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Real-Enzyklopädie (27): Hat der Goldstandard funktioniert? |
Geschrieben von dottore am 20. Januar 2002 18:50:56 Guten Tag! Der Goldstandard (im Folgenden GS) wird gern von Leuten kritisiert, bei denen man rasch den Eindruck hat, ihre Ablehnung, wenn nicht gar ihr Hassgefühl auf das Gold als eines monetären Instruments steigt in Korrelation zu ihrer Kenntnislosigkeit. Nachdem der Goldmechanismus selbst auf einschlägigen Web-Seiten und auch hier im Forum bereits ausführlich erläutert wurde (wobei auch auf UMBRUCH, Seiten 337 ff. hinzuweisen ist), wollen wir uns hier der konkreten Ausformung des GS im Deutschen Reich zuwenden und zu dem, was das Gold, bzw. vor dem Reich in den Einzelstaaten (mit Ausnahme Bremens) das Silber als Währungsmetall bewirkte. Dabei hilft dieser erste Überblick: Das Nettoinlandsprodukt in konstanten Preise von 1913 (mittlere Linie) ist dabei ziemlich stetig gestiegen: Es gab nur kurze stagnative Phasen, z.B. die „Depression der Bismarckzeit“ (ein aus England importierter, völlig überzogener Ausdruck) in den 1870er Jahren, die jedoch im langfristigen Trend keine Rolle spielen, zumal sie nur Korrekturen eines vorangegangenen stärkeren Anstiegs waren. Insgesamt ist das Inlandsprodukt, wohlgemerkt in konstanten Preisen, auf das 5fache gestiegen. Das Nettoinlandsprodukt pro Einwohner (untere Linie) hat sich aufgrund der gleichzeitigen Bevölkerungsvermehrung auf das 2,7fache erhöht. Damit belaufen sich die durchschnittlichen Wachstumsraten auf 2,6 % bzw. 1,6 % per annum. Netto und real! Von einer durch den GS herbeigeführten „großen“, sich obendrein noch „verschärfenden Krise“ oder gar „Verelendung“ kann keinerlei Rede sein. Dies belegt auch die Entwicklung der Nettoinvestitionen (ebenfalls in Preisen von 1913). Diese hatten in den 1850er Jahren bei 7-8 % des Sozialprodukts gelegen und waren dann bis zu den letzten beiden Jahrzehnten vor dem Weltkrieg auf ca. 15 % gestiegen. Die reale Investitionsaktivität stieg innerhalb von 60 Jahren auf etwa das Zehnfache, was sich z.B. grundlegend von der aktuellen Situation Deutschlands unterscheidet, wo die reale Investitionstätigkeit bekanntlich seit längerem nach unten weist und inzwischen sogar in raschem Verfall begriffen ist. Es ist nicht logisch zu deduzieren, warum dieser eindeutig positive Prozess sich nicht fortgesetzt hätte, wenn der erste Weltkrieg dem GS nicht den Garaus gemacht hätte. Was in der Zwischenkriegszeit folgte, war bekanntlich ein Zwitter zwischen dem klassischen GS und einem auf Staatskredit basierenden Geldsystem (sog. „Gold-Devisen-Standard“), das bereits jene Elemente enthielt, denen der endgültige Abgang von den letzten Resten des GS durch die USA eingangs der 1970er Jahre dann die Bahn zu unserem heutigen Zustand brach, der ein – hier ebenfalls oft genug beschriebenes – System hervorbrachte, das ausschließlich auf Krediten (und nicht mehr auf der Ware Gold) basierte und das zu jenen Exzessen führte, mit deren Ab- und Aufarbeitung nunmehr begonnen wird. Jedenfalls hat es in der deutschen Geschichte keine vergleichbare, ununterbrochene Prosperitätsperiode gegeben wie unter dem auf Silber und Gold basierenden Warengeldsystem der Jahrzehnte vor dem 1. Weltkrieg. Der Widerspruch zwischen dem, was der GS letztlich unbezweifelbar bewirkte und dem Urteil, das gern über ihn gefällt wird, erklärt sich aus der Tatsache, dass einzelne Menschen nicht über das urteilen, was alle betrifft, sondern immer wieder versuchen, ihre eigene individuelle Lage in den Vordergrund zu stellen und von deren Entwicklung auf die allgemeine Lage zu schließen. Dies gilt für zahlreiche Partikularinteressen ebenso wie für die allseits bekannten „Kapitalismus“- oder „Goldwährungs-Kritiker“, deren eigenen Schicksale ihnen bei ihren krausen Theorien die Feder führte. Leute wie Karl Marx, der fast ununterbrochen an der Armutsgrenze lebte oder Silvio Gesell, der nur knapp dem unternehmerischen Scheitern entkam, konnten gar nicht anders als nach etwas zu suchen, was ihnen zur Erklärung zuvörderst ihrer Misslichkeiten behilflich war. Nichts ist bekanntlich einfacher als die Schuld bei anderen zu suchen und wenn sich andere nicht anbieten, dann in irgendwelchen „Strukturen“ oder „Systemen“. Der Verständige jedoch erkennt immer, in welchen Systemen oder Strukturen er zu leben hat und nutzt diese zu seinem Vorteil aus anstatt über deren Nachteile zu jammern. Systeme und Strukturen ohne Nachteile gibt es nämlich leider nicht. Da es unter dem GS keine Statistiken über die „reale Lage“ der Bevölkerung veröffentlicht wurden, blieb den Deutern des gesamten „Zustands“, zu denen sich im 20. Jahrhundert dann die akademischen Konjunkturforscher wie Spiethoff, Schumpeter, Kondratieff gesellten, nur übrig, sich an Preisen und Zinsen bzw. Renditen zu orientieren. Die Betrachtung der Preise spielte die vornehmliche Rolle, wobei „fallende Preise“ als etwas höchst Ungutes klassifiziert wurden, sozusagen als Ausdruck von „systemimmanenten Krisen“. Dabei wurde völlig übersehen, dass sinkende Preise selbst bei stagnierenden oder ebenfalls sinkenden Löhnen oder Lohnzuwächsen für die Bevölkerung insgesamt keinerlei Rolle spielen, sofern nicht das reale Pro-Kopf-Einkommen über einen längeren Zeitraum hinweg sinkt, wovon unter dem GS keine Rede sein kann. Das Nettosozialprodukt zu Marktpreisen lag z. B. Ende der 1870er Jahre zwar wegen der gesunkenen Preise um etwa 15 % unter dem Maximum des Jahres 1874, ist dennoch über das gesamte Jahrzehnt seit 1869 gerechnet um etwa 40 % gestiegen! Die Preisentwicklung über einen langen Zeitraum gibt diese Grafik wieder: Die Großhandelspreise, die letztlich kreditinduziert sind, zeigen den klassischen Verlauf: Anstieg in der Zeit der Napoleonischen Kriege. Danach Bereinigung der kreditinduzierten Preis-Bubble bis zur Mitte des Jahrhunderts. Danach ein erneuter Anstieg, der in der Überspekulation der 1870er Jahre seine Spitze fand, mit entsprechender Korrektur bis in die Mitte der 1890er Jahre und ein erneuter Anstieg bis zum Beginn des Weltkrieges. Die immer wieder aufgetischten Behauptungen, der Weltkrieg sei Ausfluss und Folge einer Deflation gewesen, sind vollständig abwegig. Wenn überhaupt, lässt sich an so etwas wie eine Korrelation von Inflation und Kriegsausbrüchen denken (vor 1800, vorn 1870, vor 1914). Diese Überlegungen werden bei Gelegenheit vertieft. Der in der Grafik ebenfalls erscheinende Preisindex des Nettosozialprodukts zeigt für die Zeit des reinen GS im Kaiserreich eine leicht fallende, dann steigende Tendenz, wobei auch dort die Entwicklung der Löhne und Einkommen dies dergestalt konterkarierte, dass weder in der deflationären noch in der inflationären Phase von der Bevölkerung insgesamt als unangenehm empfundene Netto-Effekte, ihre wirtschaftliche Lage selbst betreffend, gefühlt wurden. Noch ein Blick auf die Entwicklung der Geldbestände in der Zeit des klassischen GS in Deutschland: Der erste Zacken links in der Grafik „Notenbankdepositengeld“ kann übergangen werden, da es sich dabei um die bekannten französischen Reparationszahlungen gehandelt hat. Interessant ist der Bargeldumlauf insgesamt (obere schwarze Linie), der sich bis in die 1890er Jahre stagnativ verhalten hat, sich dann aber zwischen 1890 und 1914 in etwa verdoppelte. Dies ist vor allem dem „Metallgeld im Umlauf“ zu verdanken, was allen Kritikern des GS und ihrem Argument, es „gab“ bzw. auf heute bezogen „es gibt einfach nicht genug Gold“ den Boden entzieht . Der Anstieg der Banknoten entspricht dem allgemeinen Trend, sagt aber wenig aus, da Kontokorrentguthaben, Akzepte und Wechsel die gleichen Funktionen wie Banknoten erfüllten, und Knut Borchardt sogar von Belegen spricht, dass diese im Einzelfall „durch weit mehr Hände gingen als etwa eine Banknote über 1000 Mark.“ („Währung und Wirtschaft“ unter: „Währungs- und Finanzpolitik von der Reichsgründung bis zum I. Weltkrieg“ in: „Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876 – 1975“, S. 26). Besonders interessant ist die Entwicklung der Bankdepositen des Publikums unter dem GS, die sich in etwa verzwölffachten. Wer eine solche Zunahme als Zeichen eines grundsätzlich falschen oder versagenden Systems ansieht, kann bei rechtem Trost nicht sein. Der Goldstandard im Deutschen Reich stellt sich also als ein Währungssystem dar, das genau den Zweck erreicht hat, den ein Währungssystem erreichen, bzw. den es – ohne ihn zu stören – begleiten sollte. Der Goldstandard hat die Prosperität der gesamten Bevölkerung nachhaltig gesteigert. Gruß d. |