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Re: Renfrew und der "Handel" in der Steinzeit |
Geschrieben von dottore am 04. September 2005 16:27:10 Als Antwort auf: Re: Schlag nach bei Marx & Plato und vielen anderen / eine Frage fehlt noch geschrieben von Diogenes am 02. September 2005 21:08:30 Hi Diogenes,
>>>Woher wußten die Händler plötzlich was wo und wogegen erhältlich ist, über hunderte von Kilometern hinweg? - Vorher gab es ja noch nichts an Handel. Dazu mal etwas grundsätzlicher, leider ein weites Feld. Der hochberühmte Prähistoriker Colin Renfrew
(geb. 1937, Cambridge, geadelt) versucht, den uns interessierenden Zeitraum ("prehistoric") archäologisch, lingustisch und molekularbiologisch (DNA usw.) zu enträtseln, also drei komplexe Wissenschaften zu vereinen. Er nennt das die "drei Dimensionen der menschlichen Geschichte". Zum archäologischen Befund zählt - mangels anderer oder kaum erhaltener prähistorischer Artefakte - der berühmte Obsidian, der sich sehr gut nach seiner Herkunft (jeweiliges Vorkommen) verorten lässt. (Entsprechend kann die Liguistik die Herkunft einer Sprache aus einer anderen und die Molekurarbiologie eine DNA-Struktur aus einer anderen "ableiten" - die Arbeiten sind mit riesigen Kontroversen in vollem Gange). Hier zunächst ein Auszug aus einem Interview mit ihm: JB: Let's talk a bit about how you got to where you are in terms of your science. RENFREW: "I started out at Cambridge doing natural sciences when I was an undergraduate, so I did Part One Natural Sciences, and then I went on to do Part Two Archaeology. I decided halfway through I really wanted to be an archaeologist. So that was straight archaeology; it wasn't the discipline that's emerged more recently, which is sometimes called archaeological science, which means the application of scientific techniques to archaeology." [Dabei geht's um die sich stark entwickelnde sog. Archaeometrie, deren Ergebnisse kaum noch zu überschauen oder nachzufolgen sind] Nun geht Renfrew ziemlich ansatzlos auf den Handel los: "But then I got into a very interesting problem which involved prehistoric trade. There was one commodity, a stone called obsidian, a volcanic glass, which was very widely traded way back in neolithic times. Obsidian is quite widely used in the world, but it's found in very few places. So when you have a good source, the obsidian tends to be traded over hundreds or even thousands of miles from that source." Hier gilt es einzuhaken. Dass Obsidian weit entfernt von der jeweiligen Quelle gefunden wird, ist unbestritten. Er muss also von A nach B gekommen sein. Nur wer sagt, dass dies durch "Handel" geschehen sein muss? Obwohl Renfrew auch von riesigen Migrationen, quasi rund um den Globus, ausgeht, setzt er gleichzeitig voraus, dass die Leute ortsgebunden waren. Und feste Bindung an feste Orte setzt doch den Handel zwischen diesen Orten voraus. Wie wir aber wissen, waren die prähistorischen Menschen 1. Nicht ein- für allemal dort sesshaft, wo sie Spuren hinterlassen haben. 2. Stämme, die sich nach Erreichen der bekannten "Optimalzahl" von ca. 150 ("Dunbar's number") aufteilten, wie es auch in der schriftlich überlieferten Geschichte noch und noch überliefert ist (z.B. "Zwölf Stämme Israels"). Die Stämme verteilten sich auf weitere Gebiete (oder nur der Stamm-Stamm bleib im ursprünglichen Gebiet). 3. Vielfach Jäger/Sammler, die ohnehin mit dem, was sie in A gefunden hatten, nach B weitergezogen sind. Folgen wir mal dieser Darstellung: 1. Stufe:
Der Text dazu nimmt die Handelstheorie auf, sagt aber gleichzeitig, dass Stammes- bzw. Unterstammes-Bewegungen stattgefunden haben: „The earliest evidence of long-distance trade in obsidian occurs during the late-glacial period, in the still-open landscapes before the spread of forests, when it circulated among Epipalaeolithic hunting and foraging groups around the Fertile Crescent.“ [Hier ist die Rede von Jäger-Trupps (hochmobil) und gleichzeitig von „long distance trade“ (orstgebunden); da die Jäger logischerweise nirgends sesshaft waren, ist doch die Frage: Wie kann gehandelt werden? Wie den nicht-sesshaften Stamm, einen Kleinst-„Verband“, der sich in den weiten Gebieten schnell verliert und kaum Zeichen seines Weges gesetzt hat, wie bei einer Autoschnitzeljagd, wieder oder überhaupt finden? Da ist also das heutige „Handels“-Modell, das auf beiden Seiten zwingend feste Plätze vorschreibt, „mal eben so“ auf die steinzeitliche Geschichte übertragen worden – ein wissenschaftlich unhaltbares Vorgehen, zumal das, was in der Gegenrichtung „gehandelt“ worden sein soll, in keinerlei Spur festgestellt werden kann; notabene: Wir sind noch vor der Keramik-Zeit! Also was kam in den Obsidian-Quellen (Dreiecke) an? Gejagt haben sie dort selbst, s.o. oben „hunter and forager“] Die Beschreibung geht dann so weiter (Anmerkungen in []): „Two chains of connection [warum nicht „trade“?] are already evident: obsidian from the Bingöl region of south-east Turkey reached Iraqi Kurdistan (via the Hilly Flanks route), and obsidian from the Cappadocian area of central Turkey was carried [warum nicht traded?] across the Taurus to the middle Euphrates and the northern Levant (the Levantine Corridor).“ 2. Stufe:
Text dazu: „During the rapid climatic swings which brought the late-glacial period to an end, in which a warmer Allerød phase was followed by a colder Younger Dryas phase, increasingly sedentary communities [Waren es autochthone „communities“ oder ein Fremd-Stamm, der sich dort niedergelassen hatte? Unwahrscheinlich, da man dann „Feinde“ aufgerüstet hätte; die ehemaligen Jäger, die über die gezeigten Routen gezogen war, hatten sich auch nicht schlagartig dort niedergelassen, sondern dort zunächst kleinere Behausungen gebaut, die sie nur gelegentlich dann zu saisonalen Jagdzwecken nutzten - so jedenfalls die neuesten Ergebnisse der Natufian-Forschung, vgl. ausführlich Alexander Marshack und andere] continued to trade obsidian [nach wie vor unklar wogegen getraded], which penetrated the whole length of the Levant. The middle Euphrates seems to have been an important intermediate region in this transmission [warum nicht „trade“?].“ 3. Stufe:
Text dazu: „The first farming communities (Pre-pottery [!] Neolithic A) appeared in the warm conditions which marked the beginning of the postglacial period, and increased quantities of obsidian (both from Cappadocian and Bingöl sources) came into circulation [warum nicht „were traded“?]. Although each source dominated in it own area (Cappadocian in the west and Bingöl in the east), some Bingöl obsidian reached the middle Euphrates and some traveled further down the Levant.“ [Keinerlei Hinweis auf „Trade“, das Problem wird elegant umgangen („increased quantities ... came into circulation“ ... „some travelled further...“). Das Problem liegt auf der Hand: 1. Es fehlt an der „Gegenware“ („pre-pottery“), die weder Jagdbeute noch Getreide gewesen sein kann. Und 2. Es laufen jetzt zwei Obsidian-„Ströme“ nebeneinander her. Wäre es „Handel“ gewesen hätten die „Abnehmer“ unschwer auf einen verzichten können oder sie hätten beide vermischt miteinander nutzen können. Es finden sich nicht beide Obsidiane an ein und demselben Ort (!), sondern an jeweils unterschiedlichen Orten, was auf unterschiedliche Stammeswege schließen lässt, über die das Obsidian „weitergereicht“, aber nicht gehandelt wurde. Dass wir dort kriegerische Auseinandersetzungen (rot/grün) annehmen können, scheint wahrscheinlich.] In der letzten Stufe
wird dies noch deutlicher. „Rot“ siegt über „grün“ und drängt diesen aus dem Gebiet. Dies aber nicht über „friedlichen Handel“ und „friedliches Auskonkurrieren“, denn beide Obsidiane hatten – wie die Karte davor zeigt, aufgrund der vergleichbaren Herstell- und Transportstruktur die gleiche Kostenstruktur – auf die jeweiligen Ursprungs-Stämme und ihre Zuggebiete bezogen. Fahren wir fort mit Renfrew und seiner Antwort auf die Frage oben: „The scientific question was how can you characterize the material from one source as related to another source. If you find a piece of obsidian dated at 8,000 B.C. at Jericho, and you're a thousand miles away from a source, can you really say where this piece of obsidian came from? We found a way to do this by using trace element analysis. We originally used optical emission spectroscopy, but more recently neutron activation has been used. This was one of the first successful characterization studies that allowed the reconstruction of trading patterns.“ Alles richtig – bis auf den letzten Satz. Er bringt keinerlei Beleg für „trading patterns“. Ihm fehlt bei diesem „pattern“ (Modell) nämlich der Gegen-Handel. Daher diese Frage des Interviewers: JB: To what end was this currency (!) used? RENFREW: It wasn't currency (!); it was supply, really. They had a need for the raw material for making lithic artifacts, and this was the best material, so it was very widely traded, exchanged, or transported. [Zwischen trade = Handel, exchange = Barter und transport = one way, not returns bestehen gewaltige Unterschiede] But your question is a very sound one — sometimes it's the indicator of contacts [um den Charakter dieser „contacts“ geht es doch gerade!] that are taking place of which you'd not otherwise have knowledge. If you get a quantitative analysis you do falloff maps and so on, you can get a measure of interaction [auch das einfache Weiterreichen innerhalb eines Stammes und der davon ab“stammenden“ weiteren Stämme ist eine „interaction“], and the obsidian may not have been the sole (!) motivation for that interaction, but it's something accompanying (!) it. I began to talk of trade as action at a distance [dieser „talk“ ist ganz und gar unzulässig, da eine Retro-Transponierung eines Phänomens der Jetztzeit in die Steinzeit], and began to get a measure of the extent to which communities were interacting [„communities“ – was ist das konkret? Renfrew erklärt es eben nicht!]. This is just a rather abstruse, but very concrete, measure of that interaction.“ [Ja, „abstrus“!] Nehmen wir ein anderes Beispiel für „interaction“, den bekannten Kula Ring:
Dabei haben wir (ich folge Opitz und der seit Bronislaw Malinowski (hat dies 1910/18 untersucht), Kula: The Circulation Exchange of Valuables in the Archipelagos of Eastern New Guinea, 1920 reichhaltigen, kontroversen und auch ergänzenden Literatur dazu, sehr umfangreich Jerry und Edmund Leach, The Kula, New Perspectives on Massim Exchange, 1983) einen „Ringtausch“, mindestens 500 Jahre alt und bis heute aktuell. Beim Kula brechen Expeditionen auf und schieben sich ringsum Geschenke und Gegengeschenke zu. Es ist weder bartern noch wird gefeilscht. Von „Handel“ also keine Rede, obwohl in der Literatur oft genug das Wort „trade“ erscheint. Um einmal „rum“ zu sein, kann es bis zu 10 Jahre dauern. Von den einfachen Leute, weiß niemand, wie das funktioniert; jeder hat „Partner“ auf den anderen Inseln, die Häuptlinge am meisten. „The Kula items (vaygu’a) are never used or considered as a medium of exchange or as a measure of value when in the Kula. They exist only to circulate within the Kula.“ Beim Kula operieren sogar ganz unterschiedliche Stämme mit ganz unterschiedlichen sozio-kulturellem Background miteinander. Schließlich nochmals Renfrew im Interview: JB: What pictures could you draw from that? RENFREW: It shows, for instance, that at the beginning of the neolithic period, the beginning of farming in the Near East, just about everywhere was in contact with everywhere else. [Ja, aber nur entlang der gezeigten Linien, was aber weder „trade“ heißt, sondern nur „interaction“; warum sind sonst der „rote“ und „grüne“ Obdisian zunächst ganz unterschiedliche Routen gegangen? Der „grüne“ war für die „roten“ Punkte besser und schneller zu erreichen!) There is no early farming village in the Near East that doesn't get obsidian, even though the obsidian sources are hundreds of kilometers to the north. Obsidian from Melos, which is an island in the Aegean, is found way back before farming, 10, 12, 13 thousand years ago, so this meant that the paleolithic hunter-gatherers must have been traveling in boats. [Kamen sie über Melos von Nord nach Süd oder hatten sie von Süden aus Melos „auf gut Glück“ angesteuert?] Similar evidence for early seafaring has now been found in the Pacific, and it gives an indication that people were much more efficient at seafaring than had been imagined.“ Das mit dem Pazifik ist nun ein wirklich alter Hut, schaue:
R.H. Tykot / S. Chia hatten dazu 1997 vor der Gesellschaft für American Archaeology ein Paper abgeliefert: The longest (!) stone age trade route in the world (!): Southwestern Pacific obsidian reached Borneo (Malaysia) in the 5th millenium BC. Nur steht da auch nicht drin, was der „Counter-trade“ gewesen wäre. Alos dasselbe Problem wie oben. Zum eigentlichen Handel im heutigen Sinne kommen wir in diesem Fall:
Dazu lesen wir: „Based on the nearly exclusive presence at the site of monies from Marseilles, we could suppose that the great majority of trade passed through this city. However, we also know that direct contacts (mercenaries, ambassadors) were established with other Mediterranean peoples, which also could have led to commercial relations.“ Also ganz genau, wie von mir ins Auge gefasst: Machtstruktur – Söldner – Handel. Bei dieser „Entremont“-Geschichte, auf Entremont „zielte“ schließlich der Handel, hier das dazu genutzte und in Entremont gefundene Münzgeld (zwei Tetradrachmen):
und nicht auf irgendwelche Bauernlümmel in der Provence, haben wir es ebenfalls mit einer klassischen Machtstruktur zu tun. Hier der Kopf eines dortigen Herrschers („decorated with a braided crown“):
Weitere in Entremont gefundene Handelsgüter (Herkunft Kampanien):
Das ist der macht-induzierte Handel mit allen Belegen, die wir brauchen, und nicht ex Jetztzeit retroprojizierte Mutmaßungen über die Steinzeit. Weiterhin einen schönen Sonntag wünschend + Gruß!
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