Wenn ich ein Mehrfamilienhaus habe, welches 1.500 Euro Monatsmiete bzw. 18.000 Euro Jahresmiete einbringt, von Kaufinteressenten aber nur 100.000 Euro geboten bekomme, erscheint mir das im Verhältnis zu wenig und ich würde dann wohl lieber weiterhin vermieten.
Abstrakt kann man das nicht beantworten - das ist die typische Aufgabe, die der Betriebswirt in der Prüfung "erfolgreich" löst und dann Unternehmen mit solchen "Weisheiten" zielsicher in den Ruin treibt ...
Meine Frage ist, ob es der Erfahrung nach eine ungefähre oder übliche Relation zwischen Mieteinnahmen und Wert einer Immobilie gibt.
Ja, alles, was über 1:20 liegt, ist mit äußerster Vorsicht zu genießen, unter 1:15 kann man von einem echten "Renditeobjekt" sprechen. aber Immobilienbewertung hat derart viele Facetten, daß man dem Laien nur raten kann, sich zuerst einen Überblick des lokalen Marktes zu verschaffen.
Dazu kann man z.B. alle Makler anrufen, das ist in einer Stadt mit 200.000 Einwohnern oft schon gut und gerne eine dreistellige Anzahl.
Denen sagt man "Ich hab' da ein paar hunderttausend Euro geerbt und würde die gerne anlegen in einem Mehrfamilienmietshaus als Renditeobjekt".
(Ein paar hunderttausend geteilt durch zehn mal 30 = ungefähre Mindestinvestitionssumme bei unterstellter anteiliger Bankfinanzierung 70% Darlehen 30% Eigenkapital!)
Dann kriegt man alles geboten, was der Zirkus zu bieten hat:
- den Makler, der sich zu sicher ist, glaubt, er sei der einzige, den man je anruft und der einem dann irgendwelche "Zitronen" anbieten will, ggf. gar aus dem eigenen Bestand
bis zum
- Makler, der sauber arbeitet und erst mal ein Aufklärungsgespräch mit dem Neuling führen will, ihm evtl. gar raten will, nur ein Drittel so anzulegen und den Rest in Aktien und Rentenpapieren oder Fonds (das Gespräch stört natürlich etwas in dieser Phase - aber man sollte ihm dennoch geduldig zuhören, da lernt man was - egal was).
Wichtig ist diese Fragerei aber deshalb, weil jeder Immobilienmarkt eben anders ist. Wird z.B. die Europäische Zentralbank in Frankfurt erwartet (Ende der Neunziger), so rechnet jeder Makler und (erfahrene) Immobilienhai damit, daß bald enorm zahlungskräftige Mieter den Markt nach oben drücken, denn die EZB-Beamten und Angestellten zahlen "jeden Preis" - kann aber sich bis nach Bad Homburg auswirken, wo ja auch Herrhausen wohnte.
Wie kann man aber nun dennoch in jedem Markt eine Daumenregel aufstellen, ob ein Mehrfamilienhaus (nur darauf beziehe ich mich hier - alles andere erforderte ein Buch!) werthaltig sein könnte und als Investitionsobjekt taugte?
Man stellt sich eine (EXCEL-) Tabelle auf, die mindestens folgende Werte vergleicht:
1) Nettomieteinnahmen (also ohne umlagefähige Nebenkosten) gegenüber Kaufpreis (vgl. oben: 1:20 ist i.d.R. die Schmerzgrenze, aber moduliert durch die folgenden Faktoren).
2) Quadratmeterpreis im Vergleich zum Verkaufspreis der einzelnen Wohnungen als Eigentumswohnung - wenn das nicht mindestens ein Drittel Spielraum gibt (d.h. qm-Preis Einkauf Mietwohnung = 3.000 Euro/qm, erzielbare ETW-Preise 4.000 Euro/qm) dann rate ich: Finger weg!
3) Mietenniveau im Vergleich zum Mietpreisspiegel bzw. zum Niveau vergleichbarer Wohnungen - oft wurde durch Mieterhöhungen unmittelbar vor dem Verkauf der Renditewert "aufgehübscht" und Steigerungen sind nicht nur über Jahre nicht mehr realisierbar, sondern im Gegenteil, nun ist das künftige Leerstandsrisiko gestiegen oder das Risiko eines zahlungsunfähigen Mieters.
Was zu weiteren, nun deutlich "weicheren" Kriterien führt:
4) Kann man feststellen, ob es hohe Fluktuationen gab in der Vergangenheit? Warum? (Studenten, die nach Abschluß wegziehen = "gut", andere "unerklärliche" Fluktuationen = evtl. "schlecht", evtl. ein Supermarkt schräg gegenüber, wo jeden morgen um vier Uhr ein Laster laut seine Waren entlädt?).
5) Gibt es Mieter, die lange drin wohnen, denen nie die Miete erhöht wurde, weil befreundet mit den Vermietern, und deren Erhöhung wegen der Deckelung auf x Prozent in drei Jahren daher erst in 15 Jahren (so sie nicht vorher sterben oder ins Altersheim gehen) auf dem derzeitigen örtlichen Mietniveau ankommen kann?
Weiter:
6) Für Käufer: kann ich mit
a) einem Totalausfall eines Mieters leben und dennoch die Banktilgungen zahlen
b) kann ich mit 20% Mietausfall "leben"???
Beispiel: Dreifamilienhaus, ein Mieter zahlt nicht mehr, Klageverfahren kann Jahre dauern, danach u.U. aufwendige Renovierung, Zahlungsausfall zwei Jahre Mieter, danach weiteres Jahr bis zur Wiedervermietung an solventen Kunden = 33% Ausfall (bei unterstellten gleichen Wohnungsgrößen über alle Stockwerke).
Zehnfamilienhaus - bis zu zwei nichtzahlende Mieter oder Leerstände aus anderen Gründen sind zu verkraften, sonst droht die eigene Insolvenz.
D.h. bei allem über 5 Wohnungen = 20%, darunter Ausfall mindestens einer Partei, auch wenn's 50% der Einnahmen sind, muß verkraftbar ein!
(Das auch der Grund, warum EINE Eigentumswohnung "zum Vermieten" nicht unbedingt ein "Renditeobjekt" sein muß! Totalausfall 100% über Jahre möglich!)
Wenn all das stimmt, dann gilt immer noch:
- die drei Kriterien für eine Immobilie: Lage, Lage, Lage. D.h. Immobilie im Vorort und im Zentrum sind trotz evtl. Gleichheit aller obiger Kriterien nicht (direkt) vergleichbar.
- Weichen Einheitswertbescheid für Grundsteuer und Brandversicherungswert sehr stark ab von dem oben ermittelten Ertragswert? Dann muß man sehr viel Erfahrung mitbringen, um das zu verstehen. Natürlich basieren diese Werte auf anderen Kriterien, aber: wenn ich ZEHN Immobilien vergliche, dann müßten diese Werte jeweils in einem ungefähren Bruchteilsverhätnis zum nach obigen Kriterien ermittelten Wert stehen - der Ausreißer muß daher hinterfragt werden.
Noch ein Hinweis: die örtlichen Gutachter beziehen sich auf eine beim Regierungspräsidium geführte Liste aller Kaufpreise, aus denen sie den aktuellen Stand ermitteln und dann berücksichtigen können. Aber: diese Werte werden "dumm" fortgeschrieben. Ich kannte den Fall eines Großinvestors, der insolvent wurde. Dadurch kamen in dem Regierungsbezirk eine Unmenge Immobilien auf einmal "unter den Hammer" oder wurden durch Notverkäufe verramscht. Ich kannte einen Gutachter, der daraufhin die Bestallungsurkunde erzürnt zurückgab, weil er sagte, er könne es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, diese verhunzten Werte zugrundezulegen und nehme daher für Jahre Abstand davon, weiter gutachtlich tätig zu sein.
Ansonsten:
- Immobilienbewertung Wertermittlung von Häusern und Grundstücken: Was sind Hütte und Scholle wert?
- Immobilien bewerten leicht gemacht - inkl. Arbeitshilfen online
- Das 1 x 1 der Immobilienbewertung: Grundlagen marktkonformer Wertermittlungen
Für den Techniker:
- Grundsätze und Technik ordnungsmäßiger Immobilienbewertung (1998, aber:)
"Anliegen dieses Buchs ist es, die verschiedenen Bewertungsverfahren auf ein möglichst einheitliches, universell einsetzbares Immobilienbewertungsverfahren zu reduzieren und neue standardisierte Methoden der Immobilienbewertung zu entwickeln."
[Nachtrag: und natürlich muß man einen sog. Instandhaltungsstau beurteilen und berücksichtigen (können).]
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