Georg Büchner: Dantons Tod - Kapitel 7
Sechste Szene
Ein Zimmer
Robespierre. Danton. Paris.
Robespierre. Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind – seine Absicht tut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu verteidigen, tötet mich so gut, als wenn er mich angriffe.
Danton. Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.
Robespierre. Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht tot, die gesunde Volkskraft muß sich an die Stelle dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster muß bestraft werden, die Tugend muß durch den Schrecken herrschen.
Danton. Ich verstehe das Wort Strafe nicht. – Mit deiner Tugend, Robespierre! Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. – Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du lügst, du lügst!?
Robespierre. Mein Gewissen ist rein.
Danton. Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt sich, wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus. Das ist der Mühe wert, sich darüber in den Haaren zu liegen! Jeder mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst? Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen; aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht genieren, so herumzugehn, hast du deswegen das Recht, sie ins Grabloch zu sperren? Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebensogut mitansehn als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen.
Robespierre. Du leugnest die Tugend?
Danton. Und das Laster. Es gibt nur Epikureer, und zwar grobe und feine, Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur gemäß, d. h. er tut, was ihm wohltut. – Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absätze so von den Schuhen zu treten?
Robespierre. Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat.
Danton. Du darfst es nicht proskribieren, ums Himmels willen nicht, das wäre undankbar; du bist ihm zu viel schuldig, durch den Kontrast nämlich. – Übrigens, um bei deinen Begriffen zu bleiben, unsere Streiche müssen der Republik nützlich sein, man darf die Unschuldigen nicht mit den Schuldigen treffen.
Robespierre. Wer sagt dir denn, daß ein Unschuldiger getroffen worden sei?
Danton. Hörst du, Fabricius? Es starb kein Unschuldiger! (Er geht; im Hinausgehn zu Paris:) Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wir müssen uns zeigen! (Danton und Paris ab.)
Robespierre. (allein). Geh nur! Er will die Rosse der Revolution am Bordell halten machen, wie ein Kutscher seine dressierten Gäule; sie werden Kraft genug haben, ihn zum Revolutionsplatz zu schleifen.
Mir die Absätze von den Schuhen treten! Um bei deinen Begriffen zu bleiben! – Halt! Halt! Ist's das eigentlich? Sie werden sagen, seine gigantische Gestalt hätte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich hätte ihn deswegen aus der Sonne gehen heißen. – Und wenn sie recht hätten? Ist's denn so notwendig? Ja, ja! die Republik! Er muß weg.
Es ist lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen. – Er muß weg. Wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehenbleibt, leistet so gut Widerstand, als trät' er ihr entgegen: er wird zertreten.
Wir werden das Schiff der Revolution nicht auf den seichten Berechnungen und den Schlammbänken dieser Leute stranden lassen; wir müssen die Hand abhauen, die es zu halten wagt – und wenn er es mit den Zähnen packte!
Weg mit einer Gesellschaft, die der toten Aristokratie die Kleider ausgezogen und ihren Aussatz geerbt hat!
Keine Tugend! Die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bei meinen Begriffen! – Wie das immer wiederkommt. – Warum kann ich den Gedanken nicht loswerden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln, als ich will, das Blut schlägt immer durch. – (Nach einer Pause:) Ich weiß nicht, was in mir das andere belügt.
(Er tritt ans Fenster.) Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums. Sie öffnen die Türen, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. – Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum? sind wir nicht Nachtwandler? ist nicht unser Handeln wie das im Traum, nur deutlicher, bestimmter, durchgeführter? Wer will uns darum schelten? In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der träge Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sünde ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Körper nachspiele, das ist Zufall.
(St. Just tritt ein.)
Robespierre. He, wer da im Finstern? He, Licht, Licht!
St. Just. Kennst du meine Stimme?
Robespierre. Ah du, St. Just!
(Eine Dienerin bringt Licht.)
St. Just. Warst du allein?
Robespierre. Eben ging Danton weg.
St. Just. Ich traf ihn unterwegs im Palais-Royal. Er machte seine revolutionäre Stirn und sprach in Epigrammen; er duzte sich mit den Ohnehosen, die Grisetten liefen hinter seinen Waden drein, und die Leute blieben stehn und zischelten sich in die Ohren, was er gesagt hatte. – Wir werden den Vorteil des Angriffs verlieren. Willst du noch länger zaudern? Wir werden ohne dich handeln. Wir sind entschlossen.
Robespierre. Was wollt ihr tun?
St. Just. Wir berufen den Gesetzgebungs-, den Sicherheits- und den Wohlfahrtsausschuß zu feierlicher Sitzung.
Robespierre. Viel Umstände.
St. Just. Wir müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie Mörder; wir dürfen sie nicht verstümmeln, alle ihre Glieder müssen mit hinunter.
Robespierre. Sprich deutlicher!
St. Just. Wir müssen ihn in seiner vollen Waffenrüstung beisetzen und seine Pferde und Sklaven auf seinem Grabhügel schlachten: Lacroix –
Robespierre. Ein ausgemachter Spitzbube, gewesener Advokatenschreiber, gegenwärtig Generalleutnant von Frankreich. Weiter!
St. Just. Hérault-Séchelles.
Robespierre. Ein schöner Kopf!
St. Just. Er war der schöngemalte Anfangsbuchstaben der Konstitutionsakte; wir haben dergleichen Zierat nicht mehr nötig, er wird ausgewischt. – Philippeau. – Camille.
Robespierre. Auch der?
St. Just (überreicht ihm ein Papier) Das dacht' ich. Da lies!
Robespierre. Aha, »Der alte Franziskaner«! Sonst nichts? Er ist ein Kind, er hat über euch gelacht.
St. Just. Lies hier, hier! (Er zeigt ihm eine Stelle.)
Robespierre (liest). »Dieser Blutmessias Robespierre auf seinem Kalvarienberge zwischen den beiden Schächern Couthon und Collot, auf dem er opfert und nicht geopfert wird. Die Guillotinen-Betschwestern stehen wie Maria und Magdalena unten. St. Just liegt ihm wie Johannes am Herzen und macht den Konvent mit den apokalyptischen Offenbarungen des Meisters bekannt; er trägt seinen Kopf wie eine Monstranz.«
St. Just. Ich will ihn den seinigen wie St. Denis tragen machen.
Robespierre (liest weiter). »Sollte man glauben, daß der saubere Frack des Messias das Leichenhemd Frankreichs ist, und daß seine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden Finger Guillotinenmesser sind? – Und du, Barère, der du gesagt hast, auf dem Revolutionsplatz werde Münze geschlagen! Doch – ich will den alten Sack nicht aufwühlen. Er ist eine Witwe, die schon ein halb Dutzend Männer hatte und sie alle begraben half. Wer kann was dafür? Das ist so seine Gabe, er sieht den Leuten ein halbes Jahr vor dem Tode das hippokratische Gesicht an. Wer mag sich auch zu Leichen setzen und den Gestank riechen?«
Also auch du, Camille? – Weg mit ihnen! Rasch! Nur die Toten kommen nicht wieder.
Hast du die Anklage bereit?
St. Just. Es macht sich leicht. Du hast die Andeutungen bei den Jakobinern gemacht.
Robespierre. Ich wollte sie schrecken.
St. Just. Ich brauche nur durchzuführen; die Fälscher geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. – Sie sterben an der Mahlzeit, ich gebe dir mein Wort.
Robespierre. Dann rasch, morgen! Keinen langen Todeskampf! Ich bin empfindlich seit einigen Tagen. Nur rasch! (St. Just ab.)
Robespierre (allein). Jawohl, Blutmessias, der opfert und nicht geopfert wird. – Er hat sie mit seinem Blut erlöst, und ich erlöse sie mit ihrem eignen. Er hat sie sündigen gemacht, und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die Wollust des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers. Wer hat sich mehr verleugnet, ich oder er? – Und doch ist was von Narrheit in dem Gedanken. – Was sehen wir nur immer nach dem Einen? Wahrlich, der Menschensohn wird in uns allen gekreuzigt, wir ringen alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlöst keiner den andern mit seinen Wunden.
Mein Camille! – Sie gehen alle von mir – es ist alles wüst und leer – ich bin allein.