Depression, bipolare/unipolare Störungen, Melancholie und Traurigkeit: Sofort- und Abhilfemaßnahmen und etwas Literatur

Literaturhinweis, Montag, 06.03.2017, 19:07 (vor 2821 Tagen) @ Kirsch6839 Views
bearbeitet von unbekannt, Montag, 06.03.2017, 19:55

Das Thema 'Depression' ist zu facettenreich, um darauf pauschal mit einem Schnellschuß zu antworten. Und für eine vertiefende Betrachtung fehlt mir im Moment die Zeit. Und ja, es gibt

Bei Amazon gibt es jede Menge Bücher, aber es gibt zu viele!

Daher unten nur eine kleine Auswahl von der ich meine, daß man damit, auch ohne aus der Ferne die Diagnose genauer zu kennen, nichts falsch machen kann.

Die Depression ist bei meinem Freund wohl zum Teil erblich und zum Teil erworben.

Das mit der Erblichkeit ist hoch umstritten. Alkoholismus ist ziemlich sicher nicht erblich, aber daß es 'Alkoholikerfamilien' gibt, ist der Forschung und dem Volksmund lange schon bekannt.

Ich persönlich halte aus Gründen, die auszuführen im jetzigen Moment zu langwierig wäre, von der Erblichkeits-Hypothese nichts.

Ein Grund sei aber genannt: während nach dem Ableben eines Krebspatienten im Krankenhaus sich daran i.d.R. eine Obduktion in der Pathologie anschließt, die Todesursache und genaue Diagnose bestätigt (oder in selteneren Fällen eben nicht), ist die Diagnose einer psychischen Erkrankung wie Depression hoch umstritten. An intersubjektiv verläßlich objektivierbaren Kriterien mangelt es bei vielen dieser Beeinträchtigungen. Die Chance daher, daß mehrere Familienmitglieder dieselbe Diagnose erhalten, liegt in der Natur der beeindruckbaren Psyche des Diagnostikers, auch des Psychiaters. Klinische Psychologen sind oft wenig erfahren in wissenschaftlichen Methoden und verbreiten eher anekdotisches 'Wissen'.

Kann mir jemand gute Informationen über Depressionen empfehlen?

Da wie gesagt, es einen ganzen Formenkreis gibt, ebenso wie Verwechslungsgefahren mit anderen Erscheinungsbildern, ist dies fast so etwas wie zu schreiben "Mein Partner hat eine Krankheit, kann jemand helfen?".

Daher gehe ich hier mit Vorsicht zu Werke.

@Mephistopheles hatte mir meine Worte schon aus dem Munde genommen, was die familien-systemische Seite einer solchen Erkrankung angeht; mit der These des sekundären Krankheitsgewinnes selbst dagegen bin ich etwas vorsichtiger, denn, wie im folgenden gemutmaßt, sind Depressionen, ebenso wie Phobien oder Stottern i.d.R. derart belastend, daß man sie, könnte man, gerne los wäre. Sie gehen aber oft auf ins Unbewußte abgedrängte Anteile zurück.

Es gibt verschiedenste Ansätze, von denen ich den medikamentösen für den schlechtesten halte, mit Ausnahme der Notfallintervention bei akuter Suizidgefährdung. Abgesehen von Neben- und Wechselwirkungen gibt es bei Dauergebrauch fast immer Schädigungen körperlicher Natur (etwa des Entgiftungsorgans Leber) oder Gewöhnungen. Daß sein Arzt tatsächlich die Dosis aufgrund gebesserten Patienten-Befindens senkt, halte ich aber schon mal für hoffnungweckend - das wäre dann u.U. auch ein Mediziner, der anderen Therapieansätzen aufgeschlossen gegenüber stehen könnte, aber hoffentlich nicht jedem.

Ich war hier schon kurz auf hypnotherapeutische Verfahren eingegangen, und möchte daher zuerst Dave Elman, den Begründer der modernen Hypnotherapie in den USA, zitieren (Hypnotherapy, 1977, p. 107/108):

"We are born with the will to live. The law of selfpreservation is the primary law of our lives. It is fundamental. Yet, there are two types of people who do not possess the instinct of self-preservation at normal level. They are the suicidal depressive and the manic depressive. But even with people suffering from these two kinds of depression, the will to die appears to be a mere warp in the straight line of self-preservation. It is sometimes possible to straighten this warp with the means put at our disposal by psychotherapy and hypnosis. Every doctor who knows how to use hypnosis is capable of changing the will to die into the will to live in normal patients. Psychiatrists report it is worth a try even with psychotic depressives; with nonpsychotics, then, the chances of success are overwhelming."

"Wir alle wurden mit dem Willen zum Leben geboren. Selbsterhalt ist unser oberstes Gebot. Dennoch gibt es zwei Arten von Menschen deren Selbsterhaltungstrieb schwächer ausgeprägt ist. Dies sind die zum Selbstmord neigenden und die manisch Depressiven. Aber selbst bei diesen zwei Arten der Depression scheint der Wille zu sterben nur ein kleiner Knick in der ansonsten geraden Linie des Selbsterhaltungswillens zu sein. Manchmal gelingt es, diesen Knick mittels einer Psychotherapie oder durch Hypnose zu glätten. Jeder Arzt, der Hypnose anzuwenden versteht, kann beim normalen Patienten den Willen zu sterben in einen zum weiterleben ändern. Psychiater berichten über Erfolge selbst bei Psychotikern; so sind also die Chancen bei Nicht-Psychotikern überwältigend."

Aufgrund der ansatzweisen Schilderungen seines Soziallebens (Verein etc.) gehe ich davon aus, daß es sich nicht um einen Psychotiker handelt.

Eine andere Therapieform, die bei Depression Erfolge aufzuweisen hat, ist die aus der (kognitiven) Verhaltenstherapie (BT - behaviour therapy bzw. CBT - cognitive behaviour therapy, weiterentwickelte REBT - rational emotive behavior therapy von Albert Ellis). Vielem, was sich angeblich taugliche Therapien nennt, fehlt es dagegen an wissenschaftlich belastbaren Erfolgsnachweisen, siehe z.B. "Science and Pseudoscience in Clinical Psychology" oder auch "50 Great Myths of Popular Psychology: Shattering Widespread Misconceptions about Human Behavior".

REBT jedoch funktioniert m.E. nicht bei den verdrängten Ursachen, die dem geübten Hypnotherapeuten i.d.R. in der ersten Sitzung zugänglich werden. REBT versucht, für jeden Grund, 'warum' dieser Patient traurig sein müsse, 'rationale' oder relativierende Argumente zu finden, warum gerade das nicht (so) zwangsläufig sei, vgl. z.B. REBT workbooks oder "Comprehensive Casebook of Cognitive Therapy".

Evtl. folgt irgendwann noch ein ausführlicherer Literaturhinweis zum Thema Depression, aber fürs erste möchte ich mit einem weiteren Zitat von Dave Elman (ebenda, p. 242 ff.) schließen:

"... she added, 'Suicides seem to run in our family. My mother committed suicide and I suppose some day I will-and soon.'
I wondered whether her mother's suicide many years ago could have anything to do with the daughter's present depressive state, but I couldn't find any direct connection. ...
... he asked her about her family background. ... When she mentioned her mother's suicide, he said, 'Tell me about your mother. What kind of person was she?'
She answered, 'Just like me. Always depressed. When I was a little girl there was a flood in our town that killed a lot of people. It depressed her terribly. One day she left the house and when my father came home he asked me, 'Where's mother?' I answered, 'I don't know. Maybe she went down to see the flood.' Daddy got awfully upset. I can remember he almost shouted at me, 'Come quick. We have to find her.' We went rushing down to the flood waters. There was mother, walking further and further out into the flood. She would have drowned if Daddy hadn't plunged in and saved her.'
When ... questioned ... further, she revealed that her father had warned her about her mother's suicidal tendencies.
... 'Every day when I came home from school I'd go looking for mother -always finding her sitting in a chair, looking straight ahead, kind of dazed. One day I came home from school and mother wasn't sitting in the chair as usual. I went all over the house looking for her and calling her, but she didn't answer. Finally I opened a closet door . . . [Here, the patient sobbed almost hysterically.] and there she was hanging in the closet . . . She was dead.' ...
'How old was your mother when all this happened?' 'Thirty-nine.'
'How old did you say you are?'
'I'll be thirty-nine next Tuesday.'
'Don't you see the connection?'
Still sobbing, the patient answered, 'Of course I do. All my life-ever since it happened-I've been thinking that when I reached thirty-nine I'd do just what my mother did --commit suicide. But I don't have to do it, do I?'
After that, treatment was fairly easy. About a year later, I received a telephone call from the patient's husband. He wanted to thank me: she was past forty now, happy and quite well. ..."

"... sie fügte hinzu 'Selbstmorde ziehen sich beim mir durch die Familie. Meine Mutter beging Selbstmord und ich habe das Gefühl, irgendwann werde auch ich mich umbringen.'
Ich begann mich zu fragen, ob der viele Jahre zurückliegende Selbstmord ihrer Mutter mit dem derzeitigen depressiven Zustand der Tochter in Zusammenhang stehen könnte, aber es gelang mir nicht, einen direkten Zusammenhang zu finden ... [Wechsel des Psychiaters]
... er fragte nach ihrem familiären Hintergrund. ... Nachdem sie den Selbstmord ihrer Mutter erwähnt hatte, sagte er: 'Erzählen Sie mir von ihrer Mutter. Wie war sie?'
Sie antwortete: 'Ganz so, wie ich. Immer deprimiert. Als ich klein war, gab es in der Stadt eine Überschwemmung bei der mehrere Menschen starben. Das setzte ihr sehr zu. Eines Tages verließ sie das Haus und als mein Vater heimkam, fragte er mich 'Wo ist Mutter?' - Ich antwortete 'Ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie zum Fluß runter, die Überschwemmung anschauen.' Mein Vater war äußerst erregt. Ich weiß noch wie er mich fast anbrüllte 'Schnell, schnell, Wir müssen sie finden.' Wir sausten runter zum über die Ufer getretenen Fluß. Da war Mutter, sie lief immer weiter hinein in die Fluten. Sie wäre ertrunken, hätte Vater sich nicht ins Wasser gestürzt und sie gerettet.'
Auf weiteres Befragen erzählte sie, ihr Vater habe sie vor den Selbstmordtendenzen ihrer Mutter gewarnt.
... 'Jeden Tag nach der Schule schaute ich nach Mutter - sie saß immer in einem Stuhl und starrte vor sich hin, wie betäubt. Eines Tages kam ich von der Schule heim und Mutter saß nicht wie sonst in ihrem Stuhl. Ich lief durchs ganze Haus und rief nach ihr, aber es kam keine Antwort. Dann öffnete ich die Tür zur Abstellkammer ... [Hier begann die Patientin beinahe hysterisch zu schluchzen] und da hing sie in der Kammer. ... Sie war tot.' ...
'Wie alt war ihre Mutter, als das passierte?' 'Neununddreißig'
'Wie alt, sagten Sie, sind Sie jetzt?'
'Nächsten Donnerstag werde ich neununddreißig.'
'Sehen Sie denn da keine Verbindung?'
Unter Schluchzen sagte die Patientin 'Natürlich. Mein ganzes Leben über seit diesem Ereignis habe ich mir gedacht, wenn ich ebenfalls neununddreißig werde dann tue ich es ihr nach --bringe mich um. Aber das ist ja gar nicht nötig, stimmt's?'
Danach war der Rest der Behandlung recht einfach. ungefähr ein Jahr darauf erhielt ich einen Anruf vom Ehemann der Patientin. Er wollte mir seinen Dank aussprechen: sie war jetzt über vierzig, glücklich und es ging ihr gut. ..."

Siehe auch:

- The Cognitive Behavioral Workbook for Depression: A Step-by-step Program (Workbook)

- Back from the Brink: True Stories and Practical Help for Overcoming Depression and Bipolar Disorder (der Autor ist selbst Betroffener, im Vorwort ist sein Abschiedsbrief aus dem Jahr 2004 abgebildet - nach seiner Genesung interviewte er dann verschiedenste bekannte Persönlichkeiten, die ebenfalls gelernt hatten, ihre Depression zu überwinden, u.a. einen Kongreßabgeordneten, einen Berater von Tony Blair, Bob Boorstin, Direktor für Öffentlichkeitsarbeit bei Google und über ein halbes Dutzend mehr).

- Depressionen verstehen und bewältigen (Autor Paul Gilbert ist international anerkannter Psychotherapeut auf dem Gebiet, vgl. z.B. "Psychotherapy and Counselling for Depression (Therapy in Practice)")

- Dealing with Depression: A Commonsense Guide to Mood Disorders

Zum Krankheits- und Behandlungsverlauf:

- An Atlas of Depression (Encyclopedia of Visual Medicine)

- Overcoming Depression for Dummies

Sowie weitere Erfahrungsberichte, 'aufbauende Literatur':

- Journeys With the Black Dog: Inspirational stories of bringing depression to heel


Falls Dein Partner eine künstlerische Ader hat, sollte er sie evtl. ernsthaft kultivieren, viele berühmte Künstler waren depressiv:

- Touched With Fire: Manic-depressive Illness and the Artistic Temperament (die Autorin Kay Redfield Jamison hat noch mehr Bücher rund ums Thema geschrieben, teilweise auch in deutscher Übersetzung erhältlich)

- Devil as Muse Blake, Byron & the Adversary


Kritische Abhandlungen zum Umgang der Psychiatrie mit Depression:

- The Loss of Sadness: How Psychiatry Transformed Normal Sorrow Into Depressive Disorder

- All We Have to Fear: Psychiatry's Transformation of Natural Anxieties into Mental Disorders

Wie gesagt, für eine ausführlichere Sichtung der deutschsprachigen Literatur fehlt mir im Moment die Zeit, das Thema erfordert behutsame Empfehlungen und alle oben genannten scheinen noch nicht in deutscher Übersetzung verfügbar zu sein. Deprimierend.

Was man aber dennoch sofort tun könnte:

a) Sich eine therapiegeeignete Tageslichtlampe besorgen und sich ihr länger am Tag aussetzen (d.h. länger, als die dort empfohlene Behandlungsdauer für 'Normale'), jedoch im Winter nicht länger als bis 16:00 Uhr, in den übrigen Monaten nicht später als 17:00 Uhr (sonst evtl. Einschlafstörungen). Umso wirksamer, je mehr Körperfläche tatsächlich bestrahlt wird, also ohne Kleidung zwischen Lampe und Haut. Wer depressiv ist, geht weniger raus, wer weniger raus geht, hat weniger Lichtkontakt, wer weniger Lichtkontakt hat, wird (leichter) depressiv. Da die Tageslichttherapie nicht wirklich schaden kann, ist das immer die erste Empfehlung, noch vor jeder Medikation.

b) Zum Vitamin D hat @ottoasta schon immer erfahrungsgesättigte Berichte geliefert, siehe auch hier wieder @Weiner.

c) Vielleicht kennt das jemand: die Angst beim Zahnarzt wird größer, man sinkt in sich zusammen, atmet immer flacher. Atmet man tief durch, ist die Angst plötzlich weg. Das gilt auch bei depressiver Verstimmung - tief durchatmen, mehrmals (bis kurz vor'm Hyperventilieren) - und den ganzen Tag über, das muß zur Gewohnheit werden; daher hilft auch der empfohlene Sport, wenn er aerobisch wirkt.

d) Bei allem andern, etwa Johanniskraut, muß man abwägen. Da Johanniskraut die Lichtempfindlichkeit verstärken kann, kann der Gesamteffekt auch negativ sein, aus den in a) genannten Gründen!

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