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Zusammenbruch - Um der Wahrheit die Ehre zu geben

Geschrieben von dottore am 09. Juni 2004 17:08:04


Hi,

zunächst besten Dank für die interessanten Diskssionsbeiträge.

Ich darf mir erlauben, auf die Entwicklung der sog. "Zusammenbruchsthese" einzugehen.

1. Zunächst hatten wir 1980/1982 eine Reihe von Zahlungseinstellungen diverser Staaten. Dies brachte mich überhaupt erst aufs Thema "Staatsbankrott", das seit jeher kontrovers diskutiert wird. Auf der einen Seite die Fakten (mindestens ca. 300 solcher Vorgänge direkt oder indirekt historisch), auf der anderen die "moderne" Theorie, so etwas sei niemals mehr mehr möglich.

2. Mit einem der Kritiker, Walter Lüftl, habe ich mich dann zusammengesetzt und ein Follow-Up verfasst ("Formeln für den Staatsbankrott"), das in der bekannten und hier dargestellten und ausführlich diskutierten "Bankrottformel" mündete ("Steigen Schulden schneller als, das woraus sie bedient werden können..." usw.)

3. Darauf kam als gewichtiger Einwand die berühmte Domar-Formel, basierend u.a. auf seinem Aufsatz "The Burden of the Debt and the National Income", in der American Economic Review von 1944. Dieser keynesianische Ansatz (wie auch der in folgenden Publikationen anderer Wissenschaftler hat die bekannten Schwächen:

3.1. Es wird irgendein "naturgegebener Wachstumspfad" vorausgesetzt, ohne zu erklären, woraus der resultiert.

3.2. Die Folgen des "deficit spending", das quasi endlose Wohlstandsteigerungen verheißt, bleiben unberücksichtigt, da die Gegenbuchung zum Defizit (Schulden sind nur definierbar, wenn es Guthaben als Gegenbuchungen gibt und vice versa) aufgrund der öffentlich-rechtlichen Kameralistik (Einnahmen-Ausgaben-Rechnung) unterbleibt.

3.3. "Liquidität" wird als eine Nettogröße betrachtet, die als "solche" mit Hilfe von "Geld" nachgefragt werden kann, das seinerseits ebenfalls eine Nettogröße sein soll. [Dass hier Warengeld-Vorstellungen eine Rolle gespielt haben, sei am Rande erwähnt].

Diese LM-Theorie (L = Liquiditätspräferenz, M = Geld), bei der ein Zins als "Preis" entsteht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als der Güterwelt entlehnt und heute als Chimäre, da Geld nicht mehr "als solches" existiert und entlang einer Kurve nachgefragt wird, sondern nur durch den Diskont von späteren Fälligkeiten (die ebenfalls auf Geld lauten) in die Welt kommen kann (sieht man von der berühmten "Erstausstattung", z.B. in der BRD ab, bei der 1948 bekanntlich künftige Steuerzahlungen abgetreten wurden).

Diese Diskussion, die hier oft genug geführt wurde, soll aber nicht noch ein Mal vertieft werden. Ingesamt können wir festhalten, dass das heutige Geldsystem ohne Staatsschulden nicht mehr definierbar ist. Der Domar'sche Ansatz, der auf asymptotische Verläufe von Staatsschulden und BIP abhebt (Staatsschulden sind als Ausgaben immer ein Teil des BIP) wurde dann auch von Lüftl widerlegt ("Der Domarschwindel", 1985).

4. Ausgehend vom ursprünglichen Heinsohn/Steiger-Ansatz des "Wirtschaftns unter Erfüllungsdruck" habe ich mir danach erlaubt, die debitistische Theorie zu entwickeln (zuerst "Der Kapitalismus", 1986, daneben und danach laufend weitere Publikationen), welche auf Wirtschaften als Ergebnis von Erfüllung bestehender Verpflichtungen ("Schulden") abhebt und damit der bis heute in allen möglichen Varianten nach wie vor virulenten "Hochtausch-Theorie" des mainstreams widerspricht.

Der kritische Punkt wird einzel- wie auch gesamtwirtschaftlich erreicht, sobald die Erfüllung nicht mehr möglich ist, da in einem monetären System niemals aus "Bestand" erfüllt werden kann, sondern nur mit Hilfe zusätzlicher Nettoneuverschuldung.

Einen Zins "auf etwas hinauf" gibt es nicht. Der Zins ist vielmehr stets eine Zession von später erwarteten (Private) oder erzwingbaren (Staat) Einzahlungen.

Der Staat engt dabei diesen "Spielraum" ein, was seinen Ausdruck in zusätzlicher Staatsverschuldung findet, die ihrerseits zu den bekannten Verrentungseffekten ("Die Pleite") und der generell zunehmenden Unbeschäftigung von potenziellen Produktionsfaktoren führt ("Die Krisenschaukel"). Von der damit einhergehenden Verteilungsproblematik, die ebenfalls eine historische Konstante ist, ganz zu schweigen. Der Staat kann seinerseits durch Zession von Eigentum und/oder Privilegien an Private (die dann ihrerseits damit "wirtschaften") diesen Prozess verlängern.

5. Desungeachtet hat sich nach dem 1987er Crash, der nur Minuten davor war, einen allgemeinen "meltdown" einzuleiten, gezeigt, dass sich auch mit Hilfe geschickter Prolongationen (Klarext: Einbuchen auf das CdD-Konto "Staat") das Ganze immens stretchen lässt.

Ausdruck dieser Erkenntnis war eine weitere Publikation ("Aufwärts ohne Ende", 1989), die von einem "Ich widerrufe!" eingeleitet wurde (anerkennende Besprechung dazu u.a. in der NZZ). "Aufwärts ohne Ende - bis zum Ende" ist seitdem die bis heute nicht mehr weiter korrigierte Schreibweise.

6. Die disinflationäre Hausse (alle Haussen setzen Disinflation voraus, weil darin die als Basis des Wirtschaftens inzwischen durchweg dienenden Staatstitel enorm steigen und weitere monetäre Beleihungsräume schaffen - in den USA immerhin Kursgewinne von ca. 50 Prozent) war als logische Folge absehbar - nur wie alle Haussen nicht in ihrem Ausmaß (ob sie mit dem bisherigen ATHs bereits zu Ende ist oder eine Fortsetzung findet - die gesuchte 5! - ist offen und umstritten).

7. Die Notenbanken haben mit ihren aggressiven "Zinssenkungen" (Steuersenkungen) ebenso vor zwei Jahren nochmals Beleihungsspielräume geschaffen wie die meisten Staaten mit den bekannten Steuersenkungen ("Zinnß"-Senkungen), die ebenfalls eine willkommene Befeuerung des debitistischen Prozesses ermöglichten.

In dieser Phase befinden wir uns gerade. Sie ist auch gekennzeichnet von zusätzlichen Beleihungen neu auftretender Big Player, die entsprechend "boomen", wenn auch mit deutlich sichtbarem Overstretching (sog. "Bankenprobleme"), das zu den überall vorhandenen Alt-Prolongationen und dem in den bekannten "asset-bubble-Märkten" sichtbaren Problem tritt, dass sich die Beleihungsgrenzen in toto ihrem Maximum nähern. Stichwort: "Weltweite Überschuldung".

8. Jede Verschuldung erfordert zeitlich spätere zusätzliche Verschuldung. Diese wiederum ist von den "Zinssätzen" abhängig, Klartext: Von dem in Marktkontrakten sichtbaren Willen aller Beteiligten, von später erwarteten (oder erzwingbaren) Einnahmen/Einzahlungen abzugeben.

Ziehen diese Sätze an, was aus den Renditen bereits laufender Titel resultiert (und nicht etwa aus so etwas wie einer "Zinspolitik"), kommt es zur eigentlich kritischen Phase, da die Höhe der in Zukunft abzutretenden Einnahmen ("Zinsen") natürlich die entsprechende Zessionsbereitschaft beeinflusst. Dass hierbei massen- und auch statuspsychologische Momente eine Rolle spielen, kann dabei nicht bestritten werden.

Letztlich will auch der "kleine Mann" ein König sein (oder werden) und sich so verhalten dürfen, wie einst dieser. Also aufschulden, solange es geht. Der Unterschied aber bleibt zu beachten: Der König (heute Staat) konnte (kann) sich auf den Hinweis auf Zwangseinnahmen lange auf der Bühne halten, der Private ist auf den Markt und die dort herrschende Freiheit und Freiwilligkeit angewiesen.

Dass ihm der Staat per Umbuchen in sein CpD-Konto behilflich ist, beobachten wir selbstverständlich mit Interesse (schuldenfinanzierte Subventionen aller Art bis hin zu solchen an die "Sozialsysteme" oder "Schuldenerlässen" oder "bad-loan-Negierungen" in aller Welt).

9. In dieser Phase kommt es zu allerlei kuriosen Vorschlägen zur Remedur von der aktuellen Politik, wie rundum zu bestaunen (reicht von "Steuerreform", "Nullzins der ZBs" bis hin zur Bedienung der "Notenpresse"). Dies alles führt jedoch am Kern des Problems nicht vorbei: Irgendwann muss doch gezahlt, und nicht auf ewig kann nur das, worin gezahlt werden muss, gezeigt werden.

10. Nicht Wachstums-, Preissteigerungs- oder Beschäftigungsraten spielen eine Rolle, sondern allein die Entwicklung der Sätze (alias der "Zinsen") für künftige Zessionen, die sich wiederum aus den Sätzen bereits laufender Zessionen ergeben, den Renditen also.

Die Grenze, wo diese Sätze vom "Noch" zum "Nicht-mehr" umschlagen, ist a priori unbekannt. Sicher ist nur, dass das "Noch" bei einem System, dass allseits und jedermann "Schutz" vor jeglichen Gefährdungen verspricht, wie ihn der "moderne Staat" verheißt, ebenfalls zeitlich hinausgeschoben werden kann.

Wann dieses "Grundvertrauen" in Misstrauen umschlägt, ist leider nicht ante festum zu eruieren. Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Zeitpunkt mit dem des "rechnerischen" Endes zusammenfällt. Wenn also sämtliche am Prozess Beteiligten sämtliche von ihnen erwarteten oder erzwingbaren Einnahmen zediert haben, wobei diese Einnahmen in Form von Einzahlungen nach der Logik des Zeitablaufs zeitlich früher erfolgen müssen, als sie ihrerseits zu Auszahlungen werden können - also das eintritt, was jeden Konkurs auszeichnet:

Man erhält zwar später (oder "irgendwann") Geld, ist es aber früher schuldig.

Es empfiehlt sich daher, auf unangenehme Überraschungen (das bekannte Kennzeichen jeder "Zahlungseinstellung") vorbereitet zu sein. Als wichtigsten Indikator für schwierigeres Terrain ist die Zins-, alias Renditeentwicklung auszumachen. Egal, an welchem Ende angesetzt wird (beim 29er und 00er Crash waren es die ZB-Sätze mit jeweils 6 % in den USA, 1987 die Langläufer, die im Oktober mit 10 % daher gekommen sind).

Ob die Zins/Rendite-Entwicklung aktuell etwas Ungutes verheißt, wird sich weisen. Auf das Risiko des Hebels, da von "unten" kommend (0,1, 1 und 2 % ZB-Sätze) wurde oft genug hingewiesen. [Dass "Inflationsbekämpfung" zunächst "positiv" interpretiert werden kann, versteht sich von selbst, ebenso der Schnell-Kredit- und Schnellkauf-Mythos spielen eine Rolle].

Hot Spots: BoE, Langläufer Japan, T-Bond-Renditen, Immo-Refis in GB, E, langsam anschwellend USA, auch Australien, die Außenhandels-Defizitfinanzierung der USA, allmählich auch Chinas, restriktive Budget-Politiken insgesamt. Auch nicht übersehen: Die in der Rezession herunter gefahrenen Kapazitäten führen zu Engpässen (Rohstoffsektor). Und: Der Beginn von "Erholungsphasen" ist allemal delikat (Liquidität, "new credits", usw.). Da kann manches stecken bleiben.

Seien wir dennoch besten Mutes und Gemüts und hoffen wir also auf ein möglichst langes "Aufwärts ohne Ende". Schließlich ist es doch viel schöner so als anders.

Gruß!