zur Sammlungsübersicht

Le Bon täglich (4)

Geschrieben von dottore am 19. Juli 2000 08:48:42


"So parteilos man sich die Masse auch vorstellt, so befindet sie sich doch meistens in einem Zustand gespannter Erwartung, der die Beeinflussung begünstigt."

(Es muss halt immer etwas "los" sein und so warten alle z. B. gespannt auf die neuesten Infla- oder Arbeitslosenzahlen, die auch sofort über den Ticker geschickt werden und zwar in GROSSBUCHSTABEN).

"Die erste klar zum Ausdruck gebrachte Beeinflussung teilt sich durch Übertragung augenblicklich allen Gehirnen mit und gibt sogleich die Gefühlsrichtung an. Bei allen Beeinflussten drängt die fixe Idee danach, sich in eine Tat umzuformen."

(Ja, wenn die Zahlen oder Fakten "raus" sind, muss sofort gehandelt werden. Als die erfolgreiche Durchsetzung der Steuerreform sich herumsprach, schoss der DAX sofort in die Höhe - ohne Sinn & Verstand; inzwischen ist er natürlich wieder tiefer als ex ante - und alle, die da als "Masse" mitmachten, haben entsprechend Geld verloren).

"Ob es sich darum handelt, einen Palast in Brand zu stecken oder sich zu opfern, die Masse ist mit der gleichen Leichtigkeit dazu bereit. Alles hängt von der Art des Anreizes ab, nicht mehr, wie beim alleinstehenden einzelnen, von den Beziehungen zwischen der eingegebenen Tat und dem Maß der Vernunft, das sich ihrer Verwirklichung widersetzen kann."

(Die Art des Anreizes - voilà! Dies hat sich seit den Zeiten Le Bons, also in 105 Jahren, extrem verfeinert und massiert. Siehe erst den dotcom-Boom und jetzt die Biotech-Manie, multipliziert durch die "Medien". Ein einzelner hätte erst mal geprüft, wie denn die Geschäftsidee der dotcoms beschaffen ist, was aber ein "vernünftiges" Vorgehen gewesen wäre).

"So muss die Masse, die stets an den Grenzen des Unbewussten herumirrt, allen Einflüssen unterworfen ist, von der Heftigkeit ihrer Gefühle erregt wird, welche allen Wesen eigen ist, die sich nicht auf die Vernunft berufen können, allen kritischen Geistes bar, von einer übermäßigen Leichtgläubigkeit sein."

(Siehe zum Thema "Leichtgläubigkeit" in Sachen Börse das Reagieren auf sog. "Insidertipps", ich erinnere mit Nachdruck an die Morphosys-Geschichte und das "Kursziel 1000 Euro" von Förtsch, was geradezu von einer kindischen Leichtgläubigkeit war, die "Analysten-Empfehlungen", "Up-" oder "Downgradings" wie "Strong Buy" usw.).

"Nichts erscheint der Masse unwahrscheinlich. Das darf man nicht vergessen, wenn man begreifen will, wie leicht die unwahrscheinlichsten Legenden ... zustande kommen und sich verbreiten."

(Dem ist nichts hinzuzufügen, die jüngste Börsengeschichte mit vierstelligen KGVs, deren "Legende" ja lautet, das wäre eher ein Zeichen einer guten als das einer schlechten Unternehmung, auch wenn jeder einzelne selbst leicht eine Wahrscheinlichkeitsabgleichung hätte vornehmen könne, vgl. BIPOP, wo es mehr als 900 Jahre dauern dürfte, bis der Aktionär ins Trockene kommt).

Morgen: Entstehung von Legenden und Kollektiv-Halluzinationen.