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Le Bon täglich (18) - wie Massen ihre Meinungen ändern |
Geschrieben von dottore am 08. August 2000 09:57:38 "Über den festen Glaubensanschauungen ... liegt eine Schicht von Meinungen, Ideen, Gedanken, die fortwährend entstehen und vergehen. Manche sind sehr vergänglich und die bedeutendsten überdauern kaum das Leben einer Generation." (Das Tempo des Entstehens und Vergehens hat sich heute enorm beschleunigt. Vor allem der schnelle Wechsel zwischen der Forderungen nach mehr Staatsinterventionismus oder Rückkehr zu mehr wirtdchaftlicher Freiheit ist bemerkenswert. An den Börsen ist der Parameterwechsel noch schneller, vgl. den Wechsel hin zum "Aktiensparen" in den 90ern, dann zum "Es kann nur noch aufwärts gehen" zur Jahreswende, jetzt ein "langfristig muss man immer gewinnen", usw. Die neue Ausgabe von "Mein Geld" erscheint mit dem großen Titel SPAREN - mit Disziplin zum Ziel, von Aktien ist nur noch am Rande die Rede). "Die Anzahl der unbeständigen Meinungen der Massen ist heutzutage größer als je, und zwar aus drei verschiedenen Gründen. Erstens büßen die alten Glaubenslehren ihre Herrschaft ein und wirken nicht mehr wie früher richtunggebend auf die Meinungen. Das Erlöschen der Gesamtüberzeugungen gibt Raum für eine Menge Sonderanschauungen ohne Vergangenheit und Zukunft." (Was sich ebenfalls beschleunigt hat, so dass vielerorts ein Gefühl der "Leere" entstanden ist und der Orientierungslosigkeit in den "Grundfragen des Lebens"). "Zweitens wächst die Macht der Massen immer mehr und findet immer weniger Gegengewicht, so dass sich die außerordentliche Beweglichkeit der Ideen, die wir bei ihnen fanden, frei entfalten kann." (Klartext: Selbst bei einfacher Überprüfung bereits als skurril entlarvte Ideen konnten sich so tief in den Gemütern eingraben, etwa die Idee, dass bei der Staatsverschuldung eigentlich doch nichts passieren kann; warum es dann aber doch z.B. die 60-Prozent-Grenze in Maastricht gegeben hat, wurde deshalb nur oberflächlich hinterfragt - sind 60 Prozent etwa ein Naturgesetz oder -zustand? Warum nicht 0 % oder 100%?). "Drittens führt die neuerdings so verbreitete Presse unaufhörlich die entgegengesetzten Meinungen vor den Augen der Masse vorüber. Die Wirkungen, die jede von ihnen eben hervorzurufen suchte, werden bald von widersprechenden Einflüssen aufgehoben. Keine Meinung kann sich richtig verbreiten, und alle führen nur ein vergängliches Dasein. Sie sind tot, bevor sie bekannt genug sind, um allgemein zu werden." (Kann ich als vom Fach nur bestätigen. Alles huscht immer schneller vorüber; umso fataler ist es aber, wenn sich bestimmte Standard in der gesamten Presse einnisten, z.B. die Kritiklosigkeit den Börsenabläufen gegenüber - inzwischen überrascht sogar die taz (!) ihre Leser mit Börsenkursen). "Wenn irgend etwas die Stunde des Niedergangs aufhalten kann, so ist es nur die außerordentliche Veränderlichkeit der Meinungen und die wachsende Gleichgültigkeit der Massen gegen alle allgemeinen Grundanschauungen." (Da hatte sich Le Bon schwer geirrt, wie die Jahre 1917 und 1933 usw. markieren. Die Massen, definiert hier als z.B. Gesamtheit der Bevölkerung, nicht als die extrem agilen "kleinen" Massen, erscheinen zwar in "normalen Zeiten" ziemlich gleichgültig, aber in der Stunde der Not, beginnen sie zu rasen. Und sollte eine solche Stunde wiederkehren, ist bei der Verflachung der Grundanschauungen damit zu rechnen, dass sogar minimale "Denkansätze" und seien sie noch so wirr die Massen sofort ergreifen und in die bekannten unangenehmen Richtungen führen. Die ganz großen Massen heute liegen dösig in der Sonne, aber wehe, eine unangenehme Sache schreckt sie auf! Dies bedeutet für jeden von uns, und nicht nur hier im Board, extrem wachsam zu sein, um die "unangenehme Sache" - und sei es nur der "Trigger" für Crash oder Krise - so früh wie möglich zu erkennen. Denn dass wir die nächsten zehn Jahre so easy weitermachen und -leben können wie bisher, dürfte doch wohl fraglich sein). ENDE Und Dr. Le Bon bedankt sich bei allen, die mitgelesen haben. |