Selbsterklärende Gegenantwort
Gegenfrage: Techniker mit Universalwissen oder Strafverteidiger? Frag mal Elli, der kennt meinen akademischen Lehrer im Strafrecht
Wissenschaft wird mit Argumenten, nicht von Autoritäten entschieden. Juristen kranken im Allgemeinen gerade daran, daher die Gutachterschlachten vor Gerichten, daß sie sich technisch meist nicht auskennen. (Patentanwälte, die i.d.R. Ingenieure sind, kranken daran, daß sie nicht Juristen sind - als ich mal eine Patentsache habe prüfen lassen, habe ich mir dafür wohlweislich einen Patentanwalt gesucht, der sowohl Diplom-Ingenieur war, wie auch die zweite juristische Staatsprüfung hatte - zu allem Überfluß war er auch noch doppelt promoviert; dennoch habe ich ihn einem ziemlichen Rigorosum unterzogen.)
Andererseits ziehe ich vor mehreren BGH-Senaten den Hut, die ich habe sowohl in technischen wie in biologischen Fragestellungen manche Gutachter an den Rand dessen bringen sehen, ihre Habilitation zurückzugeben.
Der Unterschied zwischen einer Giftspritze und einem Auto dürfte sogar einem Techniker bekannt sein.
Jede Analogie hinkt. Es ging (mir) um das Merkmal des 'gefährlichen Werkzeugs'. Erstmal. Sodann:
Falls nicht hier die Erklärung: Drücke ich auf eine Giftspritze, gefährde ich nur den Empfänger, fahre ich mit 160 km/h gegen ein anderes Auto gefährde ich mich selber und auch denjenigen, der im anderen Auto sitzt. Sollte eigentlich selbsterklärend sein?
Ja. Aber das ist dennoch unerheblich. Dir ging es darum, daß diese beiden jungen testosterongesteuerten Rambo-Helden sich ihrer Sache so sicher gefühlt hätten, daß sie sich unverwundbar vorkamen. Und daher hätten sie nicht glauben können/müssen, daß sie auch andere verwunden/töten könnten, bloß, weil sie sich nicht in Todesgefahr sahen. Das halte ich für ein geradezu klassisches non sequitur.
Denn genau das ist bei solchen Menschen nicht der Fall. Von der eigenen Unverwundbarkeit gehen viele aus, z.B. der junge Maler- und Verputzergeselle, der auf einem Gerüst stehend allen Ernstes meinte, da er schon mehrmals Stromschläge aus einer Steckdose 'unbeschadet' überstanden hatte, er könne an die unweit des Gerüsts verlaufende Freileitung fassen (was im Übrigen auch unzulässig war - dort muß entweder Sicherheitsabstand eingehalten oder die Leitung muß vor Aufstellen des Gerüsts an der Stelle isoliert werden, vom Betreiber).
Nun griff er beherzt an einen der Leiter - und es geschah nichts. Seine staunenden Zuschauer begannen nun auch daran zu glauben, da könne einer über Wasser laufen; er hatte aber bloß zufälig den 'Nulleiter' erwischt.
Noch übermütiger geworden, faßte er einen zweiten Leiter an, nunmehr natürlich eine stromführende Phase, und danach war von ihm nicht mehr viel übrig.
Ähnlich siegessicher, gewendet auf ihr automobilistisches Können, mögen auch diese beiden Rabauken gewesen sein, jedenfalls interpretiere ich dieses psychologische Gutachten, das in der Presse auszugsweise zitiert war, so.
Aber das erstreckt sich doch nicht, jedenfalls nicht, ohne darüber Beweis zu erheben, auf den dolus eventualis (vgl. im angelsächsischen Recht "... which is present when the perpetrator objectively foresees the possibility of his act causing death and persists regardless of the consequences, suffices to find someone guilty of murder.")
Daß hier im deutschen Strafrecht evtl. Neuland betreten wurde, kann man so sehen - die klare Positionierung hat auch mich überrascht. Aber wenn man sich die Rechtsprechung des BGH zur Nötigung ('vergeistigter Gewaltbegriff') ansieht, die irgendwann im Gefolge der studentischen Sit-ins vor Straßenbahnen eine Nötigung aufgrund eines psychischen Mechanismus im Straßenbahnfahrer annahm und damit selbst über Konstrukte hinausging, die im Dritten Reich gang und gäbe waren, so stelle ich fest, daß die Interpretation von psychisch zu bestimmenden Tatvorsätzen und -wirkungen oftmals die aktuelle Rechtsprechung beeinflußt. Ich könnte mir gut vorstellen, auch wenn hier eine Klarstellung des Gesetzgebers wünschenswert wäre, daß die Richter der in Zukunft absehbaren Lynchjustiz beim nächsten Raser-Mord vorbeugen möchten. Ähnlich sah es aus, als sich in den sechziger Jahren Morde an Taxifahrern häuften (was zur vorübergehenden Einführung der Trennscheibe führte) und dann binnen kurzem es zu lynchmobmäßigen Ausschreitungen von Taxi-Kollegen kam (auch bei 'normalen' Diebstählen und Rauben).
Siehe auch:
- Burhoff: Bedingter Vorsatz – bewusste Fahrlässigkeit? Die Abgrenzung ist nicht so ganz einfach
- community.beck.de: "Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet."
Genau darum geht es hier und offenbar hat das erkennende Gericht aus dem 'Inbegriff der Hauptverhandlung' genau diesen Schluß gezogen, d.h. auch, daß sie sich mit der möglichen Tatfolge innerlich abgefunden hatten.
Siehe auch weiters zur Abgrenzung von bewußter Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz.
----
Und eine Frage an den Hilfsjuristen:
Muß das da nicht statt 'Unschuldsvermutung' besser 'in dubio pro reo' heißen?
Im Urteil bei der Würdigung des Vorsatzes und Motivs gilt ja nun nicht mehr die Unschuldsvermutung, sondern nur noch, daß man dem Angeklagten nicht zur Last legen darf, was man ihm nicht zweifelsfrei nachweisen kann.
--
Literatur-/Produkthinweise. Alle Angaben ohne Gewähr! - Leserzuschriften