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Woher kommt der Arbeiter?

Geschrieben von dottore am 26. August 2004 17:03:13


Hi,

die Entstehung des Lohnarbeiters bedarf mE noch der Enträtselung. Er wird auch als "freier" Lohnarbeiter bezeichnet, weil er über seine "Arbeitskraft" frei verfügen kann (Berufs- und Arbeitsplatzwahl usw.). Andererseits auch als "abhängig Beschäftigter", wobei allerdings die "Abhängigkeit" die vom (ihm gegenüber weisungsbefugten) Arbeit"geber" meint, die sich nach Eingehen eines Arbeitsverhältnisses überhaupt erst ergibt.

Das Arbeitsgerichtsgesetz hilft nicht wirklich weiter, da Arbeit"nehmer" eben Arbeiter und Angestellte sind, womit, was erklärt werden soll mit dem erklärt wird, was erklärt werden soll.

Auch das Bürgerliche Gesetzbuch bringt wenig Erhellendes, da im "Dienstvertrag" Arbeiter (und Angestellte) ebenfalls als Vertragspartei vorausgesetzt werden. Auch das Europäische Recht geht beim Stichwort "Arbeitskräfte" bereits von der Existenz von "Arbeitnehmern" aus, was auch nicht weiterhilft.

Auf die rundum fehlende Legaldefinition der Arbeiters hat gerade erst wieder der Regensburger Arbeitsrechtler Reinhard Ricardi hingewiesen.

Sicherlich ist jedem in etwa geläufig, was unter einem "Arbeitnehmer" zu verstehen ist, aber so richtig befriedigend ist die Sache nicht. Das gilt auch für die umfangreiche Literatur (nicht nur Karl Marx), die einen Arbeitgeber ("Kapitalisten") ebenfalls voraussetzt, um zum "Arbeiter" zu kommen (was wäre der Kapitalist wohl ohne ihn?). Auch die schöne und auf den ersten Blick einleuchtende "Erklärung", die Adam Smith liefert, wo er auf die Arbeitsteilung hinweist, dreht sich letztlich im Kreise: Gibt es "Arbeit" kann sie auch geteilt werden, womit aus einer Anzahl Arbeiter dann mehr oder viele werden. Wer hätte das gedacht.

Gehen wir zurück in die Geschichte (gähn), so finden wir ganz am "Anfang" natürlich Menschen, die was "tun" oder eben auch "arbeiten". Das tun sie freilich für sich bzw. den jeweiligen "sozialen Kontext" (z.B. Jäger, Bauer, Familienhof, Stammesmitglied o.ä.) und nicht für irgendwelche Arbeit"geber", in deren "Dienst" (vgl. BGB) sie treten und wofür sie dann "entlohnt" werden.

Schon der "Lohn", jedenfalls in so etwas wie einem "monetären" Äquivalent würde kaum Sinn machen, da sowohl "Geld" als auch "Märkte" fehlen, auf denen das "Geld" in etwas anderes als das Erhaltene "gewechselt" werden könnte. Vor allem aber wäre zu fragen, wo sich denn der Arbeiter aufhält, wenn er sich nicht in der Arbeitsstätte befindet, die im Eigentum des Arbeitgebers liegt.

Hält sich der "Arbeiter", also jemand, der irgendetwas bewerkstelligen kann, auf seinem eigenen Grund und Boden auf, ist zu fragen, warum er sich nicht dauernd darauf aufhält und sich seine Subsistenz erwirtschaftet, sondern diesen verlässt - eben um in die Dienste eines Anderen zu treten. Wie kommt der "Andere" an die Arbeitskraft des Arbeiters, wobei wir von Versklavungen absehen müssen, da der Sklave im Eigentum eines Anderen und nicht seiner selbst steht?

Es fehlt also der Übergang bzw. das missing link.

Nun könnte man den Bevölkerungsdruck zu Hilfe rufen und annehmen, dass der ursprünglich zur Verfügung stehende (familiäre) Grund und Boden eines Tages eben nicht mehr "für alle" ausgereicht hat und die "überschüssigen" Kräfte eben gezwungen wurden (oder waren), sich Anderen "anzudienen". Dabei ergeben sich allerdings zwei Schwierigkeiten:

- Verlässt der sich "Andienende" seinen ursprünglichen Beritt, kann er kaum dorthin zurückkehren, sozusagen als "Tagelöhner", der des Nachts wieder die frühere Behausung aufsucht, da der Bevölkerungsdruck, wenn er schon mal zur Erklärung hereingebeten wurde, nicht plötzlich wieder abreißt. (Auf die diesbezüglichen Dauerprobleme des "Für-immer-Wegziehens", auch des ver sacrum oder der "Neulandnahme" usw. könnte gesondert eingegangen werden, wiewohl auch sie keinen "Arbeiter" schaffen, sondern faktisch eine Multiplizierung des bereits Vorhandenen).

- Gerät der sich "Andienende" auf Dauer auf das Gelände (Grund und Boden, Eigentum) des Anderen, erlangt dieser de-facto-Gewalt über den Betreffenden, was wir in den zahlreichen Grundherrschaftsverhältnissen (Grunddienstbarkeiten) bis hin zu platten Leibeigenschaft von überall her kennen. Der "Leibeigene" war notabene kein Sklave, da er nicht ein vom Grund unabhängiger Dienstleister war, sondern seinen "Herrn" nur wechselte, wenn auch der Grund seinen Herren wechselte (man vergleich die immense Urkundenflut zu diesem Thema, wo niemals der Grund allein, sondern immer mit Unbeweglichen und Beweglichem darauf den Eigentümer wechselt; gelegentliche Ausnahmen spielen keine wirkliche Rolle). Egal wie: Auch in diesem Fall kommen wir nicht zum "Arbeiter" als solchen - eben als "freien" Arbeiter im modernen Sinne.

Was ist also das Loch, durch das er schlüpfen konnte oder musste? Nämlich der entweder a priori und in Permanenz "unabhängige" Mensch zum Arbeiter wurde oder der (fremd)grundabhängige Dienstleister ebenso?

Dabei sind einige Beobachtungen interessant:

- Im Fall des Brudermörders Kain findet sich ein ausdrückliches "Bestrafungsverbot" (Genesis 4) des Missetäters ("wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden"). Aber was macht Kain? Er ist Ackerbauer (Abel war Viehzüchter - das bekannte "Wildwest"-Problem) und muss den Acker verlassen. Er verschwindet aber nicht "irgendwohin" und auf Nimmerwiedersehen, sondern er baut eine Stadt (!), die er nach seinem Sohn Henoch benennt. Das würde diese Deutung zulassen: Städte werden um einen "heiligen" Platz herum errichtet - das viel besprochene Tempel-Phänomen. Die Heiligkeit bedeutet nun nicht einen Gebetsort, sondern ist ganz praktisch ein Sanctuarium, ein strafffreier oder strafbefreiender Ort. Dem muss natürlich Nachdruck verliehen werden - was die die überall zu findenden kolossalen Wehranlagen um das Tempelgebiet herum zeigen, wie hier im Beispiel der "ältesten" Stadt, nämlich Ur (4 Jt. BC):



Wobei die zentrale Anlage auch schon "an sich" so gut wie uneinnehmbar war:



Das Ganze muss natürlich auch "von oben" abgesegnet, also einem "Gott" gewidmet sein. Dass solche Kolossal-Anlagen ihrerseits ein Finanzierungsproblem mit sich bringen, versteht sich von selbst. Dieses verschärft sich, wenn die bereits abgabenbedingte Überschuldung vorliegt, wie in Nehemiah bestens dargestellt (vgl.: "Wir haben auf unsere Äcker und Weinberge Geld aufnehmen müssen, um dem König Steuern zahlen zu können" - 5, 4). Interessant bei Nehemiah ist auch, dass erst die Mauer (wieder) errichtet wird und dann der Tempel. Und nach diesem "Modell" die weiteren Städte.

Da wir bei Nehemiah auch einen Schuldenerlass finden (clean slates) wäre damit innerhalb der jetzt im Schutz der Mauer und des Tempels Befindlichen nach den clean slates eine abgaben- und entsprechend auch straffreie Schicht entstanden, die nun ihrerseits als "Arbeiter" auftreten konnten, da man ja in der Stadt selbst nur ungenügende Subsistenzmittel auftreiben konnte, vielmehr auf die - jetzt fremdabgabenbefreite - Länder ringsherum zurückgreifen konnte, sozusagen im "ökonomichen Ausfall" aus der Festung.

- Noch deutlicher als bei den city states wird es bei den territorial states. Auch dort muss eine "Befreiung" (recte: Dienst- und Abgabenbefreiung) sich ereignen, um den dann "freien" Arbeiter auf die historische Bühne zu holen. Heinsohn und Steiger hatten dies am Beispiel der Lollarden unter Wat Tyler in England nachgewiesen (14. Jh. - der bekannte Aufsatz in Leviathan), aber man findet es ebenfalls schon erheblich früher, z.B. in den Reformen des Atheners Solon. Nach dessen seisachtheia (Schuldenbefreiung, clean slates) finden wir zum ersten Mal in Attika "Arbeiter" (Theten). Ähnliche Abläufe sind natürlich durch die diversen Bauernbefreiungen in aller Welt (z.B. Stein-Hardenberg'sche Reformen).

Der Arbeiter im heutigen Sinne hatte seinen Erstauftritt im Alten Nahen Osten, 4. / 3. Jt. BC. Zuerst wurde er durch die großen Grundbesitzer aufs Feld "gelockt", da er mit den eigenen Subsistenzproblemen nicht mehr zu Rande gekommen war. Das von ihm zu leistende SOLL (womit er bereits de facto Grundrenten-Abhängiger wurde) war - aus welchen Gründen auch immer - nicht in Permanenz zu leisten. Daraufhin wurde er in die, schon ausführlich besprochene Verschuldung geschickt (33 % für Gerste-, 20 % dann für Silber-"Leihe"), aus der es kein Entrinnen gab.

Die zahlreichen clean-slates-Edikte machten ihn - immer wieder, allerdings auch immer wieder nur vorübergehend - zum "freien" Mann (entschuldet), so dass er sich wieder "andienen" konnte - allerdings bei letztlich derselben Schicht der Großgrundbesitzer (Latifundistas), was das Problem nicht ein für alle Mal aus der Welt schaffte.

So haben wir also auch beim "Arbeitnehmer" ein stetiges Auf und Ab bzw. Hin und Her in Parallele zur gesamthaften (und letztlich von ihm selbst) aufzubringenden Abgabenschuld. Je höher sie steigt, desto weniger "Arbeitskräfte" erscheinen noch bzw. können überhaupt erscheinen. Die viel besprochenen "Lohn-" und "Lohnnebenkosten" (letztlich geschuldete Abgaben) können erst wieder sinken, wenn die ganz große, heute anstehende Entschuldung über die Bühne ist, nämlich jene, die auf den Bürgern liegt - wenn auch in Form von "vertagten Steuern" (= Staatsverschuldung) noch eine Weile in die Zukunft verschiebbar.

So in etwa also. Dank fürs Lesen, fürs eventuelle Mitdiskutieren (erbitte schon jetzt Dispens, da gerade zeitlich knapp) + Gruß!