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Real-Enzyklopädie (15): Shekel = immer Gewicht, nie "Warengeld"! @a. Gatsby!

Geschrieben von dottore am 04. August 2001 19:19:45


Guten Tag,

der Shekel hatte uns schon beschäftigt, allerdings haben wir sein Rätsel noch nicht gelöst. Es geht um das alte Warengeld/Kreditgeld-Problem.

Nach weiterer Durcharbeitung von San Nicolò/Ungnad, "Neubabylonische Rechts- und Verwaltungsurkunden" (Leipzig 1935) erhellt sich das Bild allerdings weiter.

1. Stückelung. Der Shekel wird zumeist in Achtelstücken zerbrochen. Warum kann ich (noch) nicht erklären. Das Achtelstück kann nicht einzeln umgelaufen sein, da es im Gewicht al pezzo (Stück) zu sehr geschwankt haben dürfte. 8 Achtelstücke müssen aber al marco (Gewicht) einen Shekel ausgemacht haben. Ob der Achtelshekel eine Art Scheidemünzen gewesen ist, hat sich mir noch nicht erschlossen. Funde sind mir weder von 1/1 Gewichtsshekel noch von Achteln bekannt. Die Gründe für das Fehlen in den bisher bekannten Stratigraphien sind mir rätselhaft.

Es gibt dazu auch reine Angaben in Shekel selbst (ohne Achtelung), dazu auch solche in "zerbrochenem" Silber. Außerdem wird oft auf "weißes" Silber abgehoben, woraus zu schließen ist, dass es auch verunreinigtes oder nicht raffiniertes Silber gegeben haben muss.

Der Shekel war - egal in welcher Form - immer ein Gewicht (60 Shekel = 1 Mine), niemals als solcher "Geld". Also einen Shekel als Nominal gab es nicht!

Das erledigt die "Warengeld"-Vorstellung leider komplett, wie beispielsweise Urkunde 742 beweist:

"37 Minen, Gewicht von Kleidung: 2 sibtu-Gewänder, 4 Schamtücher, 7 Hüfttücher... 19 5/6 Minen Gewicht von Kleidung: 1 sibtu-Gewand, 1 Schamtuch, 1 Bunde, 10 Hüfttücher ... 2 Minen 50 Shekel, Gewicht von Klediung: Bänder, Schleifen... 12 Minen 50 Shekel, Gewicht : ein sibtu-Gewand, 1 Hemd, Schleifen-Kleidung, 3 Binden... 15 Shekel, Gewicht von Schleifendkleidung und einer Binde... usw. - Das hat der Weber N. empfangen."

Oder Nr. 734 (Auszug):

"12 Minen Wolle..., Gewicht von Schleifenkleidung, metu-Kleidung für eine Decke, Hemden, Schleifenkleidung, 2 Binden, zusammen 18 1/2 Minen, einschließlich pappasu - 3 2/3 Minen 2 Shekel ist das Silber dafür."

(Umrechnungsversuch: 18 1/2 Minen Wolle und Textilien = 3 2/3 Minen Silber, so dass wir einen "Preisverhältnis" (in Gewicht!) von ca. 5 : 1 haben. Oder: Für einen Shekel (Gewicht!) konnte man 5 Shekel (Gewicht) "Kleidung" kaufen.)

2. Kaufverträge. Diese sind in großer Zahl vorhanden (vor allem Berlin). Sehr interessant: Kaufverträge über vertretbare Sachen (Getreide, Öl, Wolle, Metalle etc.) gibt es nicht. Offenbar waren nur individuelle Sachen Gegenstand von Kaufverträgen. Das ist der sog. Stückkauf.

Davon zu unterscheiden sind Gattungskäufe, die nur in Form von Verpflichtungsscheinen beurkundet sind. Der Verpflichtungsschein (ú-ìl-tim) bezeichnet sowohl den Verpflichtungsschein selbst als auch die darin enthaltene Forderung! Dabei wird ú-ìl-tim auch nur als "Forderung" bezeichnet, obwohl der allgemeine Ausdruck für "Forderung" rasútu ist.

Ich möchte als Arbeitshypothese einstweilen den Verpflichtungsschein, sofern er zedierbar war, als "Geld" bezeichnen (wird noch diskutiert, ich darf auf meine Tontafel hinweisen, die bereits vorgestellt wurde: A lieht sich von B Silber und C besichert den Vertrag mit unbelastetem eigenem Land, so dass die Urkunde zedierbar war). Die Zession von Forderungen (rasútu), eine Vorbedingung von "Geld" als etwas allgemein Akzeptierbares muss noch untersucht werden.

Ein Verpflichtungsschein (11. VS V 146 (= VAT 3153) hat diesen Wortlaut:

"NN. hat einen Verpflichtungsschein über 22 Kur Gerste un 1/2 Mine 2 Shekel Silber zu Lasten der Elamiter, einen Verpflcihtungsschein zu Lasten des bèl-inbi... unter Siegelung dem Masdu ... gegeben."

3. Preise. Gattungskaufpreise sind vermutlich nur indirekt zu ermitteln, siehe Verpflichtungsscheine, was noch eruiert werden müsste, falls es überhaupt möglich ist. Ich bitte um Geduld.

Immerhin haben wir Stückkaufpreise bzw. Stückmietpreise.

a) Immobilienkauf. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Haus- und Feldgrundstücken. Hausgrundstücke dürften in der Größe nicht allzu verschieden untereinander gewesen sein. Bei Feldgrundstücken ist die Größe zwar nach oben offen, aber die Größe "normaler" Felder dürfte in etwa dem entsprochen haben, was von einer Familie zu bearbeiten war bzw. was so groß war, dass eine Familie davon leben konnte. Sogenannte "Latifundien" dürften zunächst ausscheiden.

Beispiele (verkürzt):

- 51. Aussaatfläche mit Dattelpalmen bepfanzt, zweimal an andere Grundstücke angrenzend für 2 Minen 50 Shekel (= 170 Shekel).

- 54. Aussaatfläche, Feld der Steppe, Garten, Dattelpalmen, plus Garten für 2 Minen weißen Silbers, 2 Shekel Silber als Zugabe. (Summa: 122 Shekel).

ACHTUNG: Es gibt Kauf auf Kredit, d.h. ein Teil des Kaufvertrages wird gestundet. Sieh dazu 57.: "Er (der Verkäufer)ist befriedigt, quitt; eine Forderungsklage hat er nicht."

Auf die frühen Kreditphänomene wird noch ausführlich zurück gekommen, in Fortsetzung der Zins-Enzyklopädie. Logischerweise ergibt sich schon aus diesem Passus, dass Kauf immer ein Kreditvorgang ist: entweder der Kredit wird uno actu abgelöst oder später.

b) Mobiliarkauf. Der wichtigste Mobiliarkauf (Stückkauf) war der Kauf von Sklaven. Die werden deteilliert beschrieben. Dabei ergeben sich diverse Preise, einige davon:

- 63.: "Gesinde" (offenbar 2 Leute) = 35 Shekel.

- 64.: 1 Sklave = 34 Shekel.

- 65.: 1 Sklave = 33 Shekel.

- 67.: Frau und ein Monat alter Sohn = 72 Shekel.

- 71.: 4 Leute "Gesinde" = 240 Shekel.

- 75.: Sklavin = 155 Shekel.

- 79.: Magd = 240 Shekel. Hoher Kaufpreis (auch für Sklavinnen ungewöhnlich, vermutlich an Zahlungsstatt für ein vorangegangenes Darlehen, das damit abgelöst wurde, offenbar mit aufgelaufenen Zinsen. Das Darlehen muss wohl "non performing" gewesen sein.

- 80.: Sklavin = 240 Shekel (4 Minen), ebenfalls ein Erwerb an Zahlungs Statt. Also kein Nettopreis (siehe eben).

- 84.: Sklavin = 50 Shekel (5/6 Mine) "als zu verrechnenden Kaufpreis".

- 85.: Sklavin = 140 Shekel - "für 2 1/3 Minen weißen, zerbrochenen Silbers in Achtelshekelstücken zum vollen Kaufpreis".

86.: Sklavin = 60 Shekel.

87.: Sklavin = 120 Shekel.

91.: Sklavin = 120 Shekel.

93.: Zwei Knechte = 240 Shekel.

Einen Einheitspreis gab es also nicht, allerdings zeigt die Price Range doch in etwa an, dass es um ein Mittel von ca. 100/120 Shekel gegangen ist.

Der nächste Mobiliarkauf war der von Tieren. Dazu:

99.: 2 Schafböcke = 50 Shekel. (Schafböcke waren zum Opfer gedacht, auch logisch, da überständige Böcke ziemlich wertlos waren).

100.: Rind = 35 Shekel.

103.: Esel = 50 Shekel.

4. Miete.

Dazu war schon kurz berichtet worden. Der Mietzins liegt der Urkundenreihe nach pro Jahr in Shekel bei:

10 - 8 - 12 1/24 - 15 - 18 - 13 - 9 - 29 3/4 - 18 - 13 - 20 - 20 - 7,5 - 20 - usw.

Es dürfte sich ein Mittel von 12-15 ergeben.

Schiffsmiete: 12,5 Shekel.

12 Tonnen vermietet = 1 (?) Shekel.

5. Löhne (Personenmiete).

Kompliziert berechnet, u.a. auch wegen der Verpflegung. Es werden auch Vertragsstrafen gerechnet (bis 10 Shekel) für Nichterfüllung dessen, der den Arbeiter vermietet). Außerdem wird in Wolle (in Gewicht, konkret Minen) oder 1 1/2 Shekel Gerste usw. entlohnt.

In 158. haben wir einen lupenreinen Zweijahresvertrag für jährlich 12 Shekel "vollwertigen Silbers". In 159. haben wir 4 Leute für monatlich 3 Shekel Silber und eine gewisse Menge Gerste.

Lohn also p.m. etwa 1 Shekel.

5. Zins.

Wir noch ausführlicher behandelt. Immerhin ergibt sich aus den Verpflichtungsscheinen, siehe oben, etwa dieses Bild:

161.: 1/2 Mine, "jährlich wächst 5 Shekel Silber hinzu". Zinssatz: ca. 18 % p.a.

163.: 8 Shekel Silber, Ab (?) wächst auf eine Mine 10 Shekel dazu = ca. 15 % p.a.

165.: Monatlich auf 1 Mine 1 Shekel Silber = ca. 1/60 p.m. Ca. 20 % p.a.

Ähnlich andere Urkunden. Offenbar waren kurzfristige Ausleihungen bzw. Stundungen höher verzinslich.

168.: Bei Nichtzahlung "jährlich auf 1 Mine 12 Shekel Silber zu seinen Lasten hinzu". Ebenfalls 20 % p.a.

ACHTUNG: Das Phänomen des Strafzinses ist zentral bei frühen Zinsbetrachtungen. Es wird noch ausführlicher vertieft. Vermutung: Der Zins entsteht als Strafzins bei Nichterfüllung zu vereinbartem Termin.

6. Tausch. Beim Tausch erleben wir etwas durchaus Sensationelles: Die Wertdifferenz zwischen Tauschobjekten wid durch Geldleistung ausgeglichen. Der Ausdruck heißt takpustu (wörtlich = Auswischung).

Damit ist die Tauschmitteltheorie des Geldes (in diesem Fall des gewogenenen Silbers nach Shekelgewichtsstandard) erledigt!

Es wurde also nicht etwas gegen Silber"geld" gekauft, wonach dann derjenige, der statt des getauschten Objektes Silber in Händen hatte und seinerseits etwas kaufen konnte. Sondern es wurde Ware gegen Ware getauscht und das Silber (ebenfalls nur als Gewicht) wurde zum Ausgleich der offenen Spitzen genommen.

Dies hat die gesamte Wissenschaft bisher m.W. komplett übersehen. Der Umweg Ware-Geld-Ware hat also nicht Statt gehabt. Was auch komplett unökonomisch gewesen wäre.

Die Babylonier waren erheblich weiter als die aktuellen mainstreamer.

4. Goldparität. Es gab zweifelsfrei einen Silberstandard, da in Urkunde 14. ausdrücklich die Rede davon ist, dass X. der Tochter des Y. "anstelle von 4 Minen Silber, dem Kaufpreis des Goldes... Das Silber ist der Kaufpreis von späterem und früherem Golde." (Auf Termingeschäfte wird noch ausführlich bei der Behandlung der Zinsentstehung einzugehen sein).

Dies zum Warmlaufen.

Gruß

d.