OT: Giftgaseinsatz in Syrien - Phosgen statt weder Sarin bzw. Chlorgas? - Chemisch/militärisch eine plausible Alternative
Im Beitrag "Giftgaseinsatz in Syrien? Wer könnte es gewesen sein, welche chemischen Kampfstoffe ließen sich nachweisen (oder nicht)?" hatte ich ja sorgfältig das Für und Wider abgewogen, ob Sarin und/oder Chlorgas in Khan Shaykhun und Umgebung eingesetzt worden sein könnte und ggf. von wem, und war der Frage nachgegangen, ob die Analytik vor Ort, zu der die "Schutzmaßnahmen" der Weißhelme nicht passen wollten, denn überhaupt geeignet sei, den einen oder anderen Vorwurf zu erheben, geschweige denn zu erhärten.
Siehe auch "SAMMELANTWORT an einige Leserzuschriften mit Nachfragen zur Reaktion von Chlor oder Sarin, Schutzmaßnahmen, Dekontamination" und Erwägungen von DisobedientMedia sowie das damit verwandte Thema des chemischen Kampfstoffes VX.
Der Radiomoderator Michael Savage hat in USA eine andere interessante Hypothese aufgestellt: daß es sich um das "Erstickungsgas" ("choking agent") Phosgen(e) gehandelt haben könnte (gegen Ende des Videos) - gefunden über Zerohedge.
Die anderen Spekulationen zur Frage, wer es gewesen sein könnte, sind müßig und hier mehrfach abgehandelt worden. Er redet sich ziemlich in Rage und versteigt sich zu etwa der Behauptung, er sei der einzig studierte Journalist in USA, d.h. nur er habe einen naturwissenschaftlichen Abschluß. Das ist natürlich Unsinn, viele "Qualitätsmedien" leisten sich auch heute noch erfahrene Voll-Akademiker, insbes. in Wissenschaftsredaktionen, die dann auch Ahnung von MINT-Fächern haben. Das tut aber seinen übrigen Ausführungen zur Phosgen-Frage nur geringen Abbruch, und in der Tat wäre es legitim zu fragen, warum andere Medienredakteure nicht auch solche Fragen aufwerfen.
Phosgen, so benannt, weil es zuerst durch Lichteinstrahlung (griechisch phos) synthetisiert wurde, und auch noch heute bei UV-Einstrahlung z.B. auf manche Kühlmittel entstehen kann (auch durch die harte UV-Strahlung beim Schweißen - KFZ-Betriebe aufgepaßt), wurde zuerst im ersten Weltkrieg als Giftgas, federführend von den Franzosen, nachdem Deutschland mit Chlorgas den Anfang gemacht, hatte, eingesetzt und soll für bis zu 90% oder mehr der ca. 100.000 Giftgastoten im Ersten Weltkrieg verantwortlich sein, damals "Grünkreuz" genannt.
Warum ich dies für eine realistische Alternative zu Sarin oder Chlorgas halte, hat mehrere Gründe:
1) Mit Wasser zersetzt es sich unter Bildung von u.a. Chlorgas/Salzsäure, also genau dem Stoff, den die vermutlichen Laien vor Ort gerochen haben wollen.
2) Frisch ausgebracht wird sein Geruch als "nach fauligem Heu" riechend beschrieben - die wirklich intensiven Wirkungen und Schäden treten aber erst nach Stunden auf, u.a. durch Bildung von Chlor in den feuchten Lungenbläschen und anderen Reaktionen, die man weiter nachlesen kann. Durchaus also möglich daß
a) die unmittelbar Betroffenen diesen Geruch anfänglich zwar wahrgenomen, ihm aber keine Beachtung geschenkt haben, die Stunden später eintretenden Wirkungen daher nicht mit dem Einatmen zu dem früheren Zeitpunkt in Verbindung brachten,
b) (manche Opfer zumindest) das Gas womöglich gar nicht gerochen/wahrgenommen haben, denn die gefährlichen Konzentrationen liegen bei bis zu einem Viertel der Geruchsschwelle, was Phosgen eben zu einem tückischen Gas in der Chemieindustrie macht, wo es insbes. in der Polyurethan-Herstellung im Tausende-Tonnen-Maßstab verwendet wird (die Chemiearbeiter haben aber Plaketten, die sich entsprechend verfärben, haben Gasmasken am Gürtel für alle Fälle und an jedem Bürogebäude hängen in solchen Betrieben, z.B. bei Bayer, BASF usw., zusätzliche Gasmasken in Plexiglaskästen für Besucher etc.), siehe Letalitätsdosen,
c) und daß schließlich die Ärzte in den Kliniken, in die die Opfer u.U. erst nach Stunden eingeliefert wurden, eben durch das mittlerweile gebildete Chlorgas ein Lungenödem/Wasserlunge vorgefunden haben, das von einem durch Chlorgasexposition verursachten kaum zu unterscheiden gewesen sein dürfte.
d) Phosgen-Exposition würde auch zu den z.T. gezeigten Bildern passen, wonach Rettungskräfte mit kräftigem Wasserstrahl abgesprüht wurden.
Müssen diese Phosgen-Mengen nun per "Faßbomben" oder sonstwie von außerhalb durch einen Angreifer in dieses Gebiet gelangt sein?
Nun nicht unbedingt. Es läßt sich zwar auf die Schnelle keine Polyurethanfabrik in der syrischen Provinz Idlib finden, aber immerhin einige Industrieanlagen, aus denen durch chemische Reaktionen während eines Angriffes Phosgen sich hätte bilden können:
- Kühlhäuser und Firmen, die u.U. Kühlmittel lagern - Phosgen kann sich aus manchen Kühlmitteln bilden
- Kühlhäuser für Lebensmittel (in Idlib gibt es relativ viele nahrungsmittelverarbeitende Betriebe)
und
- ein paar Betriebe der Plastikverarbeitung (aus dem dort lagernden PVC kann übrigens auch Salzsäure in rauhen Mengen entstehen).
Wie dem auch sei - auch Phosgen kann jeder Chemiestudent herstellen, die Gerüchte um ISIS-betriebene Giftgas-Fabriken können also stimmen, aber vielleicht haben sie auch einfach sonst phosgenverarbeitende und -herstellende Kapazitäten dort vorgehalten, ganz ohne militärische Hintergedanken.
Auch ein Farb-Abbeizmittel, Methylenchlorid, setzt unter bestimmten Bedingungen Phosgen frei.
Eine weitere, sicher nicht letzte, Möglichkeit, ist die Bildung von Flußsäure HF aus dem neuesten 'Öko-Kühlmittel', das in letzter Zeit in der EU solche Kontroversen auslöste, bzw. die Bildung des dem Phosgen von den Eigenschaften her sehr ähnlichen Carbonylfluorids.
HF wirkt ähnlich wie Chlorgas/Salzsäure und könnte damit verwechselt worden sein und sich bei einem Angriff bei hohen Temperaturen nicht nur aus diesem Kühlmittel, sondern auch aus einer Reihe anderer Stoffe gebildet haben. Während aber Chlor hinterher schwer nachweisbar ist, da Chlor in menschlichen Körperflüssigkeiten in erheblicher Menge vorkommt (0,9% NaCl ist die isotonische Lösung für Blutersatz z.B.), könnte sich ein erhöhter Fluoranteil im Lungengewebe später ggf. noch nachweisen lassen.
Es gibt jedenfalls sehr viele andere denkmögliche Entstehungs- und Verbringungswege von giftigen Gasen nach Idlib, als daß man von vornherein nur aufgrund der chemischen Spuren -so sie denn überhaupt gesichert wurden, der unbekümmerte Umgang der Rettungskräfte mit Opfern spricht dagegen-,
a) einfach ohne weitere belastende Momente überhaupt von einem Giftgasangriff (im militärischen Sinne) sprechen kann, noch gar
b) daß man es derzeit schon irgendeiner beteiligten Bürgerkriegspartei anlasten könnte.
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