Klassische Vernunft ist nicht zu Grabe getragen

Andudu, Sonntag, 29.01.2017, 15:36 (vor 2799 Tagen) @ Ostfriese2337 Views
bearbeitet von unbekannt, Sonntag, 29.01.2017, 16:19

Die moderne Neuro- und Kognitionsforschung hat die ‚klassische
Vernunft‘ längst zu Grabe getragen. Dazu vielleicht einmal in aller Ruhe
das Interview

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Das ist einer der Irrtümer des Poststrukturalismus: alles egal, nur die Vermittlung (Framing etc.) und Einstellung zählen. Nein, tun sie nicht.

Schon gar nicht in der Politik, die so rational wie möglich sein sollte, sonst schlittert sie von Katastrophe zu Katastrophe.

Das Interview listet einige Studien auf, nehmen wir mal:
„Experten der Universität Tinneroy haben errechnet, dass unter einer Regierung Trump die Arbeitslosigkeit um zehn Prozent steigen wird.“ Fiktive Studie, fiktive Uni. Das Ergebnis: Kein Teilnehmer bewegte sich in die eine oder andere Richtung. Dann haben wir ihnen eine moralisch-ideologische Aussage präsentiert. „Experten der Universität Tinneroy sagen, dass unter einer Regierung Trump die Werte der Disziplin und der Eigenleistung wieder hochgehalten werden.“ Das Ergebnis: Alle schlitterten rüber zu Trump. Dessen Strategie im Wahlkampf war, eine ideologische Geschichte zu erzählen, die genau zur strengen amerikanischen Weltsicht passt."

Preisfrage: welches Framing nutzt besagte Expertin Elisabeth Wehling? Welche Denkfehler sind bereits in der Studie eingebaut?

Ich versuche mich mal:

1) eine fiktive Studie einer fiktiven Uni wird als quasi klassisches Vernunftsargument eingeführt, was dabei übersehen wird:

a) Zu jedem Thema gibt es sich widersprechende Studien (gerade bei volkswirtschaftlichen Themen!), auch wird "Experten" ganz generell nicht mehr getraut (zu oft käuflich) und der Ruf der Universitäten hat ebenfalls gelitten oder anders ausgedrückt: es ist mittlerweile rational (angeblichen) Spezialisten nicht mehr per se zu trauen.

b) Das bedeutet nicht, dass man Fakten (die man selbst nicht prüfen kann) ignoriert, sondern sie müssen lediglich von absoluten Vertrauenspersonen transportiert werden, damit man sie noch glaubt. Schon gar nicht bedeutet es, dass man Fakten (persönlich prüfbare und erlebte) ignoriert, sondern die gewinnen wohl eher an Bedeutung, durch den Vertrauensverlust in die Institutionen.

2) Das Ergebnis wird nicht weiter hinterfragt, sondern gedeutet (klassischer Soziologenfehler: wir suchen uns eine Kausalität aus, die uns in den Kram passt), genau genommen wurde bei der letzten Wahl ja ein eher linker Schwarzer gewählt, die Begründung, Amerikaner würden immer die klassischen Werte bevorzugen, ist also offensichtlich falsch, aber woran liegt es dann?:

a) da kann ich natürlich auch nur spekulieren, aber ich vermute, dass es sich um eine Gegenreaktion handelt, denn die political correctness wird wohl nicht nur von mir als lähmend, einschränkend und destruktiv empfunden und Hillary stand genau dafür, während Trump sich als Gegenpol aufgestellt hat und die Aussage der PC ist ja gerade: "es ist nicht wichtig was du leistest, sondern was du bist (schwarz, trans, Frau etc.)"

Das Framing welches Frau Wehling nutzt ist also ein klassisch links-paternalistisches, was man an ihren unwissenschaftlichen Interpretationen erkennt, aber noch eine davon:

"Ob Sie sich darüber empören, ist keine Frage Ihres Geschlechts, sondern Ihrer Ideologie. Es gibt die Ideologie, nach der der Mann über der Frau steht und es der Frau am besten geht, wenn der Mann sie beschützt und kontrolliert."

Wieder eine klassische Fehlleistung und unwissenschaftlich, schon weil sie keinerlei Studien dazu anführt und eine Dichotomie aufbaut (aufgeklärte vs. rückschrittliche Ideologie) welche erfahrungsgemäß in der Realität nicht existiert. Schon aus dem Stegreif fallen mir ein Menge weiterer Gründe ein, warum man "frauenfeindliche" Äußerungen Trumps ignorieren könnte (zu lange her, irrelevant, nicht glaubhaft, Ausrutscher, Äußerungen von Clinton problematischer, andere Politik wichtiger, etc. pp.)

Was du angeschleppt hast, ist allerdings ein sehr gutes Beispiel dafür, warum die Auflagen der Zeitungen einbrechen und "Experten" (insbesondere Soziologen und Kognitions"wissenschaftlern") nicht mehr getraut wird.

Bei Licht betrachtet erklärt die SZ ihren Lesern hier, warum und welches Framing sie benutzt und dass sie damit ihre Leser manipuliert und dabei sogar noch glaubt, dass das funktioniert und richtig und wissenschaftlich ist. Dabei ist es eigentlich ein Armutszeugnis für die SZ.

Und die meisten Leser merken, dass die Argumentation dieser Frau ihre wahren Beweggründe eben nicht erklärt, sondern enorm verkürzt ist und selbst ideologisch aufgeladen. Der Poststrukturalismus ist was für Faule und Dumme und er wird sich selbst zu Grabe tragen, weil die Leute sich halt nicht ewig für blöd verkaufen lassen. Der angerichtete Schaden (gerade für geisteswissenschaftliche Fächer) ist aber kaum zu ermessen.


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