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Re: Wie ist das Silbergeld entstanden? Altmeister Hammurapi antwortet |
Geschrieben von dottore am 30. März 2006 15:56:49 Als Antwort auf: Re: Das Ende der Dollar-Hegemonie (1) - immer wieder derselbe Fehler - Holmes geschrieben von nereus am 28. März 2006 22:09:44 Hi nereus, vielleicht kann das Folgende Deine Bedenken/Einwände ausräumen. Was als Nachweis für die „Geldentstehung ex Abgaben“ auf verstaubten Tontafeln gefordert wurde (@Dimi u.a.) finden wir in Basalt und zwar auf der bekannten Stele, auf der der Codex Hammurapi (CH) zu lesen ist. Heute Louvre, Paris. Einige Textstellen fehlen.
H. ist zwar frühes 2. Jt. AD (1728-1686) und hat als Gesetzgeber diverse Vorgänger, z.B. Urnammu (ca. 3100 BC, III. Dynastie Ur oder Lipitschar, ca. 1 Jh. davor), deren Texte nur fragmentarisch erhalten sind. Ex Urnammu haben wir allerdings auch die wichtigen amtlichen Paritäten (Naturalien in Gewichtseinheiten Silber fein), die bekanntlich Dreh- und Angelpunkt der Silbergeld-Entstehung sind und die auch im CH die entscheidende Rolle spielen. CH 51 eröffnet einem Schuldner die Möglichkeit entweder in Getreide oder Sesam (i.e. klassische Naturalabgaben) an Stelle von Geld (hier: Silber im bereits eingeführten Shekelstandard) zurückzuzahlen - “und zwar gemäß dem königliche Tarif“ (= amtliche Preisliste). Oder CH 53, wo Silber an die Stelle des eigentlich geschuldeten, aber nicht beschaffbaren Getreides treten kann. Daher die bekannte Silberleihe (zu 20 %), die günstiger war als die Getreideleihe (33,3 %), was daraus resultiert, dass Silber jederzeit zu beschaffen ist (die Kontrakte lauten immer auf bestimmte Monate desselben Jahres, Leihen über dieses Jahr hinaus gibt es schon deshalb nicht, weil sonst Monate beliebig späterer Jahre hätten infrage kommen können. Auf Getreide wäre bis zur nächsten Ernte zu warten gewesen, an Silber war aber jederzeit zu kommen und es war auch jederzeit vor der nächsten Ernte zurückzuzahlen gewesen. Oder CH 55, wo jemand (Pächter, s.u.), der seinem Nachbarn (ebenfalls Pächter) durch Unachtsamkeit die Felder beschädigt, den Schaden nicht in Silber, sondern in Getreide zu ersetzen hat. In CH 56 (ähnlicher Fall) ist auch die Strafe angegeben: 10 Gur Getreide (= ca. 250 Liter, es gibt auch Angaben über ca. 300 Liter; besitze selbst ein antik-nahöstliches Maßgerät mit dem im größeren Teil ca. 0,5 und im kleineren genau die Hälfte davon abgemessen werden kann; heute noch bei den Sahara-Araber Gur = ca. 200 Liter) für je 10 Gan (= ca. 15 qm) Land. In CH 57 muss ein Schäfer, der unerlaubt (ergo ohne Zahlung einer Abgabe) auf Land weiden lässt, sogar 20 Gur für je 10 Gan bezahlen. In CH 58 kann der Schäfer Besitzer von Feldern werden, muss dann aber zur Erntezeit dann 60 Gur je 10 Gan bezahlen. Das Land mit seinen Bewohnern gehörte als Obereigentum dem König (das ihm beides Bel oder Marduk zur Verfügung gestellt hatten). Dabei ist auf Julian Jaynes („bicameral mind“) zu rekurrieren: „The king dead is a living god“, was den Kreis zum dauerhaften Obereigentümer schließt. Oder: „In each of these areas [Jaynes startet im alten Nahen Osten und deckt praktisch die ganze Welt ab, über China sogar bis in die praekolumbianischen Hochtäler der Anden] ... there was a succession of kingdoms“. Die soziale Kontrolle der bikameralen Zeit wird mit dem Zusammenbruch des „bicameral mind“ durch Herrschaft ersetzt. Soeben ist in PNAS dazu ein interessanter Aufsatz erschienen (Drennon / Peterson, „Patterned variation in prehistoric chiefdoms“), wobei an den studierten Orten, Oaxaca / Mexiko (hier schon bestens bekannt), Alto Magdalena (Kolumbien) und nordöstliches China „underlying general principles“ gefunden wurden, die sämtlich auf das bekannte Herrschafts- bzw. Elitemodell hinauslaufen, das selbstverständlich von den Nicht-Eliten finanziert werden musste. Ausdrücklich erwähnt Hammurapi seine Herrschaft über die „schwarzköpfigen Leute (Völker)“ (er nennt die Shamash als Beispiel); diese „Schwarzköpfigen“ sind uns auch aus anderen (sumerischen) Texten als Unterworfene bekannt. Seine Legitimierung führt H. in der Präambel wiederum in seinen verschiedenen Funktionen bzw. Arealen, die er mit seiner 30.000 Mann starken Armee zu unterwerfen verstand, auf diverse Götter zurück, z.B. als „der Fürst, von Bel berufen“, „der Höchste, der sich vor den großen Göttern erniedrigt“, der „Liebling von (Gott) Ninni“ usw. und der den diversen Schutzgöttern (oder „Gründern“) der unterworfenen Städte entsprechend opfern ließ bzw. deren Tempel ausstattete oder ihnen von seinem Land bestimmte Teile zukommen ließ (H., „der E-gal-mach reichlich mit Stiftungen dotierte“). Die Götter-Liste im Nachspann zum eigentlichen CH ist umfangreich. Das Untereigentum lag bei nicht etwa bei den „Schwarzköpfigen“ oder der Bevölkerung der unterworfenen Königreiche bzw. Stadtstaaten, denen das schon ausführlicher dargestellt Subsistenzland verblieb (ca. 0,5 ha), die in Person ihrer jeweiligen Chefs (reicht runter bis zum Dorfaufseher oder –ältesten) dem „Herrscher“ (also Hammurapi) gegenüber in den abgabenverpflichteten Vasallenstatus herabsanken, sondern auch bei jenen, die aus seinem Clan stammten („Oberschicht“, vgl. englische Barone, reichsfreie Fürsten im alten deutschen Reich etc.). Diese hatten die Naturalabgaben zu leisten, allerdings nicht selbst zu produzieren - wie auch? Sie selbst wurden nur beim Kriegs“dienst“ als selbst Leistende in Anspruch genommen. Eine interessante Parallele dazu ist die Abram-, später Abraham-Geschichte (siehe Genesis). Ihm wird von Gott Jahve Land versprochen („gelobtes Land“, Kanaan). Das ist nicht „leer“ oder res nullius, sondern darin wohnen Menschen (Edomiter usw. mit entsprechenden „Königen“ bzw. Stammesführern, vgl. deren Königsliste in 1 Chronik 1)! Abraham ist Chef einer Nomadengruppe, geht während einer Hungerszeit nach Ägypten und dann Richtung gelobtes Land, das von seinem Clan (ausführliche Liste seiner Nachkommen usw., vgl. a.a.O.) zum Obereigentum genommen wird. Die vasallierten „Könige“ haben ihm Abgaben zu leisten – der Grund, weshalb Abraham immer wieder als „reich“ (Vieh, Gold, Silber) beschrieben wird. Er ist also in einem Zustand, den er mit einfacher Viehwirtschaft niemals hätte erreichen können, vgl. noch die heutigen Viehwirtschaft betreibenden armseligen Stämme in Afrika. Das Ganze lief blutig ab. 1 Mos 14 berichtet: „Als er (Abram) nun zurückkam von dem Sieg über Kedor-Laomer und die Könige mit ihm (K-L), ging ihm entgegen der König von Sodom in das Tal Schawe, das ist das Königstal. Aber Melchisedek, der König von Salem, trug Brot und Wein heraus. Und er war ein Priester Gottes des Höchsten (!) und segnete ihn und sprach: Gesegnet seist du, Abram, vom höchsten Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat; und gelobt sei Gott der Höchste, der deine Feinde in deine Hand gegeben hat.“ Dann der wichtige Satz: „Und Abram gab ihm den Zehnten von allem.“ Damit war Abram selbst in ein Abgabenverhältnis gerutscht – auch wenn man sich anschließend schiedlich-friedlich einigt. Die weitere Geschichte der Unterwerfung „Israels“ (Jericho usw.) darf ich mir schenken. Auf einen ähnlichen Umstand weist auch das Gilgamesch-Epos hin; hier Tafel II:
„Enkidu saß vor der Schamkat [Geliebte]; Aus Tafel I: „Enkidu, den gewaltigen, schuf sie [Aruru = die im Aufterag der Obergotheit Anu alle Menschen schuf], einen Helden, einen Sprößling der Nachtstille [i.e. aus dem Osten / Innerasien kommend, etwas später erscheint auch die berühmte Axt = Kriegsaxt /Bronze, über die sich alle wundern], mit Kraft beschenkt von Ninurta...“ [Ninurta = zur Zeit der Dichtung des Epos - evtl. 1200 BC, die Tafeln selbst sind aus dem Assurbarnipal-Palast, 7. Jh. BC - Kriegsgott, der Babylonien von den ständig hereinbrandenden Bergvölkern schützen sollte] Auch dies ein Echo aus der Zeit, als Mesopot vom Osten her überfallen (Mann/Mann-Waffe = Bronze, die dort ihren Ursprung hat) und unterworfen und „untertan“ (i.e. abgabenverpflichtet) gemacht worden war. Wie geht’s nun mit dem CH weiter? Als überkommene Struktur haben wir: Herrscher mit Obereigentum (H., „der die vier Teile der Welt eroberte“ – Präambel), Palast/Tempel mit Eigenland. Todesstrafe für jeden, der dort etwas entwendet (CH 6). Dann die Mittelschicht („Verwalter“, die wir schon aus den sumerischen SOLL/IST-Piktogrammen kennen). Sie haben das SOLL (Naturalien) abzuliefern. Dabei bilden sich lokale Sammelstellen heraus (siehe früheres Posting), von denen aus redistributiert wird. Wir haben Paritäten der Naturalien zu Silber laut amtlichem Aushang (Stele) – es muss nicht jedem einzelnen via Tontafel die Parität mitgeteilt werden – genau wie auch heute die Gesetze nicht jedem einzelnen Haushalt per Postwurf zugestellt werden, sondern nur an einer einzigen Stelle als „geltend“ publiziert sind, nämlich dem amtlichen Gesetzblatt. Unterhalb dieser Mittelschicht, die sich unter Todesandrohung auch „selbst bedienen“ konnte: --- Pächter (Besitzer) von ausschließlich der Oberschicht, später und allmählich dann auch der Mittelschicht (als Untereigentümer) eigenem Land. Der Pächter, s. o., selbst muss Strafen (für Verzug, Beschädigung usw.) in Naturalien und nicht etwa in Silber entrichten, kann aber auch in Silber entrichten, vgl. oben CH 51 und 53. Die Pächter sind zunächst solche in statu nascendi, sie haben Subsistenzland und da dies auf Dauer (größere Familien) nicht reicht, werden sie Pächter de facto. Auf den daraus folgenden agrarian usury (Hudson) war schon ausführlich hingewiesen worden. Interessant dabei CH 63: Falls ein „Gärtner“ (= Subsistenzland-Untereigentümer) Brachland in Ackerland verwandelt, muss dessen Eigentümer (s.o.) ihm für 10 Gan (= ca. 1,5 Ar, was damals in Ermangelung von Zugtieren beim „kleinen Mann“ so etwas wie ein Tagwerk gewesen sein mag, lasse ich aber offen) 10 Gur Getreide bezahlen. Damit haben wir ganz nebenbei eine weitere Parität – allerdings von Silbergeld keine Spur. Das hätte sich der Eigner schon selbst beschaffen müssen, um dann damit das Getreide aufzutreiben. Weshalb die Silberleihe (s.o.) zu 20 % eben so interessant gegenüber der Getreideleihe machte. Ähnliche Zahlungen noch im ursprünglichen Getreide-„Geld“ übrigens CH 242: Miete eines Ochsens für ein Jahr = 4 Gur Getreide. Miete eines sonstigen Stück Viehs = 3 Gur an den Eigentümer des Viehs. Und viele weitere Beispiele – jedesmal wird mit Getreide bezahlt. Also nix mit Silbergeld. --- Lohnarbeiter. Dies waren zunächst nicht vorhanden, da in einer Subsistenzwirtschaft (Familie, Dorf, Stamm) keine „freien“, d.h. also für eine Arbeit gegenüber einer anderen kinship (Verwandtschaft) zur „Verfügung“ stehenden Arbeiter existiert haben (etwa als „Tagelöhner“), auch nirgends in Subsitenzwirtschaften nachzuweisen sind und auch nicht von den Eroberern Mesopots ex Osten (s.o.) angetroffen wurden. Diese versklavten oder gingen tributär vor, vgl. nochmals Bernbeck, wobei dieser Tribut logischerweise am Anfang nicht in Geld ex Silber, sondern in Naturalien bestand, wie es die oben gezeigten Zahlungen in natura des CH überdeutlich nachweisen. Noch CH 272 sagt: „Wer einen Karren leiht, muss 40 Ka Getreide pro Tag zahlen.“ Zum Ka (auch qu): Entsprach in Babylonien dem, was man als Kubus mit einer Handspanne abgreifen konnte, also ca. 10 x 10 x 10 cm. Diese Lohnarbeiter sind auch nicht „ländlichen“ Ursprungs, da dort Pächter zugange waren, die ihrerseits größte Mühe hatten (wie auch die Mittelschicht der „Verwalter“ / „Aufseher“), dem agrarian usury zu entkommen. Entkamen sie dem nicht waren sie nicht etwa „frei“ (bitte nicht verwechseln mit den neuzeitlichen „Bauernbefreiungen“), sondern gerieten in Schuldknechtschaft, aus der sie nur per Erlassjahre entkamen (clean slates), wie schon ausführlich diskutiert. Die Lohnarbeiter sind ein städtisches Phänomen (wie die Stadt mit den bekannten Zentren Palast/Tempel ein Macht-Phänomen ist, der ganze alte Nahe Osten ist voll davon). Oder um nochmals bei Jaynes abzugreifen: „Civilization ist the art (!) of living in towns of such size that everyone does not know everyone else.“ Nur: Womit haben sie ihr „living“ bestritten? Das wiederum kann nur durch den Verkauf der eigenen Arbeitskraft geschehen sein, sofern sie sich nicht mit dem Redistributierten (vgl. die römischen annonae = Getreidespenden) vorlieb nehmen und „Proletarier“ bleiben wollten. Und jetzt erst kommt das Silbergeld ins Spiel - das Naturalgeld bleibt als „Scheidemünze“ noch erhalten, wie das berühmte Beispiel der Schankwirtin zeigt. CH 108: „Falls eine Schankwirtin nicht Getreide zur Bezahlung des Getränks, sondern Geld (Silber) nimmt, und der Preis des Getränks ist niedriger als der Preis des Getreides, soll sie ertränkt werden.“ Zur Bezahlung des Tagelöhners lag nach CH 273 von April bis August (lange Tage, große Hitze) sechs Gerah „in Geld“ pro Tag (1 Gerah = ca. 0,5 Gramm), in den anderen Monaten 5 Gerah. Und ebenfalls als rein städtisches Phänomen der folgende Paragraph (274): Ein gelernter Handwerker 5 Gerah / Tag, dito ein Töpfer, dito ein Schneider, ein Seiler 4 Gerah. Die Zahl für den Maurer ist leider eine Fehlstelle. Fährbootsmiete (logischerweise nur an den Stellen der Flüsse, wo auch die Städte lagen): 3 Gerah / Tag, usw. Somit lässt sich also noch aus dem (relativ späten) CH sehr schön rekonstruieren, wie es zum Übergang der Naturalien (ursprüngliches Abgabengut und „gültig“ zu Tilgung von Abgabenschulden) über die „offiziellen Tarife“ (Parität zum Silber, dessen Standard sich aus dem Getreidestandard herleitet) schließlich zum Silbergeld selbst gekommen ist. Davon, dass Silber als „Geld“ ursprünglich bzw. vor-wirtschaftlich (vor-kontraktlich) und demnach von Anfang an die gesamte Wirtschaftssphäre, wenn nicht sogar schon die Tausch- und/oder Produktionssphäre abdeckend, existierte, kann beim besten Willen keine Rede sein.
Mit bestem Dank fürs Lesen + Gruß!
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