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Real-Enzyklopädie (11): Zinssatz, Zins, Teil 1: some first mainstreaming

Geschrieben von dottore am 23. Juli 2001 19:23:16


Guten Tag!

Wer sich an der Erklärung des Zinses versucht, muss einen langem Atem haben. Deshalb soll die Behandlung hier aber auf keinen Fall langatmig werden.

Zunächst zum In-Etwa-Stand von mainstream (auf aktuellste Finessen wird ganz am Schluss der kleinen Serie in der Serie eingegangen, damit auch Connaisseure von seitenlanger Modellschreinerei auf ihre Kosten kommen).

Grundsätzlich vorweg: Das Interesse an Zinstheorie hat in den letzen 100 Jahren mehr und mehr nachgelassen, in den letzten 30 Jahren sogar mit deutlichst fallender Tendenz.

Noch Prof. Eugen von Böhm-Bawerk, der in der Habsburger Monarchie auch als Finanzminister tätig war, und der zu Beginn des vorigen Jahrhunderts als bester Kenner des Zinsproblems galt (wenn er es nicht überhaupt bis heute gewesen ist), beginnt sein Buch "Kapitalzinstheorien" (man beachte schon hier das Wort "Kapital"), mit dem Satz:

"Es hat sich über das Thema des Kapitalzinses eine Literatur angesammelt, die an Umfang von wenigen, an Vielseitigkeit der zutage tretenden Meinungen von gar keinem anderen Einzelzweige der nationalökonomischen Literatur erreicht wird."

Ich erkläre das abgeflaute Interesse an der Zinstheorie mit der inzwischen auch im Publikum eingebürgerten Vorstellung, dass "den Zins" (korrekt: den Zinssatz) "irgendwie" die Zentralbanken "machen" oder "festlegen". Und wozu braucht man dann noch groß einen Theorie, man hat doch Fakten!

Dabei ist durchaus klar, dass die ZBs nicht alle Zinsen "machen" können. Aber mainstream geht im Grund von diesem Modell aus, wovon sich auch der Nicht-VWLer leicht überzeuegn kann, wenn er die ständige Kolumne von Prof. Norbert Walter, dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank, in der FAZ liest:

Die ZB setzt einen Zinssatz fest. Der gilt für kurzfristige Kredite. Dieser Zinssatz teilt sich dann allen kurzfristigen Zinssätzen mit, die sich entsprechend nach oben oder unten bewegen. Je nach der Richtung dieser Bewegung beeinflusst der ZB-Zinssatz über kurz oder lang auch alle anderen Zinssätze, also auch den für langfristige Titel (bei Böhm-Bawerk "Kapital").

Dabei kann es zu zeitlich gleichlaufenden oder zeitlich versetzt gegenläufigen Bewegungen kommen.

Beispiel A: Die ZB senkt ihren Zinssatz. Die Geldmarktzinsen fallen, und wenig später auch die langfristigen Zinsen, also die "Kosten für Kapital". Damit soll bekanntlich eine darniederliegende Konjunktur "angekurbelt" werden.

Beispiel B: Die ZB erhöht ihren Zinssatz. Die Geldmarktzinsen steigen. Wenig später auch die Kapitalzinsen, weil weniger Geld "da" ist, um solche Titel zu kaufen, ergo deren Kurse fallen und mit den Kursen die Renditen spiegelbildlich steigen. Und somit die Aufnahme von neuem Kapital entsprechend teurer wird, da die Zinssätze, die für neues Kapital geboten werden müssen, um es zu erhalten, ziemlich genau den Renditen für altes Kapital entsprechen müssen - denn sonst würden die Anleger altes Kapital kaufen und nicht in neuem investieren.

Eine solche Zinssteigerung darf aber letztlich nicht dazu führen, dass neues Kapital auf Dauer unerhältlich wird. Diese Zinssteigerung soll daher nur dazu dienen, vorübergehend Geld und Kapital zu verteuern, damit sich die Wirtschaft wieder "beruhigt". Nachdem sie sich beruhigt hat, sollen dann wieder "normale" Zinssätze einkehren.

Die ZB erhöht also letztlich immer nur die Zinssätze, um sie wieder zu senken.

Schließlich kann die Wirtschaft auf Dauer nur mit "niedrigen" Zinsen florieren, egal wie niedrig "niedrig" ist oder sein soll. Niemals senkt sie ihre Zinssätze, um sie wieder zu erhöhen. Denn das ergäbe keinen Sinn.

Das Ganze erscheint als so etwas wie ein Trial- & Error-System. Die ZB senkt also immer die Zinsen "auf Verdacht". Geht alles gut, kommt es also zu keiner "Erhitzung" oder "Überhitzung" der Konjunktur, kann sie die Zinsen dann unten lassen oder sogar noch weiter senken.

Würde es nie mehr zu einer "Überhitzung" kommen, könnte die ZB ihren Zinssatz quasi auf Autopilot stellen. Er wäre immer gleich und die Wirtschaft würde in immer gleichem Ausmaß wachsen.

Das klingt in der Theorie sehr gut, in der Praxis sieht es bekanntlich ganz anders aus. Wir erleben (allein 1999/2001 in den USA) ein höchst unstetes "Drehen" an der "Zinsschraube" mal schnell rauf, dann schnell wieder runter), so dass irgendetwas da nicht stimmen kann.

Wie ist es möglich, dass sich eine Wirtschaft über Nacht erhitzt und über Nacht wieder abkühlt? Und warum wurde durch die "Zinspolitik" nicht verhindert, dass so etwas passieren konnte (falls es überhaupt passiert ist)?

Die Geldpolitiker versuchen, dem Problem, dass nicht klar ist, ob sie mit ihrer Zinspolitik die Wirtschaft beeinflussen oder ob die Wirtschaft ihrerseits die Zinspolitik beeinflusst, dadurch auszuweichen, dass sie sich so eine Art Korridor vorstellen, innerhalb dessen sich die Wirtschaft sozusagen "selbst" entwickelt. Das heißt mal "optimaler Wachstumspfad", mal "optimale Ausnutzung des Wachstumspotenzials" oder so ähnlich.

Die Wirtschaft soll sich also durchaus aus sich heraus entwickeln und Aufgabe der ZB ist es, diese Entwicklung sozusagen "monetär" zu begleiten, indem sie also das Geld zur Verfügung stellt, damit diese Entwicklung reibungslos verlaufen kann und auch das zur Entwicklung benötigte Kapital zu günstigen, diese Entwicklung also nicht behindernden oder einschränkenden Konditionen erhältlich ist.

Mit welchem Steigungswinkel dieser "Korridor" verläuft, ist allerdings nicht klar definiert. Also z.B. "mittelfristig" oder "langfristig" mit 2, 4, 6 oder 8 Prozent oder so.

Der Steigungswinkel wird vielmehr indirekt erschlossen, indem die ZBs die laufende Inflationsrate zur Hilfe nehmen: Steigt diese Rate an, wird geschlossen, die Wirtschaft habe den Korridor nach oben durchstoßen. Jetzt müsste also mit höheren Zinssätzen gearbeitet werden, um den Korridor wieder zu "erwischen". Und umgekehrt: lassen die Inflationssteigerungen nach, werden sie gar negativ bis hin zur Schwelle zur Deflation (was in der Regel schon eine schwerere Krise signalisiert), dann müssen dringend die Zinssätze "angepasst", also rasch gesenkt werden, um den Korridor, der nach unten verlassen wurde, wieder zu erwischen.

Da Volkswirtschaften aber nur ziemlich langsam von einem "Normalzustand" in die "Überhitzung" kommen, während es umgekehrt von der "Überhitzung" in die "Unterkühlung" sehr schnell geht, spiegelt sich dies auch in der Zinspolitik der ZBs:

Sie erhöhen ihre Sätze gewöhnlich nur sehr langsam - eben, um auszuprobieren (trial & error), ob das schon "reicht". Umgekehrt aber senken sie ihre Sätze sehr schnell, wenn ihre Volkswirtschaft "abzuschmieren" droht - denn dann gibt es nichts mehr auszuprobieren, sondern dann gilt es nur noch, Schlimmeres zu verhüten.

Die "Zinspolitik" der amerikanischen Fed der letzten beiden Jahre beweist dies deutlich. Auch werden Forderungen nach "Zinssenkungen" seitens der Wirtschaft immer sehr laut geäußert, siehe aktuell Euro-Zone.

Von Forderungen nach "Zinserhöhungen" hört man praktisch nie etwas. Schließlich will die Wirtschaft immer lieber mit "billigem" Geld abeiten als mit "teurem".

Das Ganze wird freilich noch schmerzlicher, wenn man der Zinspolitik direkt auf den Zahn fühlt.

Selbst wenn man akzeptiert (was unmittelbar nahe liegt), dass billiges Geld besser ist als teures und sogar akzeptiert, dass "gelegentlich" und "vorübergehend" das Geld verteuert werden muss, um es auf Dauer dann doch "billig" zu halten bzw. halten zu können, wird doch nicht klar, wie sich denn der Zinssatz für Geld selbst bildet - außer, dass ihn die ZBs festsetzen können.

Es muss sich aber ein Zinssatz für Geld bilden bzw. gebildet haben, bevor die ZB "ihren" Zins festsetzt, denn sonst könnte die ZB den Nicht-ZB-Zinssatz nicht mit Hilfe ihrer Zinspolitik beeinflussen, also nach oben oder unten ziehen.

Womit wir bei der Frage angekommen sind:

Wie ergibt sich der "Preis" für Geld?

Wie sich Preise für Waren ergeben, versteht jeder, nämlich nach Angebot und Nachfrage. Aber wie ist es mit dem Zinssatz (der gewöhnlich von den mainstreamern als "Preis" für Geld bezeichnet wird, weshalb inzwischen vielfach die Zinstheorie als Teil der Preistheorie abgehandelt wird)?

Wenn wir das nachgefragte Gut als "Geld" bezeichnen (und was anderes sollte mit Hilfe eines zu bietenden Zinssatzes nachgefragt werden als "Geld"?) dann tut sich uns ein großes Rätsel auf.

Da ich etwas immer nur Hilfe von "Geld" nachfragen kann, vermag ich also offenbar auch "Geld" immer nur mit Hilfe von "Geld" nachzufragen. Es muss demnach "Geld" und "Geld" geben. Das eine, das im Publikum vorhanden ist und ein anderes, das noch nicht im Publikum vorhanden ist.

Da dies keinen Platz in irgendeiner Logik haben kann, muss es etwas anderes sein, was da abgeht.

Die Lösung beschert uns die Zeit. Was nicht verwundert, da der Zins das klassische Zeitphänomen schlechthin ist. Der Zins, der sich aus dem Zinssatz ergibt, wird nicht in dem Augenblick bezahlt, da ich "Geld" nachfrage, sondern später. Es ist also beim Abschluß eines Leihvertrages immer etwas offen - im Gegensatz zu einem Kaufvertrag, der mit Lieferung der Ware oder Leistung und der Bezahlung abgeschlossen ist.

Um den Zins zu enttarnen, müssen wir also die Zeit enttarnen, konkret: das Gefühl für Zeit und vor allem die "Bewertung" bzw. Auspreisung von Zeit, sofern sie sich in wirtschaftlicher Weise oder mit wirtschaftlichen Folgen ausgedrückt haben.

Dazu müssen wir (leider) weit in die Geschichte zurück gehen. Nur dort können wir entdecken, wie sich ein wirtschaftlich relevantes Zeitgefühl und ein dies ausdrückendes Zeitpreisgefühl entwickelt haben.

Zinssatz und Zins, die ja durchgehend bis heute immer die selben gewesen sind (Zinssatz = prozentual ausgedrücktes "Mehr", Zins = das vereinbarte "Mehr" höchstselbst, das zeitlich später als die Vereinbarung zu leisten ist), beidem also können wir nicht anders auf die Schliche kommen als mit weit zurück reichenden Recherchen.

Ich hoffe, dass ich die Ergebnisse der Spurensuche anschaulich und "kurzweilig" genug miteilen kann.

Gruß

d.