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Re: @nereus - Widerlegung der Markttheorie

Geschrieben von dottore am 24. August 2005 18:32:20

Als Antwort auf: @nereus - Widerlegung der Machttheorie geschrieben von Diogenes am 23. August 2005 21:39:29:

Hi Diogenes,

besten Dank für die scharfsinnigen Überlegungen. Wir sind offenbar im Kern der Causa.

>Behauptung: Erst dadurch daß ein Gut (z.B. Gold, Silber) als Tribut/Steuer gefordert wird, wird es zu "Geld" und es entsteht ein Markt dafür.

Wenn ich mich zunächst auf Silber beschränken darf: Welches Silber soll dieses vor-machtliche (also "marktwirtschaftliche") Silber-"Geld" gewesen sein? Konkret: Womit wurde als Silber-"Geld" auf den vor-machtlichen Märkten gehandelt?

Die Liste der aus den (vor allem altbabylonischen) Quellen des Nahen Osten überlieferten Silber-Arten bzw. -Formen und -Feinheiten ist lang (folgt weiter unten ex Karin Reiter, Die Metalle im Alten Orient... 1997).

Das mit dem "Ur"-Silber ist nämlich so einfach nicht. Um mich herum stapelt sich eine kleine Bibliothek zum Thema und ich hoffe sie möglichst zügig abzuarbeiten.

Vorweg: Von einem "Gut" Silber - also a priori immer gleich (wobei ich vor allem auf den Feingehalt abziele) - kann keine Rede sein und ich hatte dies auch nicht behauptet. Mir geht es um das standardisierte Silber, also jenes das einen Standardisierer voraussetzt. Nennen wir es der Einfachheit halber reines Silber, Details werden im Laufe der Debatte gewiss noch geklärt.

Nur als Verbildlichung das Argent-Le-Roi (Königssilber) aus dem französischen MA, das 23/24 (958/1000) "rein" (fein) war und 1/24 Kupfer als Zusatz hatte (so allerdings aus keinem Bergwerk gekommen, sondern eben nach der Förderung standardisiert).


Der Mineraloge nennt Silber ein "verborgenes" Metall (Moesta/Franke, Antike Metallurgie ... 1995), da es hauptsächlich aus Blei- oder Kupfererzen (letzteres wird den Schlüssel liefern, bitte um Geduld) gewonnen wird.

Er kennt auch "gediegenes" Silber. Allerdings (a.a.O): "Es tritt ... häufiger derb, als Anflug, in Blechen, Platten und hakigen Formen auf. Trotzdem ist es zu selten, als dass es als Silberquelle im Altertum Bedeutung gehabt hätte."

Bevor wir uns mit der Silbergewinnung selbst beschäftigen (spätere Postings), wobei u.a. als Standardwerk Paul Craddock (British Museum, Early Metal Mining and Production 1995 und diverse aktuelle Aufsätze, die in den Publikationen des Bochumer Bergbaumuseums erschienen sind, herangezogen werden, lassen wir zunächst einige Silberqualitäten und Bezeichnungen für Silber Revue passieren, die aus den nahöstlichen (und damit ältesten) schriftlichen Quellen, über die wir verfügen, überliefert sind. Reiter führt sämtliche ihr verfügbaren Belegstellen an und schreibt, dass aus ihnen "ersichtlich wird, dass auch Silber in unterschiedlichen Reinheits- und damit Qualitätsgraden bekannt war."

Silber ist zunächst nicht anzusehen, wie rein es ist, es lässt sich vor allem mit Cu gut strecken. Die ältesten bekannten Silber-Artefakte, wie eine "schwere Speerspitze" (!) aus Ägypten (4. Jt. BC) oder ein kleiner Stier aus Uruk (um 3000 BC) "haben einen erheblichen Bleigehalt, der die Herkunft aus gediegenem Silber ausschließt" (Moesta/Franke).

Nun ist für den Nahen Osten festzustellen, dass wir Silber "fein" (oder ähnliche Wörter, die eine Standardisierung beinhalten) ausschließlich im Zusammenhang mit bereits existenten Machtstrukturen finden:

1. Das Wort für Silber ("Edelmetall") ist . Der älteste Beleg für das Wort tritt auf in den frühesten Uruk-Texten (3200 BC, vgl. Green/Nissen, Zeichenliste der archaischen Texte aus Uruk 1987) . Bei Uruk haben wir es bereits mit der klassischen-nahöstlichen Machtstruktur zu tun, wo „les souverains de Mésopotamie“ (Roaf/Talon) residierten. Zum „erheblich“ bleihaltigen (!) Uruk-Silber (kù) siehe eben. Zur Lage der Machtzentrale:

Zur Machtstruktur:

Auf dieser Uruk-„Vase“ sind sehr schön Abgaben-Szenen zu bestaunen, ein endloser Zug von „Abgebern“ bringt Vieh, Körbe voller Subsistenzmittel und andere Dinge, die des Herrschers Herz erfreuen, dazu augenscheinlich auch das berühmte in Schalen und/oder Körben/Keramik:

Von „Kaufleuten“ oder „Marktteilnehmern“ kann wohl nicht gesprochen werden.

Die Stadtmauern von Uruk (Mauern – warum wohl?) hatten die kolossale Länge von 9,5 Kilometern und schützten ein Gelände von 450 ha, auf dem sich ca. 50.000 Bewohner aufgehalten haben dürften.

2. Danach tritt in den Urkunden noch einmal in der Zeit Sargons des Großen (Nimrod?) auf, um 2300 BC, der als nicht legitimer Herrscher (= Usurpator - „meinen Vater kannte ich nicht“) das erste Großreich der Geschichte schuf - sicher nicht mit „friedlichen Mitteln“. Dabei wird auch als kù-babbar (in verschiedenen Schreibweisen) bezeichnet bzw. diesem gleichgesetzt (vgl. Gelb/Steinkeller/Whiting, Earliest Land Tenure Systems..., 1991).

3. Das kù-babbar kann nicht „reines“ (und demnach als für Markttransaktionen irgendwie standardisiertes) Silber gewesen sein, da wir anderes Silber erwähnt finden:

- kù-babbar kal-ga = „starkes Silber“
- kù-babbar luh-ha = „raffiniertes Silber“
- kù-babbar sár(HI)-da/ra = „vermischtes Silber“
- kù-babbar sa/sa-ga = „gutes Silber“, usw.

4. In der Zeit des Hammurapi (um 1700 BC), einem weiteren bekannten „Reichsgründer“, der über ein mehrere Zehntausend Mann starkes Heer gebot, finden wir endlich den gesuchten Standard, ohne den marktwirtschaftliche Abläufe nicht vorstellbar sind. Dieser wird ausgedrückt durch den Zusatz kankum = „gesiegeltes Silber“. Dazu Reiter: „Durch Siegelung beglaubigtes Silber diente als Zahlungsmittel zur Begleichung der Steuern (!) an den Palast.“ Wie Marten Stol, Studies in Old Babylonian History, 1976, nachgewiesen hat, war für die Garantie der Qualität dieses Silbers und die Richtigkeit der Gewichtsangabe jeweils ein königlicher Beamter zuständig (übersetzt: der „Silberdarwäger“).

5. Dass dieses von der Macht standardisierte und in diesem Standard auch von auswärts abgeforderte Silber eine Rolle als Tribut gespielt hat, beweist eine Quelle, die ein solches Silber (kù-mi(ME)/mi-a) als Zahlung aus dem vermutlich im Iran (Grenze zu Aserbeidschan) in der zweiten Hälfte des 3. Jt. BC florienden Königreichs von Aratta nennt, vgl. Sol Cohen, Enmerkar and the Lord of Aratta, 1973.

Nun darf ich nochmals höflichst fragen: Mit welchem vor-machtlichen und vor-machtstandardisierten Silber als „Geld“ (Privatgeld?) soll Marktwirtschaft betrieben, also auf Märkten (wo?) gehandelt und gewandelt worden sein?

Diese Frage harrt dringend einer Klärung, da wir sonst Gefahr laufen, uns immer wieder im Kreis zu drehen. Meine Antwort habe ich versucht, zu geben:

Geld, also das hier interessierende „Silbergeld“ in standardisierter Form ist ein Macht-Derivat. Mit nicht-standardisiertem Silber sind Märkte nicht zu betreiben („Preise“ lautend auf was?).

Haben wir keine Marktwirtschaft, haben wir eine Machtwirtschaft (Abgabenwirtschaft). Zweck der Machtwirtschaft ist der Machterhalt. Die Macht ist stets in Gefahr, dem/den Machthalter(n) verloren zu gehen („dynastische“ Kämpfe, Kriege) oder von einem Nobody usurpiert zu werden (vgl. Sargon).

Um die Macht zu halten, genügt es bei zunehmender Population (Uruk) nicht, die Abgaben zu konsumieren (das schon mal besprochene „Big-Man“- oder LU.GAL-Phänomen) oder allein im Macht-Zentrum zu thesaurieren. Sie müssen re-distribuiert werden.

Diese Redistribution ist bei Subsistenzmitteln unumstritten, bei den sog. „Kostbarkeiten“ umstritten. Einmal, weil die Rolle der Kostbarkeit, die sie für die ersten Machthalter spielte (ihr „Wert“ für sie also) noch deutlicher gemacht werden muss – also, warum haben sie sie überhaupt zur Abgabe erklärt bzw. – in welcher Menge und Qualität auch immer – entgegen genommen? „Gekauft“ haben sie die Kostbarkeit nicht. Zum Zweiten, weil es Kostbarkeiten gibt, die nicht redistribuiert wurden (z.B. Lapislazuli). Andererseits solche, die es wurden.

Das sind Gold und Silber. Zur Herkunft des Silbers, das zunächst kaum, dann aber in großen Massen in Erscheinung tritt , wird noch zu posten sein. Zu seiner Rolle und der anderer Metalle z.B. im komplett und durchgehend marktlosen Machtsystem der Hethiter, die erst nach den Mesopotamiern ein Großreich errichten (2. Jt. BC, nachdem es in Mesopotamien längst Märkte gegeben hat) wird noch zu posten sein.

Warum sich aus der mesopotamischen Machtwirtschaft Märkte entwickelt haben, wurde bereits versucht, zu erklären: Ursache war die vom Machthalter eingeführte Parität Gerste/Silber bei gleichzeitig bestehendem – ebenfalls „amtlich“ eingeführtem (und nicht etwa per Leihangebot und –nachfrage sich frei, also „am Markt“ ergebendem) – Zinssatz von 33 und 20 Prozent.

Der 33-Prozenter führt sich zurück auf die Drittelung dessen, was im Jahr laufend produziert und verkonsumiert wurde (Palast, Tempel, Behalt). Es ist also eine Jahres- bzw. Ernterechnung. Klar (weil Gerste): Nur einmal im Jahr kann entschuldet werden.

Der 20-Prozenter kommt aus dem auf dem Produktions- und Konsumgut basierenden Gewichtssystem mit seiner kleinsten Einheit, die sich monatlich berechnen lässt (1), was bezogen auf das Jahr und die größte Einheit (60) eben 12/60 oder prozentual 20 ergibt. Es ist also eine Monatsrechnung. Klar (weil Silber): Jeden Monat kann entschuldet werden.

Noch dazu:

>Der Markt entsteht, weil etwas gefordert wird, das der Tribut/Steuerpflichtige nicht selber produziert.

Nein. Es könnte gar nicht gefordert werden. Selbstverständlich muss er es bereits produzieren, nur muss er jetzt entweder mehr produzieren (Surplus) oder er muss es sich beschaffen. Dies mit Hilfe eines anderen Gutes (z.B. Hergabe seines Subsistenzlandes, seines Viehs, usw.) oder über die Leihe des geforderten Gutes (mit entsprechender Verpfändung, z.B. Schuldknechtschaft).

Das heutige System, in dem tatsächlich das Abgabenmittel „Geld“ nicht selbst produziert werden kann und das deshalb auf eine Maximierung des Schuldendrucks (nicht bezahlte Steuern = Staatsschulden bitte einberechnen) hinausläuft und in derselben Überschuldung enden wird wie beim mesopotamischen agrarian usury, wurde schon ausführlicher besprochen.

Über das, wie die automatisch kommenden clean slates (= Entschuldung, Schuldenstreichung) ausschauen, wird hier seit langem trefflich diskutiert.

>Die Tributpflichtigen müssen das Gut herbeischaffen, der Herrscher zahlt dann damit seine Söldner, diese kaufen dann wieder bei den Tributpflichtigen.

Falsch. Die Söldner verkaufen das Gut den Tributpflichtigen. In dem, was die Tributpflichtigen dafür andienen, entstehen dafür Preise (das Marktmerkmal schlechthin) gemessen im Tributgut. Was die Tributpflichtigen andienen, hängt von der Sanktion ab, die ihnen bei Nichterfüllung ihrer Tributpflicht entsteht.

>Das heißt: Bevor das Gut nicht als Tribut/Steuer gefordert wird, gibt es keinen Markt dafür.

Vor dem standardisierten (!) Abgabengut (siehe oben) existiert überhaupt kein Markt. Womit sollte denn ge(ver)kauft/gepreist werden? In Silber 250/1000, 500/1000, 950/1000?

>Gäbe es bereits einen Markt dafür, dann gälte die Markttheorie.

Den Markt schaffen die standardisierten Tribute/Steuern. Ein Markt ohne (!) standardisiertes Schuldentilgungsmittel (ex Abgabenschulden) ist nicht definierbar, weil die Markt-(Kauf-)-Schulden nicht definierbar sind.

„So much to do, so little done“ (Cecil Rhodes).

Hoffentlich geht’s in Frische Morgen weiter.

Mit herzlichem Dank + bestem Gruß!