Jean Baudrillard – Eine Rezension seines Werkes „Der symbolische Tausch und der Tod“

Phoenix5, Dienstag, 11.12.2018, 22:58 (vor 2173 Tagen)5985 Views

Nachdem ich Jean Baudrillards „Der symbolische Tausch und der Tod“ fertig gelesen habe, wird es Zeit für eine kritische Rezension. Ich werde hierfür Baudrillards Vokabular aussparen, weil es mehr vernebelt als erklärt und versuchen es in meiner eigenen Sprache zu erklären.

Was sehr bald im Leseprozess auffällt: Ob es sich nun um die sogenannte Medientheorie handelt oder die Simulationstheorie – nichts davon ist eigentlich eine „Theorie“ im Sinne des Wortes. Eine Analyse ja, aber keine Theorie. Und selbst diese Analyse ist weder hierarchisch strukturiert, noch hat sie einen jederzeit erkennbaren roten Faden. Es ist mehr ein Philosophieren in Nischen ohne gewachsenes Fundament und ohne Ziel – es hat ein bisschen etwas von „freier Assoziation“.
Dabei hantiert Baudrillard teilweise mit selbsterfundenen Begriffen, die er zu keinem Zeitpunkt ordentlich erklärt und vermengt diese mit einer schon ärgerlich abstrakten Schreibweise, die sich so selten auf konkrete Beispiele in der Wirklichkeit bezieht (und wenn, dann immer nur für wenige Sätze), dass man letztendlich zum Schluss kommen muss, dass Baudrillard der Wegbereiter dessen ist, was er vorgibt zu kritisieren. Wenn sich für Baudrillard die Wörter und Symbole, die sich auf reale Dinge beziehen, immer weiter voneinander entfernen (also Zeichen und Bezeichnetes korrelieren immer weniger miteinander), um letztendlich jede Referenz zu verlieren, dann hat er mit seinem Buch eindeutig gezeigt, was er damit meint, denn seine Simulations- und Medientheorie ist so abstrakt, dass sie jeden Bezug zur Wirklichkeit, ja sogar jeden Bezug zu inhärent schlüssigen oder nachvollziehbaren Prozessen der Wirklichkeit kappt.
Immer wieder musste ich zwischendurch pausieren und mich in Sekundärliteratur einlesen, um überhaupt begreifen zu können, was ich da die letzten Dutzenden Seiten gelesen hatte. Eine einzige Ausnahme bildet dabei der Text ab dem Kapitel „Der symbolische Tausch und der Tod“ (Seite 222). Hier hat man das Gefühl ein normal lesbares und durchaus interessantes Buch in Händen zu halten. Der Stilbruch ist derart gravierend und plötzlich, dass ich mich gefragt habe, ob das wirklich ein und dieselbe Person geschrieben hat, aber auch da verrennt sich der Autor nach mehr als 100 Seiten wieder in Nebenschauplätze, aus denen ich nichts Wertvolles für mich persönlich extrahieren konnte.

Man merkt sofort, dass Baudrillard ursprünglich aus dem Umfeld der 68er Dekonstruktionsapostel kommt (dort ist eine Problemlösung grundsätzlich unmöglich, weil der Differenzierungs- und Kontextualisierungswahn der 68er jede Generalisierung von vornherein unterbindet. Das Kapital hat sich dieser Philosophie dankbar angenommen, um in Talkshows jedes Problem so lange zu zerreden, bis es unter den Fingern zerrinnt). Wörter, Abläufe und Prozesse der Wirklichkeit und geschichtliche Ereignisse werden dabei so lange geframt oder reframt, bis sie am Ende jeden Inhalt verloren haben und einer Exegese bedürfen. Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Das mache ich in meinem Buch auch – allerdings mit einer Zielsetzung, die auf diese Dekonstruktion der Begriffe angewiesen ist, d.h. ich will damit etwas zeigen/bewirken. Schreibe ich dagegen – wie Baudrillard – ein Buch, das zeigen will, wie die Wirklichkeit einer Simulation zum Opfer fällt, ist diese Form des Erklärens nicht nur kontraproduktiv, sondern geradezu Wegbereiter des Kritisierten, vor allem wenn diese abstrakte Schreibweise noch ordentlich in Freudscher Psychoanalyse ersäuft (von der er sich eigentlich distanziert hat), die ihrerseits ein mythologisches Konstrukt ist, das sich auf nichts Reales beziehen kann und von Baudrillard nach Belieben verwendet (oder missbraucht?) wird – egal wie absurd und wenig nachvollziehbar die erzeugten Bilder dabei wirken. Vor allem wird das gesamte Buch über nicht klar, was Baudrillard nun genau sagen will. Ist der Text eine Kritik? Ist er nur eine Bestandsaufnahme? Oder ein Kassandra-Ruf, dass uns die Hyperrealität über die Zeitachse hinweg aufsaugt? Das bleibt völlig im Dunkeln.

Zum Inhalt will ich zuerst eine Referenz bringen, um Baudrillards Gedanken in einen neuen Kontext zu setzen. Schauen wir uns hierfür die Menschen des Mittelalters an. Nach Baudrillard gab es im mittelalterlichen Feudalismus noch eine starke Korrelation zwischen Zeichen und Bezeichnetem und zwar – man höre und staune – weil die Anzahl und Art der Zeichen noch von oben reglementiert war. Ein Bauer hatte keinen Zugang zu exklusivem Wissen (er konnte noch nicht einmal lesen), weshalb er mit einer Sprache arbeitete (und arbeiten musste), die direkt auf die Wirklichkeit Bezug nahm. Dieser Argumentation ist im ersten Moment nichts entgegenzusetzen und doch frage ich mich, ob dann nicht auch zwingend der Umkehrschluss gilt: Dass nämlich ein organisch gewachsenes, hierarchisch strukturiertes, antidemokratisches Gesellschaftssystem ohne Recht auf Informationszugang für jedermann, das man der kapitalistischen Nivellierung mit ihrem zwingend einhergehenden „Proll-Drift“ ( ©Paul Fussell, mit Dank an Rolf Peter Sieferle selig) entgegenstellt, dann nicht die Antwort auf Baudrillards Verlust der Referenz ist? Und wenn dem so ist, haben dann die Säulenheiligen der Neuen Rechten, wie Julius Evola (und zum Teil auch Ernst Jünger), die Dinge nicht wesentlich klarer und prägnanter auf den Punkt gebracht?

Gut, wir kommen gleich zurück zu Baudrillards Feudalismus-Beschreibung, der ich grundsätzlich zustimme, wenn man die Sache isoliert auf die Arbeitswelt betrachtet. Ich gebe Baudrillard auch vollkommen recht, wenn er meint, dass sich die politisch-mediale Show von heute meist auf nichts konkretes mehr bezieht, sondern mehr einem Mythos gleicht, den man stetig weiterspinnt und mit Leben füllt. Und ja, gerade in der Werbung sieht man den völligen Verlust der Referenz – sie arbeitet mit dem „hyperrealen“ Mythos, um Bedürfnisse zu wecken. Im Grunde prasseln tausende Informationsbrocken auf uns ein und wir versuchen uns darauf einen Reim zu machen und alles KÖNNTE nicht nur manipuliert sein, sondern MUSS auch manipuliert sein, weil man das komplexe Geschehen unmöglich in eine Nachrichtensendung packen kann, weshalb man es lieber zur erwünschten Propaganda hin simplifiziert oder überhaupt von Grund auf erfindet.
Im Prinzip arbeiten wir bei der Sinnfindung mit Wahrscheinlichkeiten oder vermeintlichen Wahrscheinlichkeiten, die wir uns aus dem Alltagserfahrung und den uns anerzogenen Schablonen zusammengeschustert haben. Wenn ich heute auf intellektueller Ebene Vermutungen darüber anstelle, warum Merkel handelte, wie sie handelte, dann würde mein gesamtes Gedankengebäude in dem Moment zusammenbrechen, in dem sich herausstellt, dass die Frau tatsächlich bloß geisteskrank ist, wie Robin Alexander in seinem Buch „Die Getriebenen“ nahelegt (aber nicht ausspricht). Und wer weiß, wie viele Kriege nicht rein geopolitischen Mechanismen gehorchen, sondern bloß der Pathologie ihrer Entfacher geschuldet sind oder auch einfach nur auf Lobbying der Rüstungsindustrie zur Gewinnsteigerung beruhen (und ansonsten völlig sinnlos sind). Wir wissen es nicht.

Und da stellt sich für mich die nächste Frage: Was wusste denn der Mensch des Mittelalters? Wusste er irgendetwas über Gründe und Hintergründe der Kriegszüge seines Monarchen? Natürlich nicht. Er war vielleicht pragmatischer in seiner Denkweise, d.h. er glaubte zu wissen, dass Schlachten aus Macht- und Prestigegründen geführt wurden, womit er mit Sicherheit seinen biologischen Genossen der Jetztzeit etwas voraushatte, die mehrheitlich wohl noch immer dem politisch/medial überstülpten moralischen Imperativ bei der Kriegsfrage Glauben schenken. Aber er wusste absolut nichts über die tatsächlichen Hintergründe. Aber da sind wir auch beim Punkt: Dem Bauer im Mittelalter interessierten die Kriege seines Monarchen nur insoweit, als er oder seine Söhne zum Kriegsdienst eingezogen werden oder nicht. Alles darüber hinaus war nicht sein Metier.
Gleiches gilt für die Wissenschaft, die sich in den Klöstern und inmitten von Universalgelehrten auf den Höfen kultivierte. Auch das interessierte ihn kaum (klar waren irgendwelche in Bewegung befindliche Zahnrad-Maschinen immer toll für´s Publikum anzuschauen, aber sonst…). Wo kam denn der ganze Glaube an Werwölfe, Vampire, teuflischen Wesen oder Hexen (letzteres natürlich befeuert durch die Kirche) her? Das war eine Kombination aus selbsterzeugten Thrill und Horror, der die Menschen aus dem Alltag herausriss und dem Stille-Post-Prinzip, wo bei jeder Weitergabe von Information die Geschichten gruseliger ausgebaut wurden. Wo war denn da die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem? Der einzige Unterschied war, dass es im Mittelalter – ähnlich dem kosmologischen Modell in Stämmen (siehe Eliade) – einen groben mythologischen Konsens gab, während sich heute jeder sein eigenes Weltbild zusammenschustert.
Mir will also der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Band „Zeichen – Bezeichnetes“ damals und heute nicht einleuchten. Der einzige Unterschied – und das schreibt Baudrillard ja auf seine verklausulierte Art und Weise selbst – ist, dass es dort, wo es freien Zugang zu Informationen gibt, es auch freien Zugang zu Manipulation gibt. Aber wo jetzt der gravierende Unterschied zwischen dem Teufels- und Vampirglauben (ein Grusel-Bedürfnis, das heute durch das Fernsehen gestillt wird) bzw. der Unterschied zwischen der völligen Unwissenheit in Bezug auf Machtpolitik damals und heute sein soll, erschließt sich mir nicht.

Oder anders formuliert: So wie die Zession von Eigentum nie vollständig war und ist (freie Bauern mussten Kriegsdienst leisten und heute bezahlt man noch immer Grundsteuer bzw. hat viele bürokratische Hürden zu überwinden, wenn man tatsächlich autark leben will), so ist noch vielmehr die Zession von Macht in Form der Demokratie eine reine Nebelgranate. Sie ist ein Schauspiel, weil die wirklich großen politischen Entscheidungen aus dem demokratischen Prozess seit jeher ausgenommen waren und sind. Weil man das aber dem Volk so nicht kommuniziert, beginnt es sich zu politisieren und zu debattieren und arbeitet mit den Informationen, die ihm von den Herrschenden als Informationsbrocken hingeschmissen werden. Es ist das erhabene Gefühl am Machtprozess teilhaben zu können – eine völlige Illusion.
Ähnliches (aber nicht gleiches: Weil die Wissenschaft heute nicht unmittelbar an der Machtfrage rüttelt) gilt für die Wissenschaft. Ich muss das glauben, was ich an Informationen bekomme und wenn ich das nicht glaube, dann schustere ich mir meine eigene Wissenschaft zusammen, die bis hin zum Glauben an die flache Erde reichen kann. Was jenen, die so etwas propagieren aber nicht bewusst ist: Sie arbeiten nach wie vor mit den vorgegebenen Schablonen der wissenschaftlichen Kaste – sie lassen nur Dinge weg, die ihrem vorgefertigten Weltbild widersprechen.

Baudrillard sieht die Geschichte anscheinend linear und meint (wie gesagt, ist mir nicht klar, was er eigentlich sagen will), wir würden uns in eine Richtung entwickeln, in der das Band zwischen Zeichen und Bezeichnetem komplett reißen würde. Er extrapoliert anscheinend (?) die gegenwärtige demokratisch-kapitalistische Situation, die nach Spengler keine 200 Jahre hält, weiter in die Zukunft. Damit erliegt er demselben Irrtum, wie viele andere Soziologen. Es ist nämlich genau diese Informationsflut aus Pros und Contras, Propaganda und Gegenpropaganda und zigtausenden Meinungen, Weltanschauungen, Umdeutungen, usw. , die das Volk überfordern und müde machen. Die zuerst für allerlei Verschwörungstheorien zur Komplexitätsreduktion sorgen (analog zum Ekel vor der immer komplexer werdenden Wissenschaft, der sich in der flachen Erde widerspiegelt) und die später dafür sorgen, dass die Demokratie langweilig wird und das Weltgeschehen uninteressant. Die dafür sorgen, dass sich die Menschen aus dieser globalen Vernetzung ausklinken und wieder in kleineren Netzwerken nah an ihrem Alltagsleben operieren und leben wollen. Die Kosten/Nutzen-Rechnung von Arbeit als Selbstzweck, von Energieverschwendung durch Teilnahme an einem manipulierten demokratischen Prozess, von der Überforderung durch immer feinere Ausdifferenzierungen und dem „Outsourcing“ des Alltagslebens (Privatschulen, Kindermädchen, Putzfrau, Auto-Werkstatt, Handwerker, Einkaufen fahren oder besser liefern lassen, Rechnungen bezahlen, etc.), um überhaupt noch am System teilnehmen zu können, wird bald an ihre Grenzen gelangen.
Im großen Maßstab sehen wir das bereits durch den immer größeren Widerstand gegen die Globalisierung und das Auftrumpfen des Nationalismus. Das ist aber erst der Beginn eines neuen Geistes und Spengler hat das besser als jeder andere gesehen und beschrieben: Die hochzivilisierte Lebenshaltung, die ins Fellachentum mündet. Im Fellachentum sind wir aber genau dort, wo Zeichen und Bezeichnetes wieder so nah zusammenrücken, wie im Feudalismus, weil der Mensch des Fellachentums sich keinen Deut um Machtpolitik schert (bzw. nur insoweit sie ihn nicht direkt berührt). Er lebt wieder im Alltag, mit seiner Familie, seinen Freunden und bezieht seine Sprache auf die Dinge, mit denen er unmittelbar zu tun hat. Und noch etwas Außergewöhnliches passiert im Fellachentum: Man wehrt die Fluten an Informationen nicht nur ab, sondern erschafft sich einen neuen Konsens in Form einer Religion. Man durchbricht die abstrakte Welt aus Pros und Contras, indem man sich auf das Absolute einigt – jenes Absolute, das der Ausgangspunkt und Keim JEDES neuen Kulturzyklus´ ist.

Die Imitation der Natur, bis sie schließlich in der Großstadt zur künstlichen Imitation einer Imitation einer Kopie wird, die nichts mehr mit dem Ursprung zu tun hat und die Imitation von verlorengegangenen Kulturen oder Kulturstufen, beispielsweise in der Renaissance, sind von Spengler ungleich besser und weniger abstrakt beschrieben worden als von Baudrillard und Ersterer sieht genau darin eben keine Einbahnstraße, sondern Hinweise auf den langsamen Beginn eines notwendigen Zerfalls – bis der Mensch seine gigantische, immer abstrakter werdende Geistes-Pyramide aus Deutung-Umdeutung-Neudeutung, These/Antithese/Synthese zum Zusammensturz bringt und wieder zur Basis der Dinge herabsteigt. Alles was Baudrillard schreibt, haben andere vor ihm poetischer (Nietzsche), empfindsamer (Spengler), aristokratischer (Evola), und wissenschaftlicher (Konstruktivisten rund um Förster, Watzlawick, Luhmann,…) formuliert als Baudrillard mit seinem abstrakten Neusprech, der suggeriert mehr zu sein, als er ist. Und darin liegt für mich Baudrillards Scharlatanerie (die ihn selbst aber nicht zum Scharlatan macht!), dass er durch die Sprache den Eindruck erweckt etwas Großem auf der Spur zu sein, das noch niemand vor ihm gesehen hat. Wenn ich damals beispielsweise über einen Satz Schopenhauers gebrütet habe, den ich nicht verstand, dann ist dabei immer das Gefühl mitgeschwungen, dass dieser Satz wichtig ist, um in Schopenhauers Weltbild weiter voranzuschreiten zu können. Dieses Gefühl hatte ich bei Baudrillard nicht. So kompliziert Schopenhauer auch schrieb, so sehr waren seine Sätze aber auch purer in Schrift gegossener Geist, während Baudrillard bloß kompliziert schreibt und man daran recht bald ermüdet.

Was mich an Baudrillards Erzählungen über Arbeit, Kapitalismus, Technik usw. so immens stört ist, dass sie keinen Referenzrahmen mehr haben, also so sind, wie die Dinge, die er kritisiert. Um das zu konkretisieren: Baudrillard interpretiert das Weltgeschehen mit Erklärungen, die sich weder der Kapitalist bewusst denken kann, noch der Arbeiter, noch die Leute im Machtapparat. Es sind eben Geschichten, losgelöst von den emotionalen Gedanken ihrer Protagonisten und der Getriebenheit der kalten technokapitalistischen „Megamaschine“ (siehe Mumford und Fabian Scheidler) – mehr nicht. Würde er die Dinge wahrhaft konstruktivistisch oder von mir aus auch wahrhaft psychoanalytisch erklären (die Psychoanalyse also nicht erst nachträglich zur Rechtfertigung seines zuvor Zusammengereimten missbrauchen), hätte ich damit kein Problem – also irgendeine Referenz, irgendein Kontext, in den seine Erzählung eingebettet sind, aber das tut er nicht. Natürlich kann auch die Psychoanalyse auf nichts anderes verweisen als auf sich selbst (ebenso wie übrigens auch der Konstruktivismus, der in seiner radikalsten Form wohl sich selbst dekonstruieren müsste). Ich habe die Psychoanalyse auch nie für eine Wissenschaft gehalten. Der Unterschied ist: Sie ergibt (meiner persönlichen Meinung nach weniger bei Freud, aber mehr bei Jung und seinen Nachfolgern) emotional Sinn. Wenn ein Erich Neumann die Paradiesmythen und die Vertreibung aus ebendiesem, wie sie in den meisten Völkern der Erde vorkommen, mit den Entwicklungsstadien des Individuums verknüpft (Paradies = die Phase, in der das Kind von der Mutter umsorgt wird, die Vertreibung ist die schrittweise Abkapselung von der Mutter und das Selbstständigwerden, d.h. die Last der Urschuld auf den eigenen Schultern tragen), dann ist das für die meisten Menschen eine emotionale Offenbarung. Sie ist nicht wissenschaftlich (selbst die Wissenschaft erklärt ihr Wissen durch Bezug auf Alltagsgegenstände als Referenz und Erklärungsmodell – im Kern arbeitet also auch die Wissenschaft mit Analogien – etwas, dass sie der klassischen Esoterik vorwirft), weil sie sich nicht beweisen lässt, aber man hat das Gefühl, dass da was dran sein muss (was auch immer „etwas muss dran sein“ bedeuten soll, wenn diese Wahrheiten nicht aus sich selbst heraus existieren, sondern nur im Verbund mit einem analysierenden Subjekt. Aber das gilt im Kern für alle Dinge, ganz besonders für die Wissenschaft des 20. Jhdts.).
Anders bei Baudrillard: Seine Geschichten berühren mich nicht und auf intellektueller Ebene kann ich noch weniger mit ihnen anfangen. Immer wieder blitzen geniale Gedanken auf und man will am liebsten schreien „Ja! Da bohr dich jetzt rein!“, aber schnell verebben diese Sätze wieder einem Schwulst an Nichtssagendem. Und in diesem Schwulst an Nichtssagendem erklärt er die Referenzlosigkeit des Weltgeschehens mit einem von Baudrillard selbsterfundenem Narrativ ohne Referenz – ein Circulus vitiosus.

Welchen Beitrag Baudrillard nun genau zum Debitismus leistet, ist mir schleierhaft. Während PCM erklären kann, weshalb die Arbeit zum Selbstzweck verkommt, finden sich bei Baudrillard nur referenzlose Beschreibungen des IST-Zustandes.


Fazit: Bei allem Respekt für kluge Menschen hier und anderswo, die Baudrillard Rosen streuen, aber ich kann damit leider nichts anfangen.

Beste Grüße
Phoenix5


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