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"Machttheorie" - diesmal ganz genetisch: |
Geschrieben von dottore am 18. September 2005 15:06:22 Hi, in „Science“ (9. September 2005, 1717 und 1720) sind zwei Artikel von einer Gruppe von Hirnforschern unter Federführung des Humangenetikers Prof. Bruce Lahn der Uni Chikago erschienen. Sie sind weitgehend unbeachtet geblieben, dennoch sensationell. Kernaussage: Das Gehirn des Homo sapiens sapiens ist nicht etwa „fertig“, sondern entwickelt sich dank zweier spezieller Gene (Microcephalin und ASPM) weiter und dies mit enormem Tempo. Das Ganze spielt sich in der Großhirnrinde ab (Cerebrum, Cortex, Neocortex):
Vor allem hat der bekannte „Stirnbereich“ eine zentrale Rolle:
Im ganzen Cortex sitzen die „Ursachen“ für die bekannten „menschlichen“ Eigenschaften wie Sinne, Denken, Lernen, Emotionen, Bewußtsein, „gesteuerte“ Bewegungen, usw. (hat übrigens nichts zu tun mit der „Teilung“ des Gehirns in zwei Hälften, für deren Entdeckung Prof. Roger Sperry 1981 den Nobelpreis erhalten hat). Ähnliche humangenetische Varianten (die Gen-Varianten werden alleles genannt) hatte in „Science“ (8. Juli 2005, 234) schon Prof. Ajit Varki (UCAL, San Diego) ausgemacht und vorgestellt. Beim Vergleich des Sapiens sapiens mit anderen Hominiden, die im neuesten „GEO kompakt“ Nr. 4 vorgestellt werden fällt auf, dass die meisten dieser „Vormenschen“ die bekannte „flachere“ Stirn aufweisen, was auf einen kleineren bzw. überhaupt nicht vorhandenen Cortex schließen lassen. Der Sapiens soll sich dabei aus dem Erectus, dieser aus dem Ergaster, dieser aus dem Habilis oder Rudolfensis, dieser aus dem Kenyanthropus bzw. Australopithecus entwickelt haben. Dabei zeigt sich deutlich eine immer höher ausgewölbte Stirn, wofür einige Beispiel genügen:
Erectus
Habilis
Australopithecus Die „völligen Flachköpfe“, wie den Aegyptopithecus (vor 33 Mio Jahren) lassen wir der Einfachheit halber weg. Dass diese Hominiden durchaus „fit for survival“ waren, gilt nicht nur aufgrund ihrer über Hunderttausende von Jahren hinziehenden realen Existenz als unumstritten, z.B. für den „Nußknacker“ Paranthropus boisei (vor 2,1 bis 1,1 Mio Jahren):
Der war in sämtlichen survival-technischen Belangen absolut topfit. Geo: „Dennoch ist dieser letzte Vertreter der ‚robusten‘ Australopithecinen ausgestorben...“ Dass es an klimatischen oder katastrophischen Einflüssen gelegen haben mag, erscheint unwahrscheinlich, da sich zum einen die Hominiden in der Zeit ihres Auftretens überlappen und zum anderen in den selben Habitaten nebeneinander aufgetreten sind, auch wenn die Fund-Mengen noch zu wünschen übrig lassen. Lag es vielleicht an der schieren Hirngröße selbst? Dagegen spricht der Neanderthaler:
Er hatte ein größeres (!) Hirnvolumen als der Sapiens (1750/1400 ccm) und dennoch ist er verschwunden. Allerdings, so GEO: “Hinter dem archaisch anmutenden Antlitz mit fliehender Stirn und dicken Überaugenwülsten verbarg sich freilich ein Gehirn, das größer war als das des heutigen Menschen. Vor allem die Hirnbereiche für das Sehen und Hören waren offenbar besonders gut ausgeprägt. Dagegen fiel der für die Planung von Handlungen zuständige Stirnlappen beim Neanderthaler kleiner aus als bei Homo Sapiens.“ Aha. Nun könnten wir also zum Kern kommen: Wie Prof. Robin Dunbar (London, jetzt Liverpool) anhand von 36 Primaten-Genera nachgewiesen hat, besteht eine Korrelation zwischen der Größe des Neocortex und jener von Gruppen, in denen sich die Neocortex-Betroffenen bewegen: “There is a cognitive limit to the number of individuals with whom any one person can maintain stable relationships, that this limit is a direct function of neocortex size, and this in turn limits group size...“ Diese „stable interpersonal relationship“ ist es also, worum es geht. Die renommierte Unternehmensberatungsfirma Boston Consulting hat die „Dunbar Number“ in einem (schon mal gezeigten Schaubild) dargestellt:
Deutlich zu sehen: Die (stabile) Gruppengröße (ca. 150 beim Sapiens) korreliert mit dem Neocortex/Resthirn-Verhältnis. Daraus ist zu schließen, dass der Sapiens in größeren Gruppen unterwegs war bzw. dann auch siedelte als andere Hominiden (beim Neanderthaler wird als Gruppengröße ca. 20 bis 60 genannt). Die 150er-Zahl (Richtwert, zum Teil auch Maximalwert) als sozialer Stabilisator findet sich in zahlreichen Beispielen, die inzwischen untersucht wurden. Einige (von vielen) Beispiele:
- Hutterer-Siedlungen (60 bis max. 150) Und so weiter. Ein schönes Beispiel ist auch das äußerst erfolgreiche Unternehmen Gore, das auch drei solcher 150er-Einheiten in Deutschland unterhält, das keine Hierarchien kennt und die Löhne durch die Beschäftigten selbst regeln lässt. Sobald in einer Einheit, die 150er-Zahl überschritten wird (Parkplätze fehlen), wird die nächste in Angriff genommen. Durch die Sprache (spart Zeit, die für sie soziale Stabilisierung benötigt wird) kann die Zahl erweitert werden, was klar ist. „Sprachlose“ Primatengruppen brauchen bis zu zwei Drittel ihrer Zeit, um sich immer wieder miteinander „bekannt zu machen“, z.B. Kämmen, Lausen, usw. Der Schluss, die größeren Sapiens-Gruppen hätten kleinere durch ihre Größe allein „ausgestochen“, ihnen Habitat und/oder Nahrung geraubt oder sie der Einfachheit halber gleich ausgerottet, ist vorschnell, wiewohl naheliegend und sicherlich in vielen Fällen, wenn „Gruppe“ (Stamm) auf „Gruppe“ traf, zutreffend (zumindest einer war in der Regel bewaffnet). Aber jetzt kommen diese Cortex-Erweiterungs-Gene, von denen oben für Sapiens (seit 250.000/195.000 Jahren) die Rede war (Prof. Lahn) ins Spiel. Die Variante Mikrocephalin soll nach Lahn et al. vor ca. 37.000 Jahren erschienen sein (heute schon in 70 % aller Jetzt-Menschen vorhanden). Es könnte also ursächlich sein für das Verschwinden der „unterlegenen“, weil (noch) nicht mit diesem Gen gesegneten Hominiden wie Erectus (Spur verliert sich ca. vor 40.000 Jahren), Neanderthaler (vor 27.000 Jahren) und auch des jüngst entdeckten Homo floriensis (13.000 Jahre). Die andere Variante ASPM (= abnormal spindle-like microcephaly-associated) erscheint vor ca. 5.800 Jahren (heute schon in ca. 30 % aller Jetzt-Menschen nachzuweisen), was in etwa (die Chronologie ist nach wie vor umstritten) mit dem Auftreten der ersten mesopotamischen Großreich-Bildungen zusammenfiele, aber interessanterweise auch mit der jüdischen Zeitrechnung, die bekanntlich mit dem Jahr 3761 BC beginnt. Und auch in etwa mit der legendären Zeitrechnung der Maya, die 3114 BC startet. Nun bezieht sich die Dunbar’sche 150 sozusagen auf einen relativ passsiven Normalzustand (auch eine Kompanie steht nicht immer im Kriegseinsatz) und es wird diskutiert, was denn die optimalen Gruppen-Größen wären, sofern aktiv vorgegangen werden soll. Dabei gelten zwischen 25 und 80 als gut und 45/50 als ideal. Dies wäre, übertragen auf eine Gruppe, die sich auf einen „Fremdeinsatz“ vorbereitet, also die Zahl etwa der dann in den Einsatz abrückenden Krieger (100 wären dann Frauen, Kinder, Greise und die „Nachhut“). Die Zahl der „Chefs“ läge dann bei 9 bis 12 Leuten („Kommissionen“ aller Art sind bekanntlich bei 7 am effizientesten) – unbeschadet der Tatsache, dass einer als Chairman operiert. Aus dem Ganzen wären also mehr oder weniger erbauliche Schlüsse zu ziehen: 1. Unser Sapiens-Hirn, eh schon zu groß und nur stets unter Kapazität genutzt (auch Leute mit Halb-Hirn überleben problemlos), ist nicht etwa „Ausdruck“ von Erhabenheit etc., sondern eine durch Gen-Deformationen verursachte Wucherung. Dunbar: „The explanation for the increase in brain size within the hominid lineage ... stands in contradiction to the conventional wisdom that these large brains evolved to enable humans to hunt and/or manufacture tools.“ 2. Dabei haben sich im Sapiens jene Partien des Neocortex ausgewuchert, die uns nicht etwa „fitter for survival“ machten, sondern „fitter to kill and eliminate others“. Das Verhältnis Neocortex/Restbrain beim Sapiens ist ca. 50 % größer als für jede andere Primaten-Art. 3. Der Prozess ist weder abgeschlossen noch reversibel. Die entdeckten „alleles“ (Neocortex-maximierenden Gen-Mutationen) werden explosionsartig vererbt. Lahn: „Very heritable“. Sog. „Umweltfaktoren“ spielen keine Rolle: „Bad nutrition ist typically not a factor; the brain is very privileged within the body.“ Dies entspricht auch den Befunden der Dunbar-Diskussionen: Das Nicht-Vorhandensein der 150er-Größen ist dort zu beobachten, wo Sonderfaktoren eine Rolle spielen, z.B. Zurückdrängen in Grenz-Habitate. 4. Durch Sprache (heute mit Hilfe von massenmedialen Möglichkeiten multipliziert) können zwar erheblich größere „Gruppen“ entstehen, die aber niemals am grundlegenden 150er-Phänomen vorbeikommen, dafür aber immer weiter verfeinerte Hierarchien bilden, die sich dann wiederum in sich unterscheiden müssen: reicht von militärischen Rängen und tiefer gestaffelten Bürokratien bis hin zu „Statussymbolen“ (Autos, Häuser, Feten). 5. Das letztlich in der Neocortex-Wucherung und –Variierung angesiedelte Macht-, Machterringungs- und Machtausübungs-Phänomen (dessen Grundlagen sich sämtlich dort versammelt finden) mit seinen Unterwerfungs- und Eigenprofitmaximierungs-Bestrebungen dürfte uns noch viel stärker beschäftigen als wir überhaupt ahnen. Wann sich dieses „negative Potenzial“ mit voller Wucht entlädt, ist natürlich offen. Meine bescheidene „Hochrechnung“: Spätestens nach dem Zeitpunkt, da sich die ideologische und etatistische Maskierung der Realitäten nicht mehr halten lässt, wird’s spannend. Dann ist wohl nichts mehr mit „Menschenrechten“, „Liberalisierung“, „Gerechtigkeit-für-alle-Gesäusel“, „Internationalismus“, „Globalisierung“ und vor allem Machtabgaben-Vertagungen (Staatsverschuldung) im Zusammenhang mit dieser verzweifelt widersprechenden „Minimalstaats-These/Forderung“. Tja, man hätte wohl besser ein Rudel Australopitheci gewählt – artfriedlich und ohne üble Gen-Mutationen. Leider auf keinem Wahlzettel zu finden gewesen.
Schönen und weiterhin spannenden Sonntag dennoch + Gruß! |