anders als nautisch erklären konnte. Tatsächlich müssen diese"skaphei" als"festucae" gedeutet werden, was sich auch daraus ergibt, dass Polybius unmittelbar anschließend"hyparchontes" auftreten lässt (= nicht nur Unterbefehlshaber, sondern auch Verweser, Verwalter, Beamter), die uns direkt zum rätselhaften"Episcopus"-Phänomen führen.
Pflichten und Rechte des Episcopus werden im Codex Justiniani (traditionell + 6.Jh.) en detail gesetzlich geregelt (I. III und IV), wobei es keineswegs"religiös", sondern klassisch-zivilrechtlich zugeht, von"negotiatores", vom"modum mercandi", von"debita","pecunia" (sogar"non numerata"),"custodia rerum","bona""de infantibus" usw. die Rede ist. Und von der"episcopali audientia", in der das Publikum nicht etwa religiösen Zuspruch suchte oder um Auslegung einer Bibelstelle bat, sondern rechtliche Entscheidung verlangen durfte. Wieso hätte es sonst per kaiserlichem Dekret geregelt werden müssen? Die Vorstellung, die Episcopi (Bischöfe) hätten sich aus einer Art religiösem Strukturvertrieb entwickelt, bei dem von"Aposteln" eingesetzte Landesdirektoren"Gläubige" gekeilt, die dann zu"Priestern" (Gebietsdirektoren) aufsteigen, sobald sie genug Schäfchen beisammen hatten, woraus dann wieder Diakone und Suddiakone (vor Ort arbeitende"Religionsverkäufer", heute:"Finanzdienstleister","Finanzberater") entstanden wären, ist ein frömmelndes Ex-Post-Konstrukt und in seiner Naivität nicht zu überbieten. Um die harmlose Lieblichkeit des Episcopus, der in Wahrheit knallharte privatrechtliche Angelegenhit zu regeln hatte, wird er von der Historiographie"entmaterialisiert", was am schnellsten glückt, indem man permanent auf möglichst weite Reisen schickt, man denke nur an die kleinasiatischen Bischöfe, die Jahrhunderte nach Entstehung des Christentums endlich im Westen aufschlagen oder an die"Missionare" die von den britischen Inseln, von Frankreich aus oder gar ex Skandinavien die deutschen"Heiden" beglücken (Willibrord, Wilfried, Willehad, Lebuin, Ewalde, Suitbert, Ludger, Bonifatius, Korbinian, Ansgar).
Die fränkische Festuca ist ihrerseits zunächst ebenfalls ein"freies" Neutrum. Aber der"Stab-Träger" erhielt jetzt eine ungleich stärkere Position als der römische Libra-Halter. Dies ergibt sich aus der zeitlichen Dehnung der Eigentumsübertragungs-Zeremonie, die in Rom in einem Rutsch erfolgte. Wir haben zwei Termine (Things) und einen Zeitraum von 12 Monaten. Dies überrascht auch nicht: Im städtischen Bereich ist alles unschwer auf einen Termin und auch Platz hin zu bündeln. Es gibt Foren und öffentliche Hallen (Basiliken).
Je weiter sich die Eigentumsübertragung über Räume hin erstreckt, umso zeitaufwendiger war zu prüfen (das"Wohnen" des Stab-Halters als hospes beim Übertragungswilligen), woraus sich zwei Thing-Termine entwickeln mussten. Die im ursprünglichen Römischen Recht zügig abzuwickelnde rechtskräftige Übertragung von Eigentum dauert immer länger.
Dies wiederum bedeutet: Aus dem zunächst zwar notwendigen, aber selbst unbedeutenden Pappkameraden mit dem Waage-Stab wird eine ungeheuer mächtige Figur, die das Eigentum bis zu zwölf Monate lang mit Hilfe ihres Festuca-Stabes quasi be- oder auf-halten kann und überdies einen mit dem Stabwurf und damit dem Eigentum selbst beglücken kann, der vom Alt-Eigentümer überhaupt nicht als neuer Eigentümer vorgesehen war, was nur mit Hilfe einer weiteren, langwierigen Prozedur plus Beweislastumkehr (!) gelingen konnte.
Damit haben wir eine Figur als natürliche und handlungsvollmächtige Person, die keine andere gewesen war und sein konnte, als der in Permanenz mit Stab operierende Bischof, eben der"episcopus" (griech. = Aufseher).
Diese gesamten Stabs-Phänomene sind von der Historiographie bislang schlicht übersehen worden. Als eine der wenigen Ausnahmen gilt der von Watson zitierter Aufsatz"La baguette, symbole des la propriété civile dans la Rome des origines" (Meylan 1950). Dieses Manko verwundert freilich nicht, da die minutiöse Rekonstruktion der Eigentumsübertragung zum einen schwierig ist und zum anderen die Eigentumsübertragung längst von"modernen" Formen abgelöst worden war, als sich die Historiker überhaupt mit römischem oder frühem germanischen Recht zu beschäftigen begann. Ab dem 19. Jh. existierten alle diese Vorgänge nur noch in ferner Erinnerung:"Stab brechen","Stab-Wechsel" o. ä. und eben"Bischofstab".
Das Phänomen der"neutralen Person" (Makler) führt nicht nur zum griechischen episkopos, sondern auch zum römischen pontifex, dem"Brückenschlager", man betrachte nur die Darstellung des Septimius Severus als pontifex maximus mit caduceus vom Bogen der argentarii (!), siehe Abb. 1.
Bei Cicero (Orationes, 53, 136) erscheint eine"Zeremonial"-Stelle:
"...sed ut revertar ad ius publicum dedicandi, quod ipsi pontifices semper non solum ad suas caerimonias sed etiam ad populi iussa adcommodaverunt..."
Wie unschwer zu erkennen, haben diese caerimoniae nichts mit"religiösem" Kult zu tun (welchen Kult sollte ein Religionsaufseher wohl selbst ausführen?), sondern sie sind Vorbereitungen auf den eigentlichen Akt der Eigentumsübertragung ("ius publicum").
Pontifices gab es in Rom zu Hauf, was nicht zur Zahl der höchstens zwei Dutzend Tempel passt, die zu beaufsichtigen gewesen wären. Die pontifices hatten keinen Kult, und so profane Machtmenschen wie Caesar, der selbst Tempel ausraubte oder der Kavalleriegeneral Lepidus durften sich mit dem Titel pontifex maximus schmücken. Daraus"himmlische" Botschaften abzuleiten ist ebenso unsinnig wie die Interpretation der religio als etwas im heutigen Sinne"Religiöses" (relegare, religare = zu schreiben, zusammenlesen, binden, usw.).
Das Waage-Stab-Phänomen (libra, festuca, caduceus) als Vorläufer des Kreuz-Phänomens, man betrachte das berühmte, dabei höchst profan geschmückte"Ardennenkreuz" (PKat 1999, XI.12) sowie zahlreiche frühe Bischofs- und Abt-Darstellungen mit einem"Kreuz" auf der Stab-Spitze und nicht etwa mit einem für den"Hirtenstab" typischen"Kringel" wird demnächst noch ausführlicher untersucht werden.
Die"Stab-Aktionen" in Antike und Mittelalter waren das rechtlich überhaupt Verfügbare, gesetzlich abgestützte bzw. hieb- und stichfest Vollziehbare, mit dem sich die allergrößte Eigentums-Aktion aller Zeiten ebenfalls nur hätte ausstatten können: Die Schenkungen von natürlichen Personen, einschließlich königlicher und kaiserlicher, an die nicht-natürlichen Personen Kirchen und Klöster.
Ob dies hinreichen konnte, um an Eigentum oder Titel darüber zu kommen, wird im Folgenden anhand Fuldas untersucht.
Dass für Fulda sich Verheerung anbahnt, muss ich nicht betonen...
Nochmals herzlichen Gruß und Danke für den Denkanstoß!
Antwort von le chat darauf:
Hallo Dottore,
mit Ihnen macht Geschichtsunterricht immer wieder richtig Spass.
Es war wieder ein Genuss. So aufbereitete Einblicke in komplizierte Vorgänge wecken Verständniss, auch für die Rituale in heutiger Zeit.
Vielen Dank.
In der Tat...
Hochinteressierte liebe Grüße
Silke