zur Sammlungsübersicht

Wie kommen arabische Silbermünzen auf die Lofoten?

Geschrieben von dottore am 06. Oktober 2004 17:41:00


Hi,

von der immensen Dichte von Münzhorten, enthaltend römische bis arabische Gepräge, auf der Insel Gotland war hier schon des öfteren die Rede. Dass es sich dabei um Rimessen im sog. "Fernhandel" gehandelt haben soll, wobei gern an gotländische Bernsteinexporte (Vieh, Pelze oder gar Getreide u.ä. kommen wohl kaum in Frage) erinnert wird, habe ich noch nie für einleuchtend gehalten. Allein das gotländisch-südschwedische Fundgut, das museal verwahrt und noch längst nicht komplett ediert ist, umfasst mehrere Zehntausend Einzelstücke. Rechnet man die sonstigen europäischen Gepräge dazu ("Otto-Adelheid-Pfennige") landen wir bei Hunderttausenden. Was und in welcher Form das mit dem "Danegeld" bzw. "Heregeld" zu tun hat, wobei mehrere Dutzend Tonnen Silber bewegt wurden (ca. 60 Millionen - ! - Münzen), soll hier nicht vertieft werden.

Die von den Numismatikern (u.a. Jonsson 1993, The Routes for the Importation of German and English Coins to the Northern Lands in the Viking Age) aufgetischte These, allen Horten mit nichtlokalem Gepräge und demnach Münzbewegungen, lägen zunächst friedliche Handelsaktivitäten zugrunde, wonach dann in Zeiten der "Gefahr" rasch verbuddelt wurde, kann unmöglich stimmen, zumal die Horte in Gegenden lagen, aus denen beim besten Willen nichts "Exportables" ausgemacht werden kann (Finnland, Ostfriesland, Hinterpommern, mehr dazu gleich). Die Hort-Theoretiker bewegen sich da auf kaltem Wasser, nicht mal mehr auf dünnem Eis.

Zwar war der zentral genannte Bernstein (recte: Brennstein, denn er wurde vor Ort verfeuert) zwar sicherlich Tausende von Kilometern weit weg ein begehrtes Schmuckgut. Aber auf dem Antikenmarkt (Gemmen usw.) kommt Bernstein im Gegensatz zu wirklichen Edelsteinen eher selten vor. Aus der byzantinisch-arabischen Welt praktisch überhaupt nicht.

Zur "Handelstheorie" hatte sich auch der große Henri Pirenne geäußert:

"So long as the Mediterranean [had] remained Christian, it was the Oriental navigation that maintained commercial intercourse with the Occident. Syria and Egypt were its two principal centres; and these two wealthy provinces were the very first to fall under the domination of Islam. It would obviously be an error to believe that this domination put an end to all commercial activity. . . . Commerce . . . continued, but its direction was changed. ...

Islam directed . . . new trade routes, which were opened up by the immensity of its conquests. These new trade routes connected the Caspian Sea with the Baltic, by way of the Volga, and the Scandinavians, whose merchants frequented the shores of the Black Sea, were suddenly compelled to follow the new route. Of this we need no further proof than the many Oriental coins found in Gothland. . . ."

Dass sich große Metall-Bewegungen abgespielt haben, steht außer Frage. Nur waren es wirklich "merchants", die damit zu Gange waren?

Zur Klärung dieser Frage sind Untersuchungen hilfreich, die am Orientalischen Institut der Uni Zürich zum Thema Seidenstraße (also einer der Handelsrouten schlechthin) laufen.

Aus dem Forschungsbericht darf zitiert werden:

"Wie der Handel in Zentralasien im Einzelnen funktioniert, ist überraschenderweise kaum erforscht, und dies, obwohl die Quellenlage ausgesprochen reich ist. In dieser Untersuchung soll es um das Funktionieren des Handels in Zentralasien gehen, von der muslimischen Eroberung im 7. Jahrhundert bis zur Isolation Zentralasiens durch den safawidischen Iran und den Einbruch des Fernhandels über die Seidenstrasse im 16. Jahrhundert.

Importiert nach Zentralasien werden an Handelsgütern aus der südrussischen und zentralasiatischen Steppe, besonders Sklaven, aus den Waldgebieten Russlands, Osteuropas und Sibiriens Pelze und Honig, aus dem Fernen Osten Seide, Gold und Silber, Gewürze und Medizinalpflanzen, Porzellan und Edelsteine. Exportiert werden in die Wälder Russlands und Osteuropas besonders Münzen und Waffen, und nach China Glaswaren." (Gleich geht's weiter).

[Was an Südrussland, das seinerseits mit Skandinavien verbunden war, interessiert, sind nicht die Sklaven, die - wie die Ösenringe (der große runde Gegenstand; gerade einen erworben, der genau um den Hals passt) zeigen (die Abb.en ermöglichen einen Größenvergleich zu den Fibeln (Stecknadeln) im Gewand - in Skandinavien gang und gäbe waren

und:

(Ladezeit dauert...)


- oder Pelze und Honig, die ohnehin zur Erklärung wenig beitragen. Es muss da etwas "Anderes" gewesen sein, eben der oft genug besprochene Zug von Söldnern in die südlichen Gefilde...]

(Hier weiter der Zürich-Text (in Auszügen):

"Es ist zu unterscheidend zwischen Land-Routen mit Strassen, gefährlichen Stellen, Brücken, Furten und Eisübergängen, Karawanserailen und Lagerplätzen einerseits, und Wasser-Routen mit Wasserwegen, Katarakten und Flachstellen, Schleppstrecken über Land, Häfen und Ankerorten andererseits. Wann welche Route gefährlich und/oder einträglich ist, wann welche Route neu aufgeht oder in Vergessenheit gerät, wie Land- und Wasserweg zusammenspielen, ist unbekannt.

Die Rolle der grossen Städte in den Handelsnetzen bleibt zu bestimmen. Sind die grossen Städte zwingende Knotenpunkte des Fernhandels oder können sie umgangen werden? Verbinden sie den Fernhandel auch mit dem regionalen Handel?

[Gute Frage]

Zentralasien hat seine eigene Produktion, unter anderem von Silber, Papier, Seide und Baumwolle. Das Zusammenspiel von erhandelten und produzierten Waren ist vermutlich fein austariert und ändert sich im Lauf der Zeit.

[Bei den "Waren" fehlt leider die Wichtigste...]

Ueber die Organisation der Kaufleute sind wir unzureichend informiert...

Die Kaufleute leisten Abgaben an staatliche Beamte und an Wegelagerer - wobei beide Gruppen den Handel möglichst stark schröpfen, ihn aber nicht ganz lahmlegen wollen. Die Kaufleute sind in jedem Fall sehr verletzlich und wehren sich, indem sie Schutztruppen mitnehmen, Zölle und Wegezölle abgeben, Bargeld durch Zahlungsanweisungen an Geschäftsfreunde ersetzen, besonders gefährliche Strecken und Routen meiden usw."

Kommen wir nun zum Kern. In der neuesten Ausgabe 4/2004 von "Der Anschnitt" zeigt der bedeutende Montan-Archäologe Prof. Gerd Weisgerber (Bergbau-Museum Bochum) in seinem Aufsatz Prähistorischer und historischer Bergbau in Afghanistan auf, was aus dieser Gegend an Schätzen gewonnen wurde (und wie bergbaulich): Edelsteine, Lapislazuli (bekanntestes Produkt), Smaragd, Salmiak, Schwefel, Salz, Asbest, Speckstein, Alabaster usw.

Dazu natürlich auch Silber, das, wie ein bis heute schier unendlicher Strom von Münzen der greko-hellenischen Herrscher und ihrer Nachfolger (dort befand sich auch die größte Silbermine des arabischen Beritts, die hier schon mal vorgestellt worden war) beweist, en masse vorhanden war und gefördert wurde.

Dazu, und das ist der Kern eine Karte samanidischer Silbermüzen zur Wikingerzeit. Über die russische Ebene verstreut sehen wir zahlreiche Anhäufungen von dort gefundenen Einzelmünzen. Die Hortfunde aber beginnen mit Gotland, ziehen sich dann über die dänischen Inseln und Jütland nach Norden, erst in den Oslo-Fjord und dann massiert entlang der norwegischen Küste bis hinauf zu den Lofoten !

Weitere Hortfunde sind über England verstreut bis nach Irland und (Achtung, Zandow!) auch in Norden Islands auszumachen.

Dass von Afghanistan aus (das jede Menge "begehrenswerter Fernhandelsgüter" selbst zuhauf besaß) Handel bis zum Polarkreis betrieben wurde, wo sich die entsprechenden "Zahlungsmittel" einer arabischen Dynastie finden, die vor allem im 10. Jh. im Schwange war (und sich dort lt. traditioneller Geschichtsschreibung vornehmlich mit Hilfe "türkischer Söldner" im Sattel hielt), um 1005 AD sang- und klanglos zu verschwinden, kann nur ins Reich der Märchen gehören.

Die Samaniden-Münzen schauen übrigens so aus (hier ein Goldstück, in Silber auf der exzellenten Seite von Bilbeisi noch nicht eingestellt):

Zwar hält die Forschung, z.B. Sebastian Brather, Frühmittelalterliche Dirham-Schatzfunde in Europa. Probleme ihrer wirtschaftsgeschichtlichen Interpretation aus archäologischer Perspektive 1995/96, nach wie vor an der "Handelstheorie" fest (der Rezensent in der "Hansischen Umschau" 1999: "...gibt er den Austauschbeziehungen und Handelsaktivitäten mit der arabischen Welt den Vorrang vor Tributzahlungen, Plünderungszügen, Soldzahlungen u.a." und "dass die Menge des in Nord- und Osteuropa vergrabenen Silbers offenbar ein Indiz geringerer wirtschaftlicher Entwicklung sei."

Nur warum die durchaus kriegstüchtigen und wehrfähigen "Nordmänner" dann das Silber vergraben und nicht wenigstens zu irgendetwas Schönem verarbeitet haben (jeglicher Form der Schmiedekunst waren sie mächtig), bleibt dann rätselhaft. Prof. Weisgerber teilt nämlich mit:

"Das in Silbermünzen zu Hunderttausenden in den Norden geflossene Silber findet sich analytisch nicht im Wikingerschmuck wieder..."

Wen solche allseitigen und kolossalen Ungereimtheiten nicht weiter stören, der mag es halten wie er will.

Für mich ist dagegen immer klarer: Entweder muss die Geschichte des "Handels" (und der Handels"bilanzen") völlig neu geschrieben werden oder man besinnt sich auf ein Faktum der Geschichte, aus dem sie tatsächlich bis heute besteht und seit Jahrtausenden bestanden hat.

Dank fürs Lesen und gern auf Widerspruch, Weiterungen, Ergänzungen, Fragen usw. wartend + Gruß!