Kleiner Erlebnisbericht vom Blackout-Bootcamp über Pfingsten (mT)
Einer der Forumsteilnehmer hatte ja einen Blackout über Pfingsten vorhergesagt, und ich habe dagegen gewettet. In der Tat gab es bisher den vorhergesagten Blackout noch nicht, aber interessanterweise habe ich mit meiner erweiterten Familie sowas wie ein Blackout-Bootcamp über Pfingsten gehabt. Zum einen ist in Hamburg in der Straße schon seit 2 Wochen das Internet (schnelle Glasfaserleitung mit 100 MB/sec) ausgefallen wegen Problemen mit O2, Vodafone etc.
Zum anderen klingelte es am Pfingstsamstag Abend um genau 20.00h an der Haustür und die Wasserwerke kündeten an, daß wegen eines Wasserrohrbruchs in der Straße um genau 21.00h das Wasser abgestellt werden müßte und man schnell noch die Badewanne voll Wasser laufen lassen sollte. Da Pfingsten sei, wäre die Dauer des Rohrbruchs mit mindestens 24h anzusetzen.
Keine schöne Perspektive für eine Wohnung voll mit 8 Personen und viel Essen.
Also bin ich mit den Kindern los in den nahen Edeka, der noch bis 21.00h aufhatte und hab 2x6 1.5l Flaschen Sprudel geholt. Da andere Familien aus der Straße eine ähnliche Idee hatten, war der Vorrat im Edeka ruck-zuck leer, weil die Eimsbütteler erfahrungsgemäß sowieso bei Feiertagen immer erst Samstags nachmittags einkaufen und dann die Geschäfte heuschreckenartig leer kaufen. Da wohl viele Familien Übernachtungsgäste hatten und es Grillwetter war, war die Versorgungslage im Edeka schon entsprechend niedrig.
Anyway, 2x9 l Wasser ZUSÄTZLICH zu den Wasserkästen die wir in Vorbereitung auf das Familienevent schon gekauft hatten schienen genug zu sein. Da abends großes Grillen angesagt war, stapelte sich entsprechend das dreckige Geschirr mit Hoffnung auf Wasser am nächsten Tag für die Spülmaschine.
Die Toiletten in der Nacht mußte jeweils mit einem Eimer Wasser gespült werden, den man selber reinkippt, was gut funktionierte, aber bei 8 Leuten die Badewanne durchaus entleerte. Das kleine Geschäft wurde mit einem halben Eimer beseitigt. Zum Glück waren in der Wohnung zwei Eimer vorhanden. Das Händewaschen war umständlich, weil man ja nicht zuviel Seife in den klaren Wassereimer reinbringen wollte, weil ja daraus auch noch das Gesicht und der Mund gewaschen werden sollten.
Abends war dann Zähneputzen mit Sprudel angesagt, was die Kinder schaumig und eklig fanden. Ich hätte mal besser stilles Wasser anstatt Classic oder Medium gekauft. Das Spülen des Geschirrs wurde erstmal verschoben, und entsprechend müffelte es in der Küche.
Mein Schwager und ich konnten am Sonntag morgen dann im Fitness-Studio duschen, was eine Wohltat war. Wie man das schätzte, daß einfach so nach dem Aufdrehen das kostbare Naß in Dutzenden Litermengen auf einen herabregnete… Die anderen mußten zuhause weiter vor sich hin dünsten.
Die Hamburger Wasserwerke hatten am Sonntag morgen einen kleinen Anhänger mit Trinkwasser und Zapfhahn in die Straße gestellt, und man sah die Straßenbewohner mit Flaschen und Eimern eifrig zapfen. Nicht jeder hatte noch reagiert und noch schnell Wasser gekauft, und nicht alle waren natürlich zu acht. Wenn man nur zu zweit in der Wohnung war und Wasser in der Badewanne hatte, war das ok. Aber nicht jeder war zuhause in der Stunde am Samstag abend, und die Rückkehrer hatten in ihrer Toilette nur noch das Spülkastenwasser.
Am Sonntag haben wir dann beschlossen, einen Ausflug zu machen und zu hoffen, daß bis zur Rückkehr gegen 19h alles repariert sei. Bei der Rückkehr sahen wir weitere Leute mit Eimern und Flaschen an dem mobilen Trinkwasserfaß und bekamen zu hören, daß die Reparatur am So nachmittag nicht geklappt hätte. Die Crew hatte morgens um 9 angefangen und bis um 17h gearbeitet, leider war beim Wiederanstellen des Wassers das Rohr aus der Muffe gerutscht. Einige Bewohner hatten, als das Wasser am So nachmittag kurzfristig lief, schon ihre Badewannen abgelassen und standen nun ohne Wasser da.
Die Dame des Hauses und die Oma wurden nun etwas unruhig ob des vielen ungespülten Geschirrs und der zweiten Nacht mit Eimer-Toilettenspülung, also mußte etwas geschehen. Ich hab mir dann die Kinder geschnappt und wir haben eine Eimerkette für das ganze Haus organisiert. Die kleineren Kinder haben die Wassereimer vom Faß bis zum Hauseingang geschleppt und die größeren haben die Eimer in die verschiedenen Stockwerke zu den Badewannen der verschiedenen Wohnungen getragen.
Nachbarn von der anderen Straßenseite halfen mit Eimern und Gießkannen aus, und andere Nachbarn boten an, daß die etwas verdreckten Kindern bei ihnen duschen und auch schlafen könnten, damit ihnen die Eimer-Toilette in der Nacht erspart bliebe.
Was ganz witzig war: ich habe am mobilen Wasserfass mehr Leute in der Straße kennen gelernt als in den letzten 20 Jahren. Eine Frau sagte zu mir: früher traf man sich bei Facebook, heute trifft man sich am Wasserfass, wie früher am Brunnen des Ortes! Fast alle bis auf einen nahmen es mit Humor und haben das beste aus der Situation gemacht. Der eine, ca 45 Jahre alt und etwas miesepetrig, wollte bei der Stadt anrufen und sich beschweren, es sei ja eine Schande, daß über Pfingsten mehr als ein Tag das Wasser weg sei.
Die Arbeiter am Loch (5 an der Zahl, alles sehr nette Deutsche) taten ihr bestes und zeigen die geplatzen Stahlgußrohre aus dem Jahr 1888 (kein Tippfehler, die Rohre dort sind 131 Jahre alt). Sie sind kaum verrostet, weil sie im Füllsand liegen und nicht im aggressiven Lehm. Auch innen waren die Rohre kaum mit Sand oder Ablagerungen oder Kalk verschmutzt.
Anyway, gegen 19h sagte der Vorarbeiter, daß es zwischen 2 und 5 Stunden dauern könnte. Daher setzten wir einmal einen großen Topf Wasser auf dem Herd auf und kochten ihn, weil die Dame des Hauses so langsam doch etwas panisch wurde, da das Geschirr zur Neige ging und sie spülen wollte.
Wir schauten dann bei den Bauarbeiten zu und gingen, wo nötig, den Bauarbeitern zur Hand. Die Oma bunkerte schon mal ein paar von den Flaschen, die ich tagszuvor geholt hatte und dazu noch ein paar Brötchen aus dem sich leerenden Brotkorb. Ich holte einen kalten Sixpack Bier von der Tankstelle und brachte ihn den Arbeitern.
Der Herr des Hauses nahm das ganze eher gelassen hin und hoffte auf die rechtzeitige Fertigstellung vor Mitternacht. Der Vorarbeiter war allerdings weniger optimistisch, da die alten Rohrleitungen elliptisch waren und die Aufsatzmuffen rund. Schließlich konnte doch noch eine Plastik-Umgehungsleitung gelegt werden, weil der eigentliche Rohrbruch unter einem Straßenbaum war und die Bäume in Hamburg heilig sind und auch in so einem Falle nicht gefällt werden dürfen.
Anyway, um Mitternacht war der Bruch umgangen und das Wasser lief wieder aus den Leitungen. Endlich wieder Hände waschen und Spülen und die Klos funktionierten wieder und die Spülmaschine!
Welche Selbstverständlichkeiten für jeden von uns (oder selbst für die Römer in Köln vor 1900 Jahren), aber eben nicht überall, selbst heute noch nicht in Indien überall oder in Afrika. Die Kinder haben das auf jeden Fall zu schätzen gelernt und gehen jetzt sehr viel bewußter mit dem kostbaren Wasser um.
Mir hat die Situation eine ganze Menge gezeigt, gerade im Hinblick auf einen möglichen längeren Blackout:
a) Die Stadt reagiert ganz gut, sorgt mit den Wasserwagen schon einmal für das nötigste. Als alter Autarkiefreak, der sich nur auf sich selbst verlassen möchte, hatte ich nicht damit gerechnet, daß ein Wasserwagen kommen würde und daher selber mit den Flaschen vorgesorgt. 8 Leute in einer Wohnung ist aber auch eine Zahl und man muß alles mal 8 nehmen.
b) In dem Falle nur eines Wasserrohrbruchs, auch zum ungünstigsten Zeitpunkt, abends am Pfingstsamstag, kann die Stadt das gut handeln. Es gab genau ein Bereitschaftsteam von 5 Mann, und dann ein zweites zum Ablösen. Die Männer mußten ihre Familien und ihren Grill verlassen, aber sie haben ohne Unterbrechung und Pause das Rohr geflickt. Der Vorarbeiter hatte eine sehr schöne App mit der Grundkarte des Gebiets und sämtlichen Versorgungsleitungen eingezeichnet. Man sah, wo die Wasserleitungen Ringleitungen oder Stichleitungen hatten, man sah den Wasserrohrbruch, man sah die Schieber und Hydranten. Solange das Internet funktioniert und die Handy funktionieren (also für den täglichen Betrieb) funktionierte die Wartung und Reparatur ganz gut.
c) Die Leute waren zum großen Teil sehr sozial, hilfsbereit, nett und freundlich und es hat sich schnell eine Art community spirit entwickelt. Klar gibt es dort in dem Viertel kaum Bereicherer, und die marodierenden und plündernden Banden, die im Falle eines echten Blackouts zu erwarten sind (vermutlich erstmal in der Innenstadt) waren hier kein Problem. Interessant auch, wie selbst innerhalb der Familie Reaktionen wie Hamstern (selbst vor anderen Familienmitgliedern), Lethargie bis Ignoranz und keine Mithilfe, durchaus auch etwas Panik wegen Stress, Angst (wegen der Unsicherheit) etc. aufgetaucht sind. Ich war natürlich in meinem Element, weil ich organisieren konnte und das ganze schell im Griff hatte.
d) Ganz wichtig: die Kinder kommen zum Einsatz. Es sind viele da und sie helfen gerne und es ist eine willkommene Abwechslung vom langweiligen Leben in der Stadt und vor dem Handy. Das ist action live, wie es in ihrem Leben nur noch wenig gibt. Ich denke, im Falle des Falles werden Kinder als Melder, Helfer etc. eine ganz wichtige Rolle spielen.
e) Die Nachbarn und Bewohner weniger betroffener Gebiete sind sehr hilfsbereit. Ich könnte mir vorstellen, wenn es einen Blackout gibt wird es noch Inseln mit Strom oder Wasser oder Solarzellen geben, wo die Leute noch Infrastruktur haben, und die allererste Reaktion jedenfalls in diesem Viertel in Hamburg war Hilfsbereitschaft. Auf dem Land, wo viele noch einen Garten, einen Schuppen, Werkzeug und einen Hof haben und man mit der freiwilligen Feuerwehr und den Nachbarn viel mehr verbunden ist wird das genau so ablaufen. Ich bin mir sicher, daß dann marodierende und plündernde Banden von Bereicherer erstmal im Schach gehalten werden, weil der ein oder andere eben doch die nötigen Werkzeuge dafür im Haus hat.
f) Als die Sache gelaufen war, hab ich mich noch länger mit dem Vorarbeiter unterhalten. Er hat mir verschiedenes erklärt. Zum einen funktioniert die Infrastruktur von 1888 in Hamburg noch sehr gut. Er sagte, daß zB die Stahlguß-Rohre aus dieser Zeit weniger kaputt gingen als die neuen Rohre. Desweiteren fragte ich ihn, ob man plane, die Infrastruktur demnächst einmal generell auszutauschen, zB im Rahmen einer Straßensanierung. Er sagte, da dies alles ca 1.60 m - 2.00 m tief läge und zT unter massiver anderer Infrastruktur wie Stromkabeln, Telekom, Gas, Internet, Erdleitungen usw läge, würde man dies nicht machen. Auch würde man schauen, wie oft in einer Straße in den letzten 10 Jahren Wasserrohrbruch gewesen sei und dementsprechend würde reagiert. Wenn das nicht zu oft vorgekommen sei, dann würde man die Infrastruktur, auch wenn sie 131 Jahre alt ist, drin liegen lassen. Er sagte mir, daß die Griechen v Chr in Athen schon Tonleitungen von 16 bar gehabt hätten (Höhe des Wasserspiegels 160 m über Athen), während im Hamburg der Druck nur 5 bar sei.
g) Ebenso sagte er mir, daß Hamburg 17 Brunnen hätte und die Infrastruktur nicht über Cross Border Leasing an die Besatzer verkauft sei und daß jeder der 17 Brunnen ein Notstromaggregat hätte. Ebenfalls sagte er mir, daß in HH die Höhe der Hochbehälter bis zu 160 m sei und damit 16 bar Wasserdruck mit Schiebern auf 5 bar runtergeregelt werden könnten, ohne daß man dafür eine elektrische Pumpe bräuchte. Natürlich müßten die Desinfektionsanlagen mit UV Licht mit Strom betrieben werden. Aber für die ersten Stunden oder Tage nach einem Blackout wäre das wichtigste, nämlich die Wasserversorgung der Bevölkerung, erstmal gesichert.
Insgesamt ein lehrreiches Wochenende, dieses Blackout Bootcamp, mit 2 von 4 möglichen Blackoutevents (kein Internet, kein Wasser, dafür aber Telefon und Strom), für immerhin 27 Stunden und zu acht in einer Wohnung. Allerdings bei mäßigen Sommertemperaturen, keinem Regen, weniger Verkehr und insgesamt einer relaxten Stimmung. Und natürlich nicht großflächig.
Ich wäre dafür, daß die neue grüne Regierung jährlich solche 24-stündigen Übungen an einem Wochenende abhalten sollte, damit sich die Leute an den kommenden grün-induzierten Blackout gewöhnen können, genügend Eimer und Wasserkisten vorhalten und schon mal geübt haben, wie man die Hände wäscht, den Klo spült und das Geschirr wäscht ohne Wasserhahn.
Dann kann man die Bedingungen verschärfen und Strom und Internet sowie das Gas abstellen und das ganze mal im Winter machen und auch auf 3 Tage ausdehnen oder auf eine Woche über Weihnachten und mal schauen, was dann der Wahl-O-Mat sagt und was die ganzen Friday-For-Future Anhänger dann sagen.
PS: in Eimsbüttel und Eppendorf scheint der Camping-Bus-Hype ausgebrochen. Alleine in der einen Straße standen 3 VW-Camper-Busse, und in den Nachbarstraßen habe ich mindestens 2 Dutzend 25-Jahre alte VW California in Summe gezählt, dazu auch noch Camper anderer Marken wie auch alte Landrover. Keine Ahnung, wer diesen Hype ausgelöst hat. Ein Ehepaar auf dem Weg zum Edeka habe ich gesehen, das hatte hinten in seinen Caddy mehrere Holzschubladen eingebaut für ca 3 Metrokisten mit Gemüse, Obst und anderes Essen.
Entweder sind diese Grünen (Eimsbüttel und Umgebung ist mind. 90% grün, Wohlstandsgrüne ohne Ende) bereits im Geiste weiter und bereiten sich und ihre Kinder bereits auf den Exodus aus der Stadt im Falle des Blackouts vor und hocken auf einem gepackten Camper, oder irgendeiner hat einen Instagram/Twitter/Facebook Trend herbeigeschrieben. Lt. meiner Verwandschaft kostet so ein Camper bis zu 80 000 EUR. Selbst die ältesten Dinger, die ich da geparkt gesehen hab, hatten ALLESAMT eine Lenkradstange drin wie ich sie vor 25 Jahren in den USA kennen gelernt habe, und ein Großteil hatten auch noch eine Vorderradkralle, damit sie nicht geklaut werden, so geil sind diese Wohlstandsstädter wohl auf diese Dinger.
https://www.ganz-hamburg.de/hamburgs-ganze-autos/bulli-meer-caravan-wohnmobilmesse-auto...
https://www.tz.de/muenchen/stadt/trendcheck-warum-campen-eigentlich-wieder-in-10009219....
https://www.zeit.de/mobilitaet/2018-06/wohnmobil-trend-reisen-hymer-boersengang
Noby, Du liegst im Trend!!