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Re: Eigentum, Zins, Tempel, Pfründen, Herrscher usw.

Geschrieben von dottore am 03. August 2004 16:38:21


Als Antwort auf: Kleine Ergänzung geschrieben von bernor am 03. August 2004 00:52:21

Hi bernor,

zunächst besten Dank. Wir kommen so langsam den Dingen auf den Grund. Für mich kristallisieren sich diese Problem heraus:

1. Gab es privates Grundeigentum seit eh und je als etwas "Natürliches" (Naturrecht, auf das Galiani nicht müde wurde, zu verweisen), ist zu fragen: Wie konnte (Kolonisierung, usw. mal außen vor) es vergrößert werden? Dass es vergrößert wurde (siehe Latifundien-Problem) steht wohl außer Frage.

a) Es wurde anderen Eigentümern abgenommen

b) Es wurde ihnen abgekauft

Das a) erschließt sich mir nicht, wenn wir Gewaltakte ausnehmen. Das Modell würde auf die (gähn) berühmte "natürliche Notlage" hinauslaufen, in die der andere Eigentümer kommt. Er muss sich dann Saatgut usw. "leihen" und für diesen Leihvorgang gleichzeitig sein Eigentum verpfänden. Außerdem müsste Zins vereinbart sein. Das ist auch nicht nachvollziehbar, da auch der Leihgeber rechnen kann bzw. entsprechende Erfahrungswerte hat.

Hat er die Ernte in der Scheuer, legt er davon für diese und für die nächste (möglicherweise auch die übernächste) den laufenden Verbrauch und den Vorrat zur Seite. Was übrig bleibt, könnte er verleihen, aber da es für ihn ohnehin "wertlos" ist (er rechnet ja mit den nächsten Ernten), kann er es auch verschenken. Und falls er den "Not-Mann" nicht findet, wirft er es weg. Einen Verzinsungsgrund vermag ich also nicht zu erkennen, schon gar nicht einen Verpfändungsgrund. Es ist auch nicht klar, warum ausgerechnet der Nachbar in die "natürliche Notlage" kommt, während man selbst im Ernte-Überschuss schwelgt.

Andererseits sind die 33 1/3-Prozent p.a. für Getreide-Leihe unbestritten. Hudson setzt interessanterweise diesen Satz zeitlich nach dem Satz für Silberleihe an (20 % p.a.), was ebenfalls nicht schlüssig ist, da der Not-Mann sich dann hätte Silber leihen können, um damit Getreide zu kaufen; das allerdings widerspricht wiederum der Faktenlage, wonach es zunächst keine Gattungs-, sondern nur Stückkäufe gegeben hat. Gattungskäufe mit entsprechenden börsentäglichen Preisnotierungen ("Bourse of Babylon") sind definitiv aus der "Spätzeit" (1. Jt. BC), wie schon mal gepostet. Und ein Ablauf: Gattungskäufe - keine Gattungskäufe - dann wieder Gattungskäufe ist schon gar nicht nachvollziehbar.

Die Getreideleihe kann sich also nur aus dem entwickelt haben, was Nissen et al. als nicht erfülltes Soll seitens der "Verwalter" gegenüber der Herrschaft zu Beginn des Buchhaltens und der Schriftlichkeit ausfindig gemacht haben, also im 4. Jt. BC, womit dann wiederum das Konstrukt eines a priori "privaten" Eigentums (es sei denn das des Herrschers - siehe nochmals Hudsons "personal property in the modern sense developed originally in the palace sector") kollabiert.

Das b) wiederum setzt voraus, dass Grundeigentum via Stück-Kauf mit Hilfe von etwas gekauft wurde, was "Zahlungsmittel" war. Da dafür nur Silber infrage kommt, ist zu fragen: Wie kommt das Silber ins komplett silberlose Mesopotamien? Dieses hatte nur Getreide und Textilien anzubieten. Aber in den Quellen fehlen ausländische Händler, die dies abgeholt hätten (Lamberg-Karlovsky) und dass mesopotamische Händler mit "bulk carriers" und auf gut Glück (fehlt irgendwo Getreide, hat jemand kein Gewand?) auf die Reise gegangen wären, ist eine lächerliche Vorstellung.

Zu Recht wird von den Assyrologen daher von einer "assymmetry of trade" gesprochen über die bei Gelegenheit noch zurückzukommen ist (z.B. keine mesopotamischen Artefakte im Industal gefunden, keine in Oman, dem Hautlieferanten für Kupfer, usw.). Man hatte auch "keine Kontrolle" über die Silberquellen in Anatolien, was sich nur auflösen lässt, wenn die Gebiete, über die man "Kontrolle" hatte, nämlich die zahlreichen Stadtstaaten und Mini-Königreiche weiter westlich, ihrerseits gezwungen waren, das Silber an die "Zentrale" (Tempel- und Palastwirtschaften mit den bei Herodot ausführlich erwähnten gigantischen Silber-Tributen und Silber-Thesauri) abzuliefern, was bedeutete, dass sie es sich ihrerseits noch weiter westlich (evtl. auch östlich, siehe Baktrien) beschaffen mussten. Zur Silberleihe bei den Thesauri, die damit eine zusätzliche Pfründe erhielten, ist schon ausführlich diskutiert worden, siehe auch meine Tontafel, wo ein Dritter für eine Silberleihe (ex Tempel) Bürgschaft leistet.

2. So bleibt es also bei jener "Privatisierung" von Grundeigentum seitens des originären Eigentümers "Herrscher". Das geschah, wie von Hudson beschrieben, und schwächte die LU.GAL-Position, da dieser bei seinen clean slates-Bemühungen das jetzt entstandene private (und auch nach wie vor mit Abgaben- und Leistungspflicht belastete) Eigentum nicht wieder an sich ziehen konnte (Formen wie die des mittelalterlichen Lehens gab's logischerweise auch schon), um den status quo ante wieder herzustellen.

Insofern ist jetzt Dein Hinweis hier...:

>Die Edikte ("Gerechtigkeitsakte") der Herrscher Samsuiluna, Ammisaduqa u. a. handeln im Regelfall von Schuldenerlassen für die Allgemeinheit und Abgabenerlassen für bestimmte Gruppen (Beamte, Schankwirtinnen usw.); von einer Um- bzw. Rückverteilung des Eigentums scheint in den (teilweise nur als Fragmente erhaltenen) Urkunden nichts zu stehen - sonst wären die ursprünglichen "Minikapitalisten" sicher nicht zu ihrem späteren Groß- = Grund-Eigentum gekommen.

... von größter Bedeutung. Hudson spricht zwar von solchen Um- oder Rückverteilungen, kann aber für diese "restorations" nicht mehr anbieten als Vermutungen, wobei er sich auf jenes Land kapriziert (2400-1600 BC, diverse Herrscher), das in Folge einer Pfandvollstreckung nach einem geplatzten Schuldverhältnis den Eigentümer gewechselt hatte. Der neue Eigentümer hat es dann als "absentee owner" über Grundrente, Pacht o.ä. bewirtschaften lassen.

Vermutlich muss hier noch detaillierter geforscht werden: Ist ein Kreditverhältnis mit Grundeigentum unterlegt, hätte der überschuldete Schuldner ja nur auf den nächsten Schuldenerlass warten müssen, um sein Eigentum unbelastet wieder (neu) entgegenzunehmen. Da Land gleichzeitig auch gekauft werden konnte (Silber!), ist auch dem Land nicht so ohne Weiteres anzusehen, wie es an den jeweils aktuellen Eigentümer gekommen ist. Letztlich läuft's wieder auf die Frage hinaus: Warum hat sich ein Eigentümer immer höher (bis das gesamte Eigentum verpfändet war) verschuldet, wo er doch auch hätte (einen kleinen Teil des Eigentums zunächst) verkaufen können?

Weder macht da die "Notlage" (siehe oben) einen Sinn noch ein "Investment". Wer verschuldet sich schon zu 20 % p.a. (ab dem 5. Jahr war das "Doppelte" erreicht und ab dann begann der Zinseszins zu wüten), wenn er dies nicht erwirtschaften kann? Und dass nicht erwirtschaftet wurde, zeigt der unaufhaltsame Trend zur Latifundie, der ja voraussetzt, dass Massen von Eigentümern wegen Nichterwirtschaftung scheiterten und ihr Eigentum abgeben mussten.

Zur Latifundienbildung bedarf es des Abgabenzwang und eines diesen Zwang regulierenden Abgabengutes, das seinerseits wieder verausgabt werden kann. Das kann im mesopotamischen Beispiel nur Silber gewesen sein. Das wiederum kann erst nach Entstehung des privaten Eigentums post cessionem des Herrschers an Ort und Stelle gekommen sein, wmit dieser von der Natural- zur "Geld"-Abgabe wechselte und da er immer weniger über sein "Originär-Eigentum" verfügte, begann er das Silber zu thesaurieren, um mit dessen Hilfe seine Position zu halten. Damit hatte er sein Schicksal "de-naturalisiert" und war auf jenen angewiesen, der bereit waren, ihm gegen Silberabforderungen zu dienen = den Söldner.

Dass damit die Chronologie zusammenschnurrt, ist ein anderes Kapitel, siehe Herodot, die Alexanderzüge und Xenophon (Anabasis).

>Mit die Tempelwirtschaft lief es ähnlich: Priester(innen) aus vornehmen, also bereits relativ wohlhabenden Familien besetzten die kultischen Planstellen, beuteten sie zunächst für sich aus, mehrten also ihr bereits vorhandenes und ihnen weiterhin gehörendes Vermögen (siehe hierzu als Beispiel die "Stiftsdamen" des Schamasch-Tempels zu Sippar), bis sie, sobald sie "genug" hatten, die Verwaltung des Tempelvermögens und die kultischen Handlungen nur noch als lästige Pflicht empfanden und das Ganze einfach verpachteten (der mesopotamische Kapitalismus war ja überaus flexibel).

Sehe ich genau so. Interessant ist auch, dass z.B. ein warlord aus dem Osten(Amoriter) sich ca. 2050 BC des Inanna-Tempels in Nippur bemächtigte und über ca. 7 Generationen in der Familie hielt (Ur-Me-Me).

>Die Tempelbauten selbst mußten sie übrigens nicht in Schuß halten: das war Aufgabe des Herrschers, weswegen der bei seiner Inthronisierung auch stets zu schwören hatte, die maroden Tempel der Götter Soundso "wiederaufzurichten".

Ja, siehe u.a. Shulgi, der just diesen Inanna-Tempel wieder aufbauen musste, und die Ur-Me-Me-Familie dann unterstützte (Zettler 1992, The Ur-III-Temple...)

>So ein "Herrscher" war, so betrachtet, ein armes Schwein: das von den Privaten wie eine Zitrone ausgepreßte "öffentliche Eigentum" blieb als Sanierungsfall an ihm hängen - und mit immer weniger Mitteln zum Sanieren...

Was dann den endgültigen Sturz nicht lange auf sich warten ließ.

Zur "kalendarischen" Caesar-Ergänzung gelegentlich mehr, zunächst besten Dank. Das römische Jahr endete mit dem Februar. Danach kamen 14 "Respekttage" für die bis dahin nicht erledigten Schulden. Schon Cicero (in Catilinam) weist den Senator daraufhin, dass "an den nächsten Iden" seine Papiere platzen würden.

Der 15. März war halt settlement day - entweder Zahlung oder Pleite.

Oder Mord.

Gruß zurück!