Albert Hellwig: Zur Psychologie der richterlichen Urteilsfindung (1914) - der emsige und der gelassene Anwalt u.v.a.

Literaturhinweis, Samstag, 04.02.2017, 01:24 (vor 2848 Tagen) @ kieselflink5715 Views
bearbeitet von unbekannt, Samstag, 04.02.2017, 01:39

Fragen der Rechtspsychologie und der Rechtstatsachenforschung sind ja nun nichts neues, auch muß jeder angehende Richter, Anwalt, Staatsanwalt mindestens einen Schein in Rechtssoziologie machen.

Die angesprochenen Probleme sind altbekannt, vgl. z.B. Albert Hellwig: Zur Psychologie der richterlichen Urteilsfindung, einen Nachdruck gab es bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, aber auch dort scheint das schmale Büchlein derzeit vergriffen.

Siehe z.B.

- Unterstellt statt überprüft?

- Emotionale Intelligenz und richterliche Urteilsbildung (CRIMINOLOGIA – Interdisziplinäre Schriftenreihe zur Kriminologie, kritischen Kriminologie, ... Psychiatrie und Gewaltprävention)

- Mord? Totschlag? Oder was? Bizarres aus Deutschlands Strafgerichten

- Hans Mathias Kepplinger, Rudolf Gerhardt, Stefan G: "Die Kunst der richterlichen Entscheidungsfindung - Eine Befragung von Strafrichtern in der Bundesrepublik Deutschland" Die_Kunst_der_richterlichen_Entscheidungsfindung.pdf (PDF, 31 Seiten - kostenlos)

- Google-Suche "Psychologie richterlicher Entscheidungsfindung"

Ohne eine rechtliche Vertretung, die den Anforderungen des jeweiligen Verfahrens gewachsen ist, ist ein Gerichtsverfahren stets -für Laien- ein Vabanque-Spiel.

Und sich selbst vertreten unterlassen sogar versierte Anwälte in eigener Sache: "Ein Rechtsanwalt, der sich selbst vertritt, hat einen Narren zu Mandanten" (altes römisches Sprichwort).

Bei aller Richterschelte gälte es stets zu überlegen, was anstelle dieses unvollkommenen Verfahrens der 'Rechtsfindung' treten sollte. Manch einer will vielleicht einen volksnaheren Richter, einen Volksgerichtshof?

So, wie es Fachärzte und Allgemeinärzte gibt, und man wie selbstverständlich erwartet, daß ein Hausarzt einen zum passenden Spezialisten überweist, sowie es sich um eine Diagnose oder Therapie handelt, die bei just diesem Spezialisten besser aufgehoben scheint, wäre es an der Zeit, daß auch Anwälte Sachen, auf die sie nicht spezialisiert sind, an eine spezialisierte Kanzlei 'überweisen'. Just das passiert aber eher selten, sondern man beobachtet in der Regel, daß ein Mandant zum ewig selben Anwalt läuft und dieser auch sämtliche Rechtssachen für diesen 'betreut' und gerichtlich vertritt.

Bei einem Großkonzern ist das anders: zwar bleiben auch große Konzerne i.d.R. einer Kanzlei treu, nur sind das regelmäßig Großkanzleien mit weltweit oft Dutzenden Büros und hunderten bis tausenden Anwälten - und unter diesen befindet sich eben dann auch für die typischen Spezialgebiete (etwa Mergers & Acquisitions, Produkthaftungsfragen, Steuerstrafverfahren, Arbeitsrecht usw.) der passende Spezialist und dieser wird i.d.R. auch unter den seltenen Einser- und Zweier-Juristen ausgewählt.

Hier besteht also von vornherein eine Waffenungleichheit gegenüber dem einzelnen Kläger. Aber: auch Geschädigte schließen sich oft zu Verbänden zusammen, die ihrerseits dann von spezialisierten Kanzleien, oft erfolgreich, vertreten werden, vgl. Sammelklagen gegen Johns Manville und Dow Corning.

Wenn es hier dann heißt:

1/3 der Verfahren habe ich verloren, obwohl ich im Recht war.
1/3 der Verfahren habe ich gewonnen, obwohl ich nicht im Recht war, aber einen guten Anwalt hatte.
Nur 1/3 ist so ausgegangen, wie es sich eigentlich gehört hat.

so kann ich nur sagen:

Das erste Drittel ("verloren, obwohl ich im Recht war") wäre evtl. gewonnen worden mit besserem Anwalt oder der Anwalt hätte auf Klageerhebung verzichtet, weil die Beweislast im Zivilverfahren sich nicht ums Recht schert, sondern darum, wer -durch Zeugen oder Urkunden- den Beweis für seine Sache führen kann. Ein Kläger ist da regelmäßig im Nachteil, denn er muß beweisen, während der Beklagten-Anwalt den für Laien ungewohnten Satz iteriert "Mit Nichtwissen wird bestritten ...".

Die Kehrseite dieser Medaille, "gewonnen, obwohl ich nicht im Recht war" dürfte aus denselben Gründen herrühren, nur mit evtl. umgekehrten Vorzeichen.

"... so ausgegangen, wie es sich eigentlich gehört hat ..." Tja, auch das kann dem Zufall geschuldet sein, wer weiß. Das subjektive Rechtsempfinden des Nicht-Juristen deckt sich nicht immer mit der 'objektivierbaren' (siehe Beweislast) Rechtslage.

Viele Mandanten meinen nun, das sei vor Gericht etwa wie beim Würfelspiel, d.h. zu 50% müsse ein 'durchschnittlich guter' Anwalt Fälle gewinnen und zu 50% verlieren, oder meinetwegen auch 40/40 und 20% enden im Vergleich.

So ist es aber mitnichten. Der gute Anwalt gewinnt zwischen 80% und annähernd 100% seiner Verfahren - aber nicht, weil er ein überlegener Rhetoriker wäre oder -als sog. 'Winkeladvokat'- unlautere Tricks beherrschte, nein, weit gefehlt: sondern, weil er nur die Fälle ausficht, bei denen er seinen Mandanten guten Wissens zur Klage(erwiderung) raten kann. In anderen Fällen dagegen rät er ab. Der uneinsichtige Mandant sucht sich dann u.U. einen 'willigeren' Anwalt, der sich, um des Honorares willen, seine Statistik gerne 'versauen' läßt. Merke: den Schaden hat der im Obsiegens- wie Unterliegensfalle gebührenzahlungspflichtige Mandant.

Die erstgenannten Anwälte besitzen neben einem fundierten Wissen der Grundlagen wie der aktuellen Rechtsprechung auch ein Gespür dafür, ob sich 'das Gewinnen lohnt' für ihren Mandanten. Wer nämlich 'erfolgreich' in einem Zivilprozeß als Kläger seine Forderungen durchsetzt, während der unterlegene Beklagte aber kein Geld hat und daher die Forderungen nicht beitreibbar sind, so bleibt der 'erfolgreiche' Kläger auch auf seinen und des Gegners Gerichtskosten sitzen - denn der Kläger hat den Prozeß angestrengt und ist daher 'primärer Kostenschuldner' nach Zivilprozeßordnung und Gerichtskostengesetz.

Bei der zunehmenden Anwaltsschwemme wird es jedoch für den einzelnen 'Wald- und Wiesenanwalt' stets verführerisch bleiben, einem erzürnten oder verbitterten Mandanten 'seinen Wunsch' zu erfüllen, es 'der Gegenseite mal ordentlich zu zeigen'. Solche Anwälte ergehen sich dann in schauerlich formulierten Drohbriefen "Im Namen meines Mandanten habe ich sie aufzufordern, unverzüglich, sonst ..." (sonst was? - Ach ja, "... sonst muß ich von meinem tumben Mandanten noch mehr Gebührenvorschuß nehmen und auf Teufel komm' 'raus klagen")

Viel wichtiger ist es, gerade z.B. in Bausachen und im Arbeitsrecht, sich im Vorfeld vertraglich gut abzusichern. Ein guter Vertrag regelt auch mögliche Streitpunkte, deren evtl. Beilegung und evtl. Beweislastfragen und alle möglichen Fristen und Rechtsfolgen. Aber auch für solche streitvermeidenden Verträge bräuchte man geeignete Juristen, die das nicht nur aus einem Formularhandbuch abschreiben (lassen - von ihrer Rechtsanwaltsgehilfin). Wie oft sieht man Allgemeine Geschäftsbedingungen, Genossenschaftssatzungen, Gesellschaftsverträge und sonstige Regelungen, in denen noch Textbausteine und Namen von Vorgängern enthalten sind.

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