so kryptisch und überlässt die Arbeit gerne den andern Hobbyjuristen, die dann in arge Bedrängnis kommen und ihr Unsicherheit dadurch bemänteln müssen, daß sie nicht-einschlägige rechtsphilosophische Erwägungen anstellen.
Das ist doch der Knackpunkt ... Der Kontext ... Wer legt den Kontext fest, bzw. definiert diesen?
Jedenfalls nicht Nicht-Juristin Erika Merkel, Doktorin der Metaphysik.
Die juristische Ausbilldung zum sog. 'Volljuristen', dem, mit der 'Befähigung zum Richteramt', später als Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt die 'Rechtspflege' anvertraut ist, dauert (mindestens) sechs Jahre (acht Semester Regelstudienzeit    |    Erste Juristische Staatsprüfung    |    zwei Jahre Vorbereitungsdienst    |    Zweite Juristische Staatsprüfung und, bei gutem Betragen, in Berlin am Kammergericht noch die    |    Dritte Juristische Staatsprüfung - "Better no man than Bettermann").
Der 'Kontext' ist ein Begriff aus der (juristischen) Hermeneutik, im Falle des Grundgesetzes beginnt er erstmal im engeren Sinne vorne bei der Überschrift 'Grundgesetz' und endet mit dem Artikel 146, weshalb ich genau daraus so ausführlich zitiert habe.
Ich weiß schon, warum der Hausjurist des Forums ungern sich in weiteren Erklärungen verliert - man kommt mit dem eingefleischten Nichtjuristen dann vom 'Hölzchen aufs Stöckchen' und womöglich in argumentative Bedrängnis; und am Ende merkt man, daß man soviel Zeit gar nicht erübrigen kann und dann läßt man es in vorauseilender Weisheit gleich von Anbeginn an sein.
Dennoch: ein Text ist ein 'Gewebe' aus Sätzen, im Wesentlichen. Der Kontext z.B. eines Absatzes in einem Roman könnte das Kapitel des Romans sein, in dem der Absatz steht. Der Kontext des Kapitels wiederum könnte der gesamte Roman sein, von dem das Kapitel ein Teil ist.
Nun könnte dieser Roman aber Teil einer Trilogie sein, oder, wie bei Harry Potter, einer von gar sieben Bänden.
Nehmen wir an, die Romantrilogie handele vom Schicksal eines Protagonisten, der in Wirklichkeit 'schwul' ist, was aber erst in der Mitte des dritten Bandes aufgedeckt wird. In den ersten beiden Bänden handelt er jedoch bereits auf eine Art und Weise, die jedem unbefangenen und uneingeweihten Betrachter eigenartig erscheinen muß. Ihm begegnen Schicksalsschläge, meinetwegen eine gescheiterte Ehe, die kinderlos blieb, er wird in einer finsteren Gasse verprügelt und ausgeraubt usw. usf. die im Lichte der Auflösung im dritten Band plötzlich folgerichtig erscheinen (vergleiche eine solche Entwicklung, wenn auch mehr im Kontext eines Bildungsromans, gewürzt mit Geheimgesellschaften, in Goethes Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahren).
Für den Literaturwissenschaftler und -interpreten wie auch für den gebildeten Leser, an den sich diese Romantrilogie richtet, ist klar, daß es sich hier um eine Aneinanderreihung von Chiffren gehandelt hat, die erst im nachhinein erklärbar werden, nachdem man in der Mitte des dritten Teils angelangt ist. Dann plötzlich erscheint all das 'folgerichtig' und man begreift dann auch die (z.B. gesellschaftspolitische) Aussage, die der Romanautor 'transportieren' wollte, etwa seine Zeitkritik, etwa, wenn der Roman zu einer Zeit erschienen ist, in der Homosexualität noch strafbar und sozial geächtet war.
Hier muß also der Literaturinterpret auch den zeitgenössischen Kontext mit einbeziehen, ohne den evtl. die Romanaussage einem späteren Leser völlig unverständlich bleibt, nach dem Motto, das am Stammtisch in angeheiterter Runde feinsinnig so formuliert werden könnte: "Wo is'n do des Problem???".
Nehmen wir jetzt weiter an, daß einige Jahrzehnte nach Erscheinen des schwulen Schicksalsromans ein Regisseur diesen für die Bühne adaptiert, lange, nachdem Homosexualität entkriminalisiert wurde und jeder Regierende Bürgermeister, der etwas auf sich hält, sich zu dieser seiner bekennt. Im Hamburger Schauspielhaus also wird der Romanheld in die heutige Zeit versetzt und in einem Szenium sieht man über einer Tür zu einer studentischen Beratungsstelle 'LBGT-Treff' prangen.
Hier ist erneut ein erweiterter Kontext notwendig, nicht nur muß der Zuschauer, um das zu verstehen, den zeitgenössischen Kontext der schicksalhaften Romanfigur kennen, evtl. auch Teile der Lebensgeschichte des Romanautors, wenn dieser selbst homosexuell gewesen sein sollte (man betrachte Thomas Mann, dessen Tod in Venedig ohne seine unterdrückten Neigungen schwerer verständlich ist als in Kenntnis dieser und wenn man sich soweit biographisch auskennt, dann auch ganz anders darüber nachdenkt, warum wohl seine Frau Katja hat ihre Brüste verkleinern lassen usw.), er muß auch die weniger zeitlosen, zeitgebundenen Themen, etwa die derzeitige Genderdebatte, kennen.
Kontexte, wohin man blickt, nicht wahr?
Im Falle des Grundgesetzes muß man dann wissen, warum, was dem vorausging, die Beratungen des parlamentarischen Rates, warum es so genannt wurde (und nicht schon gleich 'Verfassung') und wie die damalige Rechtsauffassung zu vielen dort verwendeten Begriffen war. Der 'Wille des Gesetzgebers', der in der Gesetzesinterpretation eine entscheidende Rolle spielt, muß nunmal ermittelt werden, wenn es Zweifel gibt oder eine Auslegung streitig ist. Man, insbes. ein Richter, kann nicht seine Meinung an die Stelle des (erkennbaren) Willens derer setzen, die solch ein Gesetz ja in mehreren Ausschüssen zuvor, u.U. jahrelang, beraten und dann in mehreren Lesungen verabschiedet haben. Ja, und er hat einen weiteren 'Kontext' zu beachten, nämlich, inwiefern es seit Inkrafttreten des Gesetzes bereits (höchst-) richterliche Entscheidungen gegeben hat, ob und inwieweit diese einschlägig sind und ob die 'Zeiten' eine evtl. schonende Weiterentwicklung im heutigen Kontext erfordern.
Da die heutigen Zeiten deutlich schnellebiger sind als früher, kann man solche Wandlungen schön am Internet- und Datenschutzrecht beobachten, wo sich alle paar Monate Probleme auftun, hinter denen Gesetzgeber und Rechtsprechung oft nur noch 'hinerherhecheln' können.
Nun, da hört es aber nicht auf, jedenfalls, was das Grundgesetz angeht. Um es zu verstehen, muß man zwei weitere Kontexte kennen, nämlich einmal die Verfassung der Weimarer Republik, auf die z.T. sogar direkt im Grundgesetz als auszugsweise weitergeltend Bezug genommen wird, und die Rechtsauffassungen und das Führerprinzip im Dritten Reich, Dinge, die das Grundgesetz ganz entscheidend geprägt haben.
Aber auch da hört's nicht auf, man muß ganz allgemein von Staatsrechtslehre eine Ahnung haben, von Rechtsgeschichte, insbes. den Einflüssen des römischen und germanischen Rechts und von Montesquieu und der Lehre von der Gewaltenteilung usw.
Kein Wunder, dauert das vier Jahre plus zwei Jahre praktischer Vorbereitungsdienst und dann ist 'so einer' i.d.R. immer noch nicht unbedingt sattelfest, sondern neigt u.U. dazu, sich an Schematismen zu klammern. Nicht umsonst erleben Anwälte ebenso wie untergeordnete Instanzen immer wieder ihre Überraschungen, wenn Obergerichte, insbesondere Bundesgerichtshof oder Bundesverfassungericht, eine scheinbar einfache Sache in einen größeren Kontext stellen und daraus dann Dinge ableiten, die man -nur aufgrund des reinen Gesetzestextes- 'nicht für möglich' gehalten hätte.
Diese Verfahrensweisen und bestimmte rechtliche Grundüberzeugungen unter Juristen sind weltweit ziemlich gleich - weshalb ein deutscher Anwalt sich mit einem singaporeanischen Richter (in Englisch) wesentlich einvernehmlicher meinetwegen über das Strafverfahrensrecht in der Türkei unterhalten kann, als ein deutscher Jurist mit einem deutschen Nicht-Juristen über den Diebstahlsparagraphen 242.
Weshalb sich leidgeprüfte Juristen dann auch scheuen, überhaupt auf solche Fragen einzugehen. Was ich aber für gefährlich halte, denn, wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, hat in den letzten vierzig Jahren eine gewaltige Erosion des Rechtsempfindens eingesetzt, ein Vertrauen in den Rechtsstaat ist über weite Strecken komplett abhanden gekommen, ohne daß man aber nun in der juristischen Laienschar dafür einen Ersatz hätte. Ein Rechtsstaat kann jedoch nur funktionieren, darum der Titel dieses Beitrages, wenn es eine Art Grundvertrauen in die Juristenzunft gibt, genauso, wie Medizin nur funktionieren kann, wenn es ein Grundvertrauen in die Ärzteschaft und deren Können gibt. Nicht, daß in vielen Fällen bei beiden Professionen auch Mißtrauen angebracht wäre - aber auch hier: wer möchte nach einem Unfall mt x Knochenbrüchen und im Koma liegend noch anfangen, über die Zuverlässigkeit und das Können eines Unfallchirurgen zu debattieren?
In solchen Fällen muß das 'flutschen'. Der Oberarzt hat soviele Blinddärme gesehen, beginnend mit der anatomischen Ausbildung im Medizinstudium, daß er einfach nicht mehr darüber diskutiert 'ob es ihn gibt oder nicht'.
Ebensowenig möchte einer, in dessen Haus eingebrochen wurde, nicht einen Polizisten vor der Haustür finden, der Kontextdebatten darüber führt, ob ein Diebstahl in heutiger Zeit, wo ein Großteil des Einkommens durch staatliche Umverteilung erzielt wird, überhaupt noch so genannt werden dürfe, und ob der Kauf des Fernsehers nicht vielleicht dann doch eher ein verdeckter Raub sei, evtl. noch Sklavenarbeit in vietnamesischen 'sweat shops' ins Spiel bringt, und dann achselzuckend wieder auf dem Absatz kehrt macht, weil er sich des 'Kontextes' des Satzes "Wer einem andern in der Absicht ..." nicht klar ist???
Also: hinterfragen ist ja immer schon ganz nett und schön, aber wer so etwas auf einem Fachgebiet nonchalant ins Grundsätzliche ziehen will, muß sich dann auch gefallen lassen, daß man ihn bittet, sich seinerseits erstmal grundsätzlich einzuarbeiten. 'Sie haben einen Blinddarm, glauben Sie mir!' ... und der Jurist 'hat Recht'.
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