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Re: Freiland oder Freigeld? Vom Fast-Nobelpreisträger Gesell und seinen Adepten

Geschrieben von dottore am 02. Mai 2005 17:37:10

Als Antwort auf: Re: Wen (und warum) schließt das Logo ;) aus? geschrieben von dottore am 02. Mai 2005 12:22:34

Der Freiwirtschaftsbewegung fehlen dringend Leute, die sich in dem auskennen, was sie so gern verteufeln: Kapitalismus.

Statt dessen verfassen sie "anti-kommerzielle Kampfschriften" und plärren:

"Aufruf an die Seelenmasseure: IHR suggeriert den Leuten die Bedürfnisse, die sie nicht haben. Ihr habt die Lüge 'consumo ergo sum' zur Wahrheit inthronisiert! Deshalb seid ihr die Prediger der Unterdrückung! Wir fordern euch auf: Hört auf mit der totalen Manipulation des Menschen! Hört auf, die Menschen als eine knetbare Masse zu betrachten, die dumpf Euren eingehämmerten Kaufbefehlen gehorcht!"

Nun war Silvio Gesell

- im Kreise von jungen Damen der "revolutionären Jugend", Kassel, Ostern 1926 -

Kaufmann, wie noch in Buenos Aires an der Fa. der Familie seines Bruders zu besichtigen; der Herr Werner, der das Bild freundlicherweise eingestellt hat (Copyright FW-Bibliothek), betrieb lange Zeit ein interessantes FW-Forum:

Das Geschäft schaut nicht danach aus als würde es Kaufbefehle einhämmern. Insofern ein Fortschritt im Sinne des Erfinders, der ausweislich eines Vorschlags dreier seiner Anhänger posthum den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten sollte.

Die Preisträger des betreffenden Jahres (2001) lagen dennoch nicht so weit vom Schuss. George Akerlof

hatte sein ökonomisches Schlüsselerlebnis in Indien:

"As I have hinted earlier, the fundamental problem I wished to explore in economics, was the reason for unemployment. Unemployment involves, above all, a gap between supply and demand. In India, the caste system for centuries has interposed itself between supply and demand. The gaps between supply and demand in the Indian caste system were then potentially informative as to how similar gaps might exist in labor markets in Western countries."

Das Kastensystem darf mit Fug und Recht als "Systemfehler" bezeichnet werden.

Michael Spence

ist Schüler des verehrlichen Kenneth Arrow (ebenfalls Nobelpreisträger, 1972), bei dem er sich vor allem in die Gleichgewichtstheorie verliebt hat, in der Angebot und Nachfrage zueinander streben ohne sich je komplett zu erreichen, was die FWL indessen für ermöglichbar hält.

Der dritte Preisträger Joe Stiglitz

ist aus der Clinton-Ära und seiner Weltbankzeit bestens bekannt. Auch er ist bekennender Systemfehler-Adept:

"The most important systemic failure associated with the market economy is the periodic episodes of underutilization of resources."

Zu den wichtigsten Ressourcen gehört zweifellos Grund & Boden. Deshalb kaprizierte sich Gesell zunächst und vor allem auf diesen Tatbestand ("Freiland"-Forderung).

Der Gedanken, dass "nur" der Boden "Werte" schaffe, ist altes Gedankengut, das sich besonders mit dem Namen Francois Quesnay (1694-1774) verbindet,

der als Leibarzt von Madame Pompadour, der Mätresse Ludwigs XV. (dann von S.M. ebenso) und auch sonst von sich reden machte. Quesnay gilt als Initiator der sog. physiokratischen Schule, nach der "eigentlich" nur der ackernde Bauer selbst mit seiner Leistung den berühmten "produit net" schafft. Alle anderen Beteiligten gehören der "sterilen Klasse" an, tragen also nichts zum wirklichen Wirtschaft bei.

Das "ökonomische Tableau" der Physiokraten wäre hier zu bestaunen:

Die Viecher (livestock) hat Quesnay nicht mehr so richtig unterbringen können. Dies verwundert, da er seinen Physiokratismus zum ersten Mal 1736 in seiner Schrift Essai physique sur l'oeconomie animale untergebracht hatte. In der Ausgabe 1747 steht dies deutlich zu lesen (III, 364-72).

Tja, was ist nun mit dem Menschen, der via Viehhaltung ebenfalls steriles Einkommen beziehen, da sie schließlich nicht selber kalben, egal, ob sie nun selbst sterilisiert sein mögen oder nicht? Ein Rätsel!

Eine Kurzbeschreibung über jene, die "wirklich" was leisten und jenen, die nur schmarotzen, hier:

"The Physiocrats believed land was a "natural gift" to men, and thus did not think that an owner of land was undergoing "toil and trouble" in letting it be used by others and thus there is no such thing as "compensation" to the landlord - it simply was not thought of as "natural". He just grabs the net product."

[Böse, böse!]

"In contrast, we should note that the landlord is not the only "sterile" person here. In fact, the only "productive" person is the farmer, the only one that generated a net product. The landlord, the farmhand, the foreign merchant and, most notably, the artisan, are all part of the "sterile class" because none of them generated a net product.

Dieser Gedanke findet sich in dem "leistungslosen Einkommen" wieder, gegen das moderne Gesellianer so heftig vom Leder ziehen. (Man muss halt nur, wissen, wo die Wurzeln einer Idee wirklich liegen).

Gesell selbst kommt von den Physiokraten her. Das kommt in diversen Formen zum Ausdruck:

- Er betreibt selbst leidenschaftlich Landwirtschaft (Landgut in der Schweiz, Obstbau bei Oranienburg)

- Sein engster Freund der frühen Kampfzeit Ernst Blumenthal vertreibt nicht nur Gesells Buch "Verwirklichung des Rechts auf vollen Arbeitsertrag" (1906), was den Quesnay aktiv gewendet darstellt und bringt auch gleich noch eine Zeitschrift mit einschlägigem Titel heraus:

- Auch dort, wo Gesells Hauptwerk 1916 erscheint, west ein "Physiokratischer Verlag". Nomen ergo omen.

Was heute so sehr im Mittelpunkt der Gedanken der Gesellianer steht, nämlich das Geld, wobei der Geld-Halter per definitionem der sterilen Klasse (die bei Quesnay den perfiden Geldsack noch nicht enthalten hatte) zugeordnet wird, weshalb sie auch einem System der "Umlaufsicherung" (Klartext: Geldbesteuerung) unterworfen werden soll, ist also ein zusätzlicher Gedanken-Sprung, der allerdings das Problem der sterilen Klasse der Grundeigentümer (landlords) nicht per se beseitigt.

Diese sterile Klasse soll nach Gesell so peu à peu der (Ab-)Grund ihres sterilen Daseins benommen werden. Das geschieht durch Übergang des Bodens an jedermann, der ihn dann pachten kann. Die bisherigen Grundeigentümer werden entschädigt. Aber wie?

Durch Ausgabe von verzinslichen Staatsschuldscheinen! Die schiere Summe, um welche, die Staatsverschuldung dadurch in die Höhe getrieben würde, schreckt Gesell nicht, kommt er doch zu dem klassischen Ausruf: "Das Becken ist eben groß und fasst viel." Bravo!

Die Vorstellung der Neo-Gesellianer, der Staat rutsche nur deshalb ins Minus, weil das "Geld" einen Systemfehler habe, ist nach dem, was der Meister selbst gelehrt hat (verzinsliche Staatsschuldscheine!) nicht ganz nachvollziehbar.

Die Höhe der Bodenpacht richtet sich nach der bisherigen Pfandbrief-Rendite. Die Summe, so Gesell, sei ein "Durchgangsposten", was - so wie von ihm konstruiert - gänzlich richtig ist. Nur kommt es jetzt zu einem bösen Schnitzer:

Die Staatspapiere, mit deren Hilfe der Boden der sterilen Klasse entzogen wird, haben ebensowenig Laufzeit wie der Boden selbst. Der Zinssatz (bei Gesell 4 oder 5 %) wird aber bei Ausgabe festgeschrieben. Demnach erlebt der Bodeneigentümer, der Bodenrente (Boden-Zins) kassiert, eine konfortable Verwandlung in einen Staatsrentner, der Staatsrente ("Staats-Zins") kassiert. Wir kennen dies von den rentes perpetuelles, die das ancien régime im vorrevolutionären Frankreich begab.

Der Hinweis Gesells, dass sich das alles schon von selbst erledigen würde, da sich mit seine ebenfalls durchzuführenden "Geldreform" der Zinssatz senken würde (ein Gedanke, der Neo-Gesellianer inzwischen sogar so weit verfeinert haben, dass sie von einem [möglichen] Geld- bzw. Kapitalzinssatz von "unter Null" (!) ausgehen, da sich "Sättigungen" aller Art einstellen), geht vollends daneben.

Denn bei einem Nullzins im monetären Bereich würden Ewigrenten, die einen positiven Zinssatz - eben die Gesell'schen 5 oder 4 % - Kurse haben, deren Höhe auch das beste Teleskop zu erkennen oder auszumessen nicht mehr in der Lage wäre.

Nun kommt gern der Einwand: Aber die Zinsen fallen doch auf Null und damit auch jene, die den Bodeneigentümern für ihre Staatsschuldscheine angeboten würden.

Nun wird aber niemand, der eine Grundrente bezieht, diese in einen Nullprozenter tauschen. Auch kann sich der Staat nicht durch den Rückkauf der bereits zu einem Coupon von über null Prozent begebenen Papiere, mit denen er die Grundeigentümer "entschädigte", aus der Schlinge ziehen. Er muss nämlich für die bereits begebenen Papiere immer mehr bezahlen, da deren Kurse raketengleich abheben werden. Dies obendrein mit Booster: Umso schneller, je mehr der Staat davon zu kaufen versucht.

Selbst wenn der Staat in Anlehnung an Gesell glaubt, dies mit "zusätzlichen Steuern" stemmen zu können, ist zu fragen: Wenn es zum Nullzins kommt, lassen sich wohl kaum jene massiven Mehr-Steuereingänge realisieren, die dazu benötigt würden. Im Gegenteil: Beim Nullzins wären nicht nur zinsabhängige Steuern auf Südkurs, sondern auch jene Steuern, die sonst noch so von sich her machen.

Denn: Beim Nullzins läge der von den Neo-Gesellianern so beklagte "Zinsanteil an den Preisen" (die Rede geht, basierend auf Creutz, sogar von 30 %!) selbstredend ebenfalls bei Null und die Preise lägen entsprechend niedriger. Wie sich dann die preisabhängigen Steuern entwickeln (MWSt. usw.) kann sich jeder unschwer selbst ausmalen.

So schön sich das mit den vermaledeiten "Sterilen" bei Quesnay noch lesen ließ - so wie sich der aktuelle neo-gesellianische Physiokratismus darstellt, haut er halt nicht hin. Das mag erklären, warum die einschlägigen Heilslehrer sich derweil nur noch auf das "Geld" als Skandalon kaprizieren und das (Boden-)Eigentum und dessen Problematik gern weiträumig umgehen.

So auch in diesem schönen Buch

mit einem schrecklichen Layout, leider. Warum kippt gerade der gotische Turm, der doch (Thema Brakteaten und die mittelalterlich "Hochkultur" als "Geschenk" des Geldwesens, usw., usw.) als Kronzeuge für anmutig-freies "Wirtschaften" immer wieder vor die Schranken des Weltgerichts geholt wird?

Der auf dem Cover zu lesende Verlag hat sich leider aufgelöst, aber der Rechtenachfolger verspricht eine Neuauflage. Dies zur Beruhigung allzu nervöser Gemüter.

Also, Ihr geknechteten Entrechteten, wie ist das nun mit der "Natürlichen Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld" (Gesell 1916)?

Muss eins davon über Bord? Soll die Reihenfolge umgedreht werden? Was dann?

Was ich beim Nullzins (endlich!) machen werde, steht schon fest, wird aber nicht verraten, könnte aber dank Quesnay erraten werden.

Gruß!